Margaret Mitchell: "Vom Wind verweht." Roman
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Liat Himmelheber und Andreas Nohl
Kunstmann, München 2020
1324 Seiten, 38 Euro
Von allen Schlacken befreit
07:23 Minuten
Lang und schwülstig finden viele das Südstaatenepos "Gone with the Wind". Das lag am Stil der alten Übersetzung "Vom Winde verweht". Neu übersetzt erstrahlt der Roman nun in ganz anderem Licht – auch wenn einige Änderungen fragwürdig sind.
Dagegen ist kein Kraut gewachsen. Wer Margaret Mitchells 1936 erschienenen und ein Jahr später mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Roman "Gone with the Wind" liest, hat unwillkürlich Filmszenen im Kopf, sieht Vivien Leigh (als Scarlett O’Hara) und Clark Gable (als Rhett Butler) vor sich und läuft Gefahr, die literarische Vorlage darüber zu vernachlässigen. Dass das ein großer Fehler wäre und ist, zeigt nun die bewundernswerte Neuübersetzung des voluminösen Romans, die Liat Himmelheber und Andreas Nohl vorlegen.
Wer Mitchells Südstaatenepos bislang auf Deutsch lesen wollte, war auf die Übertragung angewiesen, die der Schriftsteller Martin Beheim-Schwarzbach, wie die Autorin Jahrgang 1900, bereits 1937 im Goverts Verlag herausbrachte. Himmelheber/Nohl, die die Arbeit ihres Vorgängers keck als "Rohübersetzung" einstufen, haben ganze Arbeit geleistet: Sie legen den Text erstmals in vollständiger Fassung vor, gehen keiner Schwierigkeit (wenn es etwa um die exquisite Garderobe geht, die die die Damen aus Atlanta zu tragen pflegen) aus dem Weg und schlagen, anders als Beheim-Schwarzbach, keinen romantisierenden Ton an, der dem meist nüchternen Duktus Mitchells nicht gerecht wird. Den deutlichsten Niederschlag findet dieser Zugang bereits im leicht, aber markant veränderten Titel: Schweren Herzens hat man in Kauf zu nehmen, dass dem "Wind" sein poetisierendes Dativ-Schluss-"e" entrissen wird.
Erzählerisch ausgefeilter Roman
Von allen Schlacken befreit, erstrahlt Mitchells Roman plötzlich in ganz anderem Licht. Wenngleich er mit der klassischen Moderne, wie sie Virginia Woolf, Joyce, Proust oder Faulkner damals aufbrachten, wenig im Sinn hat, liest er sich als faszinierender, packender, erzählerisch ausgefeilter Roman, der – bezogen auf den Zeitraum 1861 bis 1873 – die Geschichte des Amerikanischen Bürgerkriegs und der sich anschließenden "Reconstruction" aus ungewohnt weiblicher Perspektive schildert. Zudem lässt sich in "Vom Wind verweht" nachverfolgen, wie sich Krieg und Elend, aber auch Dünkel und Verblendung im Leben der Einzelnen niederschlagen – gespiegelt an der trotz ihrer zahllosen charakterlichen Defizite so unwiderstehlichen Protagonistin Scarlett O’Hara, die keine Intrige scheuend um ihr Hab und Gut kämpft.
Mitchell schildert eine Südstaatenwelt, für die die Sklavenhaltung selbstverständlich ist. Obwohl sie mitunter mit ihren schwarzen Identifikationsfiguren wie Mammy oder Uncle Peter zur Verniedlichung neigt, wird man ihrem Roman generell Rassismus nicht vorwerfen können – es sei denn, man leugnet, dass von heute aus gesehen seinerzeit schwer erträgliche Zustände und Denkweisen herrschten.
Fragwürdige Verbesserungen
Verständlich, wenngleich im Detail problematisch ist es, wenn Himmelheber/Nohl im deutschen Text Vokabeln meiden, die inzwischen als rassistisch gelten. "Neger" oder "Nigger" tauchen somit nur in wörtlicher Rede auf, und Mitchells grammatikalisch verballhornte Redeweise der Schwarzen wird – warum eigentlich? – gegen das Original "verbessert".
Nachdenklich indes wird man überdies, wenn das Streben der Übersetzer nach moralischer Integrität dazu führt, dass – wie eigens in einer Fußnote erläutert – eine schwarze Bedienstete nicht mehr das Gesicht eines "old ape" hat. Dies, weil man es nicht mag, kurzerhand zu streichen, ist übergriffig. Gleiches ließe sich an etlichen Stellen diskutieren, so wenn still und heimlich von einem "unerring African instinct" der Schwarzen nur ein "unfehlbarer Instinkt" übrigbleibt.
So lädt die Neuübersetzung von "Von Wind verweht" nicht nur dazu ein, einen Klassiker der US-Literatur neu zu entdecken, sondern auch über aktuelle Übersetzungspraktiken zu debattieren.