Liebeserklärung an den Meister
Bis in ihre Studienzeit hinein hatte Margarete von Trotha nichts mit Filmen am Hut. Doch dann sah sie die Filme von Ingmar Bergman und "war umgehauen". Jetzt hat sie dem Regisseur mit einem Dokumentarfilm ein Denkmal gesetzt.
Susanne Burg und Patrick Wellinski: Dieses Jahr wäre die Regielegende Ingmar Bergman 100 Jahre alt geworden. Auch in Cannes hat man sich mit dem Schöpfer von "Das Siebte Siegel", "Persona" oder "Fanny und Aleksander" auseinandergesetzt. Zum Beispiel mit zwei Dokumentarfilmen. Einen davon hat die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta gemacht. "Searching for Ingmar Bergman" – "Ingmar Bergman – Vermächtnis eines Jahrhundertgenies" heißt der Film, der hier mit Standing Ovations aufgenommen wurde.
Der Film selber ist ein sehr persönlicher Einblick in die tiefe Bewunderung, die von Trotta für das Werk und den Künstler Bergman hat. Der Film beginnt auch mit von Trotta, die erzählt, dass Bergmans "Das Siebte Siegel" ihre Initialzündung war, um Regisseurin zu werden. Wir haben sie deshalb gefragt, was sie an dem Film damals so begeistert hat.
Seine Bilder sind "so tief in mich eingegangen"
Margarethe von Trotta: Na ja, ich meine, Sie waren noch nicht geboren, aber ich war ja in den 50er-Jahren schon auf der Welt, und mit meiner Mutter ging ich dann ab und zu in diese Melodramen oder Heimatfilme oder so, also Film war für uns kein Wert, also keine Kunst. Mein Vater war Maler, also wir gingen in Ausstellungen, ins Theater, in die Oper, Konzerte und so weiter, aber Film, na ja, da ging man an Sonntagnachmittagen, wenn es regnete, und sahen uns Ruth Leuwerik und so weiter an.
Als ich nach Paris kam, um dort zu studieren, hatte ich immer noch nichts mit Filmen am Hut, aber dann hab ich eben so junge Studenten getroffen, die begeistert waren von der Nouvelle Vague und mich mitgeschleppt haben. Die gingen eben permanent ins Kino und in die Cinemathek und so weiter, und da hab ich den Film gesehen, und das war zum ersten Mal, dass ich ein wirkliches Kunstwerk gesehen hab im Kino. Ich wollte vorher Malerin werden und hab sofort begriffen, das ist nicht mein Ding, da bin ich ganz unbegabt, also hab eigentlich gesucht nach einer anderen Form des Ausdrucks, wo man eben auch Musik und Theater, eigentlich alles drin vorfindet. Und das ist ja in Bergman-Filmen. Das ist natürlich auch, weil er gleichzeitig Theaterregisseur war. Also der vereint alles in einem Werk, und das hat mich umgehauen.
Burg: Gerade bei dem Film haben Sie ja dann auch in Ihrem Film eine Szenenanalyse – warum war Ihnen das wichtig? Damit auch die Zuschauer verstehen, wie er Bilder anordnet?
von Trotta: Nein, um zu sehen, wie sehr der Film mich beeindruckt hat, dass ich das so im Gedächtnis behalten hab, dass ich ihn auf diese Weise beschreiben kann. Das fängt ja eben an mit diesem dunklen Himmel und dem schwarzen Vogel, und ich hab, als ich Hildegard von Bingen geschrieben habe – meine erste Szene war ein dunkler Himmel und ein schwarzer Vogel darin, hab ich geschrieben. Ich hatte den Film lange nicht gesehen, von Bergman, das war so in mich eingegangen, dass ich mich nicht mehr an diese Szene erinnert habe. Und dann hab ich den Film noch mal gesehen und dachte, um Gottes Willen, das sieht ja so aus, als ob ich das jetzt abkupfer. Hab sofort die Szene gestrichen und hab eine andere Szene geschrieben, aber daran hab ich gemerkt, wie tief das doch in mich eingegangen ist, dass dann Bilder hochkommen, ohne dass ich's weiß, dass sie von ihm sind.
Interessantes Motiv: moderne Frauen
Wellinski: Das Spannende ist ja, dass Kollegen, die Sie interviewen, Regiekollegen, ähnliche Erfahrungen haben, dass da einfach Bilder bleiben. Sie interviewen Olivier Assayas, Sie interviewen Ruben Östlund – könnte man sagen, dass jeder Regisseur, der quasi Ingmar Bergman erfahren hat, seinen eigenen Ingmar Bergman hat?
von Trotta: Ja, jeder hat seinen eigenen Ingmar Bergman. Ich weiß ja gar nicht, wenn Ingmar jetzt den Film sehen würde, ob er sich darin wiedererkennen würde. Und manche, wie also gerade die Franzosen, die sind ja total von ihm imprägniert richtig, während der Östlund, der sagt ja, eigentlich hab ich ja nichts mit ihm zu tun, ich bin Schwede, ich leb ganz woanders, wir haben mit Bergman eigentlich … ist für uns Papas Kino. Dann muss einer aus Deutschland kommen und mich nach ihm fragen, während die Franzosen, die antworten doch gleich, als ob es der super Gott ist. Und das finde ich auch toll. Und der Carlos Saura, der dann hauptsächlich über Sex redet. Also jeder bringt da auch so seinen eigenen Blickpunkt mit rein, und das fand ich spannend.
Burg: Sie haben ja eben schon gesagt, wie Sie die Bilder, wie tief die in Ihr Bewusstsein eingedrungen sind. Was waren eigentlich die Themen und Motive, die Sie interessiert haben an Bergman?
von Trotta: Na ja, ich meine, das können Sie sich selber ausrechnen. Mit den vielen Frauen, die er beschreibt, und zwar moderne Frauen, das ist ja auch der Unterschied. Ich meine, Frauen waren immer wichtig in Filmen und die Stars aus Hollywood und so weiter, aber die waren doch immer sehr begrenzt, das waren so Archetypen. Und bei Bergman waren es einfach moderne Frauen, die er auch in Schweden vorgefunden hat, und das ist der Unterschied. Und natürlich, gut, dann hat er auch meistens noch gleich eine persönliche Relation zu ihnen gehabt, und dadurch ist er noch mehr in ihre Seele eingedrungen, also das ist schon der ganz große Unterschied. Und darin ist er wirklich ein Vorreiter.
Bergmans Filme - wie ein Album seines Lebens
Wellinski: Da fand ich auch Ihren Dokumentarfilm dahingehend spannend, weil es geht um Bergman den Künstler und weniger um Bergman den Privatmann, aber gerade bei seinem Kino, wenn ich mich an meine Erfahrungen während des Sehens seiner Filme erinnere, er ist so ein harter Autorenfilmer. Jeder Film ist quasi eine Beichte. Es geht ja auch immer um ihn, obwohl die Bilder so universell sind, dass wir uns alle drin wiederfinden. War das dann trotzdem eine bewusste Entscheidung, über Bergman den Künstler zu sprechen und, sagen wir mal, private Sachen eher rauszulassen?
von Trotta: Na ja, ich meine, ich hab ja den Daniel drin, ich hab seinen Enkel drin, ich hab die Liv drin, die ja nun auch sehr viel mit ihm zu tun hat, aber ich wollte jetzt nicht … Also das hat immer so was Voyeuristisches, das wollte ich vermeiden. Aber dass man merkt – und das ist eben auch etwas, was ich jetzt wirklich auch noch hinzugelernt hab –, wie stark jeder Film an seine eigene Biografie angeschlossen ist. Und dass er sehr deprimiert war, dann hat der eben die düsteren Filme, und so weiter. Und das war für mich fast eine Neuentdeckung. Natürlich spürt man das dem Film an, dass das was mit ihm zu tun, aber wie genau man, wenn man den Film sieht, wie so ein Album seines Lebens durchblättern kann und sehen, aha, da war er gerade deprimiert, da war er gerade da angelangt, dass man das noch mal wieder so nachvollzieht selber in Erinnerung an die Filme, das fand ich das Spannende an dieser Suche.
Burg: Sie haben ihn ja auch 1977 dann zum ersten Mal getroffen in München. Wie haben Sie ihn da erlebt?
von Trotta: Na ja, ich meine, das war einfach ein wunderbarer Mensch. Der kam zu uns als jemand, der uns kennenlernen wollte, persönlich kennenlernen wollte, und er wollte eigentlich den Volker Schlöndorff dazu überreden, dass der "Gösta Berling" macht. Das war ein Film, den er angeboten bekommen hatte für Schweden, und er wollte aber nicht nach Schweden zurück zu dem Zeitpunkt wegen dieser Geschichte, wegen dieser Steuergeschichte, und hatte wohl den Film von Volker, "Blechtrommel", gesehen und meinte wohl, dass der Volker dann der Richtige wäre. Aber der hat da gar nicht dran gedacht. Aber ich glaube, im Grunde wollte er uns kennenlernen, weil er war gerade nach München gekommen, um dort Theater zu machen, und er hatte unsere Filme schon gesehen und wollte uns einfach kennenlernen. Da kann man ja nicht einfach sagen, ich komm jetzt mal, sondern muss man einen Vorwand finden.
Wie von Trotta Bergman Mut machte
Burg: Dann dauerte es aber wieder, bis Sie ihn wiedergetroffen haben, bis zum Europäischen Filmpreis, wo Sie gemeinsam in der Jury saßen.
von Trotta: Das war 1990.
Burg: Zu dem Zeitpunkt waren Sie ja schon sehr bekannt. Inwieweit war das dann ein anderes Treffen – da hatte er Sie ja als Filmemacherin auch studiert?
von Trotta: Ja, ja, na ja, gut, er hatte uns ja alle ausgesucht. Er wollte sich seine Mitglieder selber wählen, und die sind auch alle angekommen natürlich, alle angesprungen, weil wir wollten ihn ja auch alle auf diese Weise mal kennenlernen, weil er hat immer sich verweigert, in 'ne Jury zu gehen, als Präsident. Man hat ihn in Cannes gefragt, man hat ihn in Venedig gefragt, immer wieder, und er hat immer wieder nein gesagt. Und diesmal hat er's gemacht, weil er ja auch mit Wim Wenders und István Szabó diese European Academy sozusagen zum Erliegen gebracht hat, und deswegen fühlte er sich wohl verpflichtet. Das war auch das einzige Mal, wo er das gemacht hat.
Und da hat er Jeanne Moreau und Angelopoulos und Deborah Kerr und so weiter … Und ich war eben eine seiner Ausgewählten, und das war für mich natürlich erst mal ein Ritterschlag, und dann, als er mir eben sagte, dass er meinen Film so schön fand und ihm der Film eben so geholfen hat weiterzumachen, weil er in dem Zeitpunkt sehr deprimiert war und eigentlich nicht weitermachen wollte, und ich hätte ihm mit dem Film Mut gemacht. Und ich meine, wenn einem das der Meister sagt. Ich hab ihm dann auch gesagt, ja, aber ohne dich würde ich keine Filme machen. Ja, und er sagte, was, ist das wahr, Margarethe, Margarethe, stimmt das. Ich sag, ja, und wie, also ich meine, du hast mich zum Film gebracht. Ja, und du hast mich gerettet, oder du hast mich aus der Verzweiflung geholt. Und das war doch ein schönes Gegengeschenk.
"Bergmans Ängste kenne ich genauso"
Wellinski: Daher auch "Searching for Bergman". Eine Frage noch zum Schluss: Haben Sie denn auch was gefunden, nachdem Sie nach ihm gesucht haben, wie es der Titel im Englischen zumindest suggerieren lässt?
von Trotta: Ja, ich meine, die Tiefe seines Charakters oder seines Lebens oder die Komplexität und die Widersprüchlichkeit und die Verzweiflung und die Ängste, ich meine, die kann man aus seinen Filmen heraus sehen, das sagten Sie ja eben, aber dass ich das noch mehr begriffen hab – da hab ich mich ihm eigentlich noch näher gefühlt als nur als Filmemacher, sondern die Ängste kenne ich genauso. Also existenzielle Ängste, aber auch Ängste zu versagen, dass man den Film nicht so gut hinbekommen hat. Ich meine, gut, der hat den immer hinbekommen, der hätte die Ängste eigentlich nicht mehr haben müssen, aber dass er sie trotzdem immer noch hatte, das hat mich sehr bewegt. Und jetzt bin ich wieder ein bisschen mutiger geworden, dass ich meine Ängste zulassen kann.
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