Margarethe von Trotta wird 75

"Sie hat Filme gemacht, die uns alle begleitet haben"

Die Regisseurin Margarethe von Trotta posiert am 14.10.2016 in Köln auf dem roten Teppich beim International Film Award NRW im Rahmen des Film Festival Cologne.
Die Regisseurin Margarethe von Trotta beim Film Festival Cologne © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Jeanine Meerapfel im Gespräch mit Vladimir Balzer |
Freu dich, dass du so schöne Filme gemacht hast: Das wünscht Jeanine Meerapfel der Regisseurin Margarethe von Trotta zum 75. Geburtstag. "Die bleierne Zeit" und "Rosa Luxemburg" seien wichtig und unvergessen, so die Präsidentin der Akademie der Künste in Berlin.
Vladimir Balzer: Deutschlands prägendste Regisseurin, Margarethe von Trotta, wird 75 Jahre alt. Sie zeigte nicht nur selbstbewusste Frauen – Hannah Arendt, Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg. Sie kümmerte sich auch um die gesellschaftlichen Folgen der RAF-Zeit zum Beispiel, in "Die bleierne Zeit". Sie prägte dieses Nachkriegsdeutschland, das Kino dieses Nachkriegsdeutschland, und sie ist jemand, der sich irgendwann entschieden hat, nämlich gegen das Schauspielerdasein und für die Arbeit als Regisseurin. Letztes Jahr war sie auf der Berlinale zu erleben. Wir haben sie dort zum Gespräch gebeten und nach ihrer Rolle als Regisseurin befragt.
Margarethe von Trotta: Als Regisseur steht man hinter der Kamera, also man braucht sich nicht dauernd nackt fühlen und ausgesetzt. Und als Schauspieler hat man halt immer dieses Monstrum, also ich erinnere mich noch an die Jutta Lampe, die wollte eigentlich immer weglaufen, weil sie das als Monstrum empfand am Anfang. Andere Schauspieler, die wollen gar nicht nahe genug sind. Da kann die Kamera hier sein, das finden sie wunderbar, wie so eine Berührung. Aber auf jeden Fall fühlt man sich irgendwie nackt. Und da muss man beschützt werden. Und man kann beschützen, indem man sie liebt, das ist das Allerwichtigste, dass sie das Gefühl haben, ich will sie nicht denunzieren, ich will ihnen helfen, so gut zu sein wie sie nur eben können.
Balzer: Margarethe von Trotta, mit uns war sie im Gespräch, letztes Jahr auf der Berlinale, 75 wird sie jetzt, und am Telefon ist ihre Kollegin und Mitstreiterin bei der Akademie der Künste in Berlin, die Präsidentin dieser Akademie, nämlich Jeanine Meerapfel. Schönen guten Abend!
Jeanine Meerapfel: Hallo! Grüße Sie.
Balzer: Wie würden sie heute Margarethe von Trotta gratulieren, was würden Sie ihr sagen an ihrem 75. Geburtstag?

"Wir würden sie in Berlin gern öfter sehen"

Meerapfel: Ich würde ihr sagen als Filmemacherin, bitte mach weiter! Bitte mach weiter und freu dich, dass du so schöne Filme gemacht hast. Sie hat ja wirklich Filme gemacht, die uns alle begleitet haben, die eine große Wichtigkeit haben, wie Sie sagten, für Nachkriegsdeutschland. "Die bleierne Zeit" ist ein unvergessener Film, ein Film, der uns alle beeindruckt hat und der wirklich die Qualität einer Zusammenfassung der damaligen historischen Epoche hat. "Rosa Luxemburg" ist natürlich auch einer der Filme, den wir nicht vergessen werden. Sie hat viele Filme gemacht, die eine große Intensität haben und die meistens auch Frauengeschichten erzählen aus der Tiefe und aus der Kenntnis heraus. Insofern ist das eine Frau, die wir als Filmemacherin und als Frau sehr mögen. Mir tut es nur leid, dass sie weit weg lebt, dass sie meistens in Paris oder in München ist. Wir würden sie in Berlin gern öfter sehen.
Barbara Sukowa in der Rolle der Rosa Luxemburg in dem gleichnamigen Film von M.v. Trotta aus dem Jahr 1986. Der Film schildert das Leben der polnischen, in Deutschland aktiven Friedenskämpferin und Kommunistin Rosa Luxemburg von 1898 bis zu ihrer Ermordung im Jahr 1919.
Barbara Sukowa in der Rolle der Rosa Luxemburg in dem gleichnamigen Film von Margarethe von Trotta aus dem Jahr 1986.© picture alliance / dpa / Concorde Film
Balzer: Also, Frau von Trotta, falls Sie das hören, bitte öfter mal in die Hauptstadt kommen, dort, wo Jeanine Meerapfel mit der Akademie der Künste ihren Sitz hat. Gibt es für Sie also einen typischen Trotta-Moment in diesen Filmen, der immer wieder auftaucht?
Meerapfel: Ja, die Beziehung zwischen Frauen. Sie hat immer wieder genau geguckt. Sie hat, glaube ich, selbst gesagt, Leute wie Werner Herzog gehen in die Arktis. Wir Frauen gehen in die Tiefe – oder irgend so ähnlich. Ich weiß nicht, ob das Zitat haargenau ist. Aber auf jeden Fall kann man sehen, wie sie die Beziehung zwischen Frauen, zwischen zwei Schwestern, oder in der "Bleiernen Zeit" die zwei Frauen, oder in "Christa Klages". Wie sie die Beziehungen, die Frauen miteinander knüpfen, wie sie sich helfen, wie sie sich anhören, wie sie Freundschaften aufbauen, all das hat sie sehr präzise beschrieben. Das sind die Momente, die, ich glaube, auch ihr Kino auszeichnen.
Balzer: Das heißt, die Kraft dieser selbstbewussten Frauen, die sie ja oft porträtiert hat, kommt vor allem von anderen Frauen?
Meerapfel: Nein. Die Kraft kommt auch aus der Beziehung zu anderen Frauen. Oder aus der Auseinandersetzung mit anderen Frauen.
Balzer: Ich frage mich gerade, welche Rolle Männer denn nun spielen. Ist das eine Abgrenzung gegenüber Männern, ist das eine Konfrontation? Ist das der Versuch, Männer dennoch mit einzubinden?

"Man erzählt das, was man kennt"

Meerapfel: Männer sind doch immer da. Männer sind ja immer da, die kann man ja nicht sich wegdenken, das hat Margarethe von Trotta auch nicht gemacht. Auch in ihrem Kino haben Männer eine wichtige Rolle gespielt. Was weiß ich, in dem Film über die Rosenstraße geht es ja um die Männer, die die Frauen rauszuholen versuchen. Die spielen schon eine große Rolle, aber nicht so eine große wie die Frauen. Und vielleicht, weil Margarethe von Trotta, wie viele andere Filmemacherinnen, einfach mehr Bescheid weiß über Frauen als über Männer. Man erzählt das, was man kennt. Und das erzählt man am besten. Es geht um Narrative, es geht um die Form, wie man erzählt und wie tief man in einen Charakter reingeht und wie man einen Charakter darstellt. Und ich glaube, auch, weil sie selbst Schauspielerin war und weiß, was das bedeutet, kann sie sehr gut Schauspieler führen. Und man hat gesehen, wie wunderbar sie die Sukowa zum Beispiel in "Bleierne Zeit" oder in der "Rosa Luxemburg" geführt hat.
Balzer: Das Künstlerische ist ja das eine, das Gesellschaftliche das andere. Inwieweit konnten ihre Filme bisher – wir wünschen uns ja alle noch viel mehr Filme, aber die Filme, die bisher gelaufen sind in den letzten Jahrzehnten –, schon etwas gesellschaftlich bewirken für die Emanzipation der Frau zum Beispiel?
Meerapfel: Ich glaube nicht, dass man diese Dinge rechnen kann in Größen oder in Metern oder in Stunden oder in Menschenmassen, sondern man kann sie nur aus der Distanz heraus betrachten, ob diese Filme geblieben sind in der Erinnerung der Menschen, ob sie eine Bedeutung behalten haben. So wie sie erzählt wurden, nicht nur, was erzählt wurde, sondern auch wie sie erzählt wurden. Und ich denke, dass bei Margarethe mindestens zwei oder drei Filme wirklich geblieben sind in der Erinnerung.
Balzer: Die Sie erwähnt haben, die "Bleierne Zeit", "Rosa Luxemburg"?
Meerapfel: "Rosa Luxemburg". Und vielleicht auch "Das zweite Erwachen der Christa Klages", ein großartiger Film. Sie hat auch mit Schlöndorff den Film – nein, "Schwestern" hat sie auch allein gemacht.
Balzer: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Gemeinsame Arbeit.
Meerapfel: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", ein Film, den wir alle nicht vergessen haben. Ein ganz wichtiger Film, politisch, aus der politischen Zeit. Es sind Filme, die sehr bedeutend waren und sicherlich noch sind.
Balzer: Haben Sie noch einen schönen Stoff, irgendeine weibliche Geschichte, die Sie sich wünschen würden, dass Margarethe von Trotta sie verfilmt?
Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und Präsidentin der Akademie der Künste Berlin
Jeanine Meerapfel, Filmemacherin und Präsidentin der Akademie der Künste Berlin© dpa / picture alliance / Jörg Carstensen

"Stoffe, an die ich denke, werde ich selber verfilmen"

Meerapfel: Dann würde ich mir wünschen, dass ich es verfilme. Es tut mir leid. So großzügig bin ich doch nicht. Ich wünsche ihr einen sehr schönen Geburtstag und viele schöne Filme, aber die Stoffe, an die ich denke, werde ich selber verfilmen, wenn ich noch kann und Zeit habe nach meiner Akademiepräsidentschaft. Ich bin sicher, dass Margarethe von Trotta selber sehr viele Ideen hat und uns sicherlich noch mit schönen Filmen beschenken wird. Da braucht sie nicht meine Ideen, glaube ich. Aber wir unterhalten uns oft über Film, über Geschichten und so weiter, und daraus kann immer eine Idee entstehen.
Balzer: Hoffen wir, dass da demnächst vielleicht auch was im Kino wieder zu sehen sein wird. Jeanine Meerapfel, die Präsidentin der Akademie der Künste, gratuliert Margarethe von Trotta zum 75. Geburtstag. Vielen Dank für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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