Marcos-Clan auf den Philippinen

Skandal-Dynastie reloaded

21:16 Minuten
Ein Familienbild mit Kindern in einem edel ausgestatteten Raum.
Der Marcos-Clan wird seit dem Tod des Diktators im Jahr 1989 von der heute 92 Jahre alten Imelda Marcos angeführt. Hier ein Foto von 1969 mit Ferdinand Junior in der Mitte. © imago / Zuma / Keystone
Von Lena Bodewein |
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Der neue Präsident der Philippinen heißt Ferdinand Marcos, der Sohn jenes Diktators, der Tausende Regimegegner hat foltern und töten lassen und unter dem Milliarden aus der Staatskasse verschwanden. Wie ist diese Geschichtsvergessenheit zu erklären?
So gehen Amtseinführungen auf den Philippinen: Strahlend steht Sara Duterte da und legt ihren Amtseid als Vizepräsidentin ab – auf einem großen roten Podest in ihrer Heimatstadt Davao, wo sie Bürgermeisterin war und vor ihr schon ihr Vater Rodrigo Duterte, der Präsident, der als Drogenkrieger berüchtigt ist und sich jetzt verabschiedet.
Zwei Frauen in grünen Kleidern stehen auf einer Bühne. Eine wird von einem Herrn in schwarzer Kleidung vereidigt, hebt die Rechte Hand zum Schwurd.
Vereidigung als Vizepräsidentin: Sara Duterte wollte eigentlich selbst Präsidentin werden. Ohne ihr Zurücktreten hätte Ferdinand Marcos Junior nicht genügend Stimmen bekommen. © IMAGO/Xinhua
Seine Tochter und politische Erbin ist im grünen Terno gewandet, dem traditionellen Schmetterlingskleid der philippinischen Frauen, das auch Imelda Marcos, die Witwe des früheren Diktators und Mutter des kommenden Präsidenten, so ausführlich trug, dass die frühere Schönheitskönigin als Terno-Königin bekannt war.

"Tage voller Herausforderungen"

Es geht also viel um Tradition und Symbolik, um Bewahren und Konservieren – und so klingt Sara Dutertes Antrittsrede auch. “Die Tage, die vor uns liegen, mögen voller Herausforderungen sein, denen wir als vereinte Nation entgegentreten müssen. Aber, lasst mich das betonen: Wir können nie falsch liegen, wenn wir ein Volk sind, das den Willen Gottes ehrt, unserem Land und unseren Mitbürgern dienen, und die Einheit unserer Familien und die Zukunft unserer Kinder schützen."
Ein Mann mit rot-grünem Mundschutz reckt die Daumen in die Höhe. Rot steht für Marcos junior, grün für Sara Duterte
Mundschutz für das Team Marcos / Duterte: Am 9. Mai gab eine deutliche Mehrheit von 31 Millionen Wähler:innen ihre Stimme dem 64-jährigen Ferdinand Marcos Junior.© Lena Bodewein, ARD Studio Singapur
So konservativ sie sich präsentiert, so unkonventionell wird sie von ihren Anhängern aber wahrgenommen: Sara Duterte steht der LGBTQ-Szene nahe, und das in den streng katholischen Philippinen.

Sie kann auch zuschlagen

Als Bürgermeisterin von Davao war sie einmal so frustriert vom drohenden Abriss einer improvisierten Siedlung, dass sie den Beamten, der den Abriss beaufsichtigte, mehrfach schlug.
Sie fährt Motorrad, ist bewaffnet. Sie steht ihrem Vater nach eigener Aussage nicht sonderlich nahe. Der oft großmäulig auftretende Duterte hatte Frauen auch schon mal die Fähigkeit zum Regieren abgesprochen. Aber sie ist loyal ihm gegenüber. Familie zählt auf den Philippinen.
Und da sehen viele Menschen, vor allem politische Beobachter und Menschenrechtler, ein Problem. "Das wird für die Opfer des Drogenkrieges und ihre Angehörigen noch härter. Ein Sieg von Marcos macht es ihnen fast unmöglich, Gerechtigkeit und Verantwortlichkeit zu finden", sagte Carlos Conde von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch vor der Wahl auf den Philippinen.
Der verheerende und blutige Anti-Drogenkrieg von Rodrigo Duterte hat Zigtausende Menschen das Leben gekostet – Drogenabhängige, Kleinkriminelle, aber auch völlig Unbeteiligte, wehrlose Teenager, die um ihr Leben flehten, aber von Polizisten brutal und gezielt erschossen wurden.
Ein Mann in rotem Shirt spricht mit geballter rechter Faust emotional in ein Mikrofon.
Ferdinand Marcos junior: bisher Playboy und Lebemann. Neuer Status: Präsident der Philippinen. Genaues Programm: unbekannt. © IMAGO/NurPhoto
Philippinische Anwälte hatten 2018 Klage gegen Rodrigo Duterte beim Internationalen Strafgerichtshof eingereicht. Daraufhin hatte der die Mitgliedschaft bei dem Weltgericht gekündigt. Nachdem der Strafgerichtshof 2019 seine Ermittlungen aufgenommen hatte, wurden sie im November 2021 ausgesetzt. Die Philippinen wollten selbst ermitteln.
"Jetzt wird es schwierig"", sagt Carlos Conde. "Duterte war immer nah an Marcos – als eine seiner ersten Amtshandlungen nach seinem Sieg 2016 hat er den Leichnam des Diktators auf den Heldenfriedhof umbetten lassen. Kein Präsident vorher hatte sich das getraut. Und dass er, Duterte, jetzt Schutz erfährt von einer Marcos-Regierung, daran zweifelt niemand."

Internationaler Strafgerichtshof ermittelt

Jetzt hat der Internationale Strafgerichtshof allerdings angekündigt, seine Ermittlungen wiederaufzunehmen. Die Verschiebung sei nicht länger gerechtfertigt. Was also aus dem Schutz für Rodrigo Duterte durch seine Familien und sonstige Bande zu den künftigen Präsidenten und Vizepräsidenten wird?
Tatsache ist, dass nach sechs Jahren Duterte-Regierung die Achtung der Menschenrechte auf den Philippinen stark abgenommen hat.
Rotgekleidete Menschen auf Mopeds und an der Straße strecken begeistert zwei Finger der rechten Hand empor.
Die Sehnsucht nach dem Diktatoren-Double: Marcos-Fans in Manila.© IMAGO/ZUMA Wire
Der Wunsch nach durchgreifenden, toughen Töchtern von großmäuligen Drogenkriegern ist mindestens so groß wie die Sehnsucht nach dem Diktatoren-Double – denn wo Vater Marcos nicht möglich ist, da soll der Sohn es richten.
Die Hälfte der philippinischen Wähler hat für das sogenannte Uni-Team, das Team der Einheit aus Duterte und Marcos gestimmt.
"Die Stimme von 32,2 Millionen Philippinern erklang laut und deutlich mit der Botschaft, unserem Land zu dienen", so Sara Duterte. Der designierte Präsident Ferdinand Bongbong Marcos hat dazu einen vorfreudigen Videoblog geliefert, das Thema: „Transitioning“ – "Übergang".

Mit freundlicher Unterstützung von Social Media

Er feiert die Amtseinführung seiner Vizepräsidentin – denn er, Bongbong Marcos, kurz BBM, war ebenfalls anwesend. Und so gekonnt, wie sein Social-Media-Team das Ereignis inszeniert, wird es noch hinreißender. "Um es noch süßer zu gestalten, war es auch noch Vatertag", so Bongbong Marcos und er lässt sich darüber aus, wie Sara Duterte die Hand ihres Vaters respektvoll an ihre Stirn hält.
Apropos Vatertag: Auf seiner Website haben seine Söhne ihre Nachricht zum Vatertag, der hier erst im Juni begangen wird, gepostet:

Du warst immer ein toller Vater für uns und du wirst ein wunderbarer Vater für das Land sein.

Die Söhne von Ferdinand Marcos Junior

So sehr, wie diese Söhne von ihrem Vater schwärmen, schwärmte Bongbong Marcos auch von seinem: Diktator Ferdinand Marcos. Der Sohn hat sich nie von den Taten des Diktators distanziert.

"Mein Vater? Ein politisches Genie"

Nachdem Marcos senior 1972 das Kriegsrecht verhängte, wurden bis 1986 Zehntausende Oppositionelle, Studierende, Kirchenleute und Journalisten eingesperrt, gefoltert oder getötet.
Viele von ihnen haben immer noch keinerlei Gerechtigkeit erfahren, werden es wohl auch nicht. Denn wie Marcos junior sagt: "Mein Vater – ein echter Staatsmann und politisches Genie."
Eine junge Frau mit dichtem hochgestecktem schwarzen Haar und einem blauen Kleid mit tiefem Ausschnitt.
Imelda Marcos 1978. Die Frau von Diktator Marcos wurde vor allem bekannt durch ihre Schränke mit Tausenden Paar Designerschuhen, 800 Handtaschen und 500 Abendroben, die man nach ihrer Flucht fand.© imago / Sven Simon
Als Rodrigo Duterte das Heldenbegräbnis erlaubte, war damit ein weiterer Baustein in den Legendenbauten der Dynastie gesetzt. Bis dahin hatte Witwe Imelda den Leichnam in einem Mausoleum bewahrt, aufgebahrt in einem gläsernen Sarkophag.
Der Sohn nutzte die Gelegenheit für salbungsvolle Worte, während vor dem Friedhof Überlebende des Marcos-Regimes demonstrierten:  “Es war der sehnlichste Wunsch meines Vaters am Ende seiner Tage, dass er in der Zeremonie eines einfachen Soldaten beerdigt würde. Das ging einher mit seiner Idee, dass er nichts anderes als ein Soldat war, ein Bürger, der seinem Land dient.” 

Legende vom "goldenen Zeitalter" der Philippinen

Genau das ist auch das Image, das Marcos Junior von seinem Vater über Jahre hinweg aufbaute: der starke Diener seines Landes, der den Philippinen ein goldenes Zeitalter brachte.
In Bongbongs Videoblogs, auf Tiktok, Youtube, Facebook, überall werden Marcos Senior und die wunderbare Familie Marcos professionell gepriesen. "Share, like and subscribe!"– "Teilt es, gebt uns ein Like, abonniert uns", rufen Marcos’ Söhne.
"Das ist das Ergebnis von geplanter Fehlinformation von industriellem Ausmaß, wenn Lügen zu Fakten werden", sagte die Journalistin Maria Ressa gegenüber dem ARD-Fernsehteam kurz nach der Wahl. Sie hat das Nachrichtenportal Rappler mitgegründet, das sich Rodrigo Duterte immer wieder unerschrocken entgegengestellt hat – und für ihren Einsatz für die Wahrheit hat Maria Ressa im vergangenen Jahr den Friedensnobelpreis erhalten.

Soziale Medien als Tod der Demokratie

In ihrer Nobelvorlesung sagte sie, dass die sozialen Medien der Tod der Demokratie seien. Etwas, das in Marcos Wahlkampf deutlich zu sehen war. Erinnerungen an die Gräueltaten in der Zeit des Kriegsrechtes wurden unterdrückt und ersetzt, eine Methode, die Russland beispielsweise mit der Krim und der Ukraine angewendet habe.
"Und auf den Philippinen haben wir das gesehen. Wir haben oft darüber berichtet: Seit 2014 wurden die sozialen Medien systematisch genutzt, um Fehlinformation zu säen", sagt sie. "Geschichten wie: Marcos ist der größte Führer, den dieses Land jemals hatte. Oder: Die Oligarchen haben Marcos vertrieben. Oder: Wenn Marcos Junior gewinnt, dann kriegst du, Filipino, das Geld zurück. Es ist irgendwie auf brillante Weise teuflisch."
Eine riesige Menschenmenge steht zwischen roten Fahnen und Wahlkplakaten in der Nacht auf einem weitläufigen Platz von Flutlicht angestrahlt.
Jubel in der Wahlnacht des 9. Mai in Manila: Zeitenwende auf den Philippinen, doch wohin wendet sich die Zeit?© Lena Bodewein, ARD-Studio Sinapur
Anstatt wie unter Marcos Senior die Presse zu unterdrücken, wird sie diesmal überrannt. Der Einsatz der sozialen Medien zahlt sich aus. Eine ganze Armada von Vloggern, also Videobloggern, will sich für den Präsidentenpalast akkreditieren lassen.
Sie haben kombiniert eine Abonnentenzahl von 2,3 Millionen – mehr als die meisten einzelnen Medien auf den Philippinen, schreibt das Nachrichtenportal Rappler.

Ein Präsident, der noch seinen Fokus sucht

Nur: Was sie werden berichten können, ist immer noch nicht klar. Im Wahlkampf hat sich Bongbong Marcos kaum auf ein Programm festlegen lassen und auch bei einer Pressekonferenz vor einer guten Woche wurde er nicht deutlicher: "Wir haben begonnen, unsere Politik zu verfestigen, unsere Pläne für die neue Regierung. Ich glaube, wir haben bereits einige Bereiche identifiziert.", sagte er dort. "Die Entwicklung der Wirtschaft wird eine fokussierte Anstrengung benötigen. Denn in einigen Bereichen sind wir finanziell nicht so gut ausgestattet. Wir müssen uns also fokussieren. Wir sind jetzt dabei festzulegen, wo dieser Fokus liegen wird."
Nichts Genaues und so weiter. Aber was auch immer es ist: Seine Fans werden berichten, in jeglichen sozialen Medien: "Share, like and subscribe!"

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