Margaret Atwood, "Die Zeuginnen"
Aus dem Englischen von Monika Baark
Berlin-Verlag 2019, 576 Seiten, 25 Euro
Unterhaltungsliteratur mit thrillerhaften Zügen
06:03 Minuten
Margaret Atwoods Bestseller "Der Report der Magd" endete mit einem Cliffhanger - und hat jetzt eine Fortsetzung bekommen. Vieles kommt einem in "Die Zeuginnen" bekannt vor, doch diesmal würzt Atwood mit schwarzem Humor und Thriller-Elementen.
Margaret Atwoods Bestseller "Der Report der Magd" aus dem Jahre 1985 hat eine Fortsetzung erhalten: "Die Zeuginnen". Und wie selten auf dem Buchmarkt wurde diese Fortsetzung von einem Harry-Potter-gleichen Rummel begleitet. Die Buchpremiere in London wurde live in 1000 Kinos weltweit übertragen, bevor das Buch selbst gestern nach einer riesigen Werbekampagne in vielen Ländern gleichzeitig herauskam.
In "Report der Magd" entwarf Atwood einen totalitären Zukunftsstaat namens Gilead, in dem Frauen den Männern als Gebärsklavinnen unterworfen sind. In dem fiktiven Land, das im Osten der USA angesiedelt ist, können nach einer Umweltkatastrophe nur noch wenige Frauen Kinder gebären. Umso wertvoller die Mägde, die den Machthabern zum Nachwuchs verhelfen. Der Roman endet mit einem offenen Schluss, die Heldin, die Magd Desfred, wird von einem Auto abgeholt. Sie weiß nicht, ob es sie in ein Arbeitslager bringen wird oder vielleicht doch ins rettende Ausland.
Hoffnungsvoller und mit schwarzem Humor
Der Roman "Die Zeuginnen" setzt 16 Jahre später ein. Desfred taucht nur in einer Nebenrolle am Ende auf. Es sind drei Stimmen, die das Buch erzählen: Tante Lydia, die zur Gründungsgeneration von Gilead gehörte. Sie unterzog die jungen Frauen einem brutalen Erziehungsprogramm. Jetzt steuert sie als Spielmacherin listig das Geschehen. Desfreds Tochter Agnes, die der Mutter auf der Flucht aus Gilead weggenommen wurde, ist die zweite Erzählerin: ein junges Mädchen, das sich der Zwangsheirat mit einem der alten Machthaber widersetzt. Und da ist die 16-jährige Daisy. Nach dem Tod ihrer vermeintlichen Eltern erfährt sie, dass sie als Baby aus Gilead nach Kanada verschleppt wurde. Jetzt kehrt sie als Agentin in ihr Heimatland zurück.
Für alles in dieser Dystopie, so Atwood in einem Interview vor zwei Jahren, gebe es historische Vorlagen. Nichts sei reine Erfindung. Alles habe sich schon einmal ereignet. In Nazi-Deutschland. In Chile während der Diktatur Pinochets. Im Iran der Ajatollahs. Aus diesem Wiedererkennungswert bezieht der Roman seine beunruhigende Atmosphäre. Aber auch Parallelen zur Gegenwart, die Schreckensherrschaft des "Islamischen Staates" im Irak oder in Syrien, fallen ins Auge.
Patriarchaler Terrorstaat wird zu Fall gebracht
Anders als der Vorgänger wird der neue Roman von viel grimmigem Humor getragen, was der Lektüre einen hohen Grad an Unterhaltsamkeit beschert, auch dank seiner thrillerhaften Züge und einer geschickten Dramaturgie - erst nach und nach erschließt sich das Verhältnis, in dem die Hauptfiguren zueinander stehen, bevor sie alle, ein Trio infernal, an einem Strang ziehen.
Als wäre er Atwoods Vermächtnis ist der Roman zwar weitaus weniger beklemmend, dafür hoffnungsvoller: Zu Fall gebracht wird der patriarchale Terrorstaat nicht von außen, sondern von den Frauen selbst, indem sie ihr Schicksal in die Hand nehmen. Dass Männer dabei durchweg Klischee bleiben, mag man verschmerzen. Ob dem Buch ein Platz im Klassikerolymp beschieden sein wird, darf man bezweifeln, aber ein hochspannender Pageturner ist es bis zum Schluss.