Mariä Himmelfahrt

Wie die Mutter Jesu zur Heiligen Jungfrau Maria wurde

Ein Bildnis der Jungfrau Maria in der Sophienkathedrale in Kiew
Ein Bildnis der Jungfrau Maria in der Sophienkathedrale in Kiew © dpa / pa / Dolzhenko
Von Arne Reul |
Mariä Himmelfahrt ist in Teilen Bayerns und im Saarland, aber auch in Frankreich, Spanien, Litauen, und vielen anderen Ländern ein Feiertag. Maria hat die Kunst- und Musikgeschichte geprägt wie kaum eine andere – selbst manche Atheisten freuen sich bis heute an diesen Werken.
"Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade,
der Herr ist mit dir.
Du bist gebenedeit unter den Frauen,
und gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus.
Heilige Maria, Mutter Gottes,
bitte für uns Sünder
jetzt und in der Stunde unseres Todes.
Amen."
Das Ave Maria gehört nach dem Vaterunser zu den meistgesprochenen und gesungenen Gebeten der Christen. In diesem hier erklingenden gregorianischen Choral ist es Bestandteil einer Marienmesse. Tatsächlich wird Maria, die Mutter Jesu, schon seit dem 2. Jahrhundert als herausragende Figur im Christentum angesehen. Im Laufe der nachfolgenden Jahrhunderte wird dann ihre religiöse Bedeutung weiter aufgewertet, indem ihr immer mehr heilige Attribute zugesprochen werden. So gilt sie nicht nur als "immerwährende Jungfrau", sie sei auch selbst unbefleckt empfangen worden, wie es in einem der Mariendogmen der römisch-katholischen Kirche heißt.
Aber steht das, was wir über Maria tatsächlich wissen im Einklang mit einem Marienkult, der sie zu einer anbetungswürdigen Fürsprecherin macht, die im Himmel für die Gläubigen bittet und betet? Und was ist von der sogenannten "leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel" zu halten, die an Mariä Himmelfahrt gefeiert wird?
Nicht viel aus Marias Leben überliefert
Wie Jens Schröter, Professor für Exegese und Theologie des Neuen Testaments an der Humboldt Universität zu Berlin betont, ist aus biografischer Sicht nicht viel über Maria überliefert. Und auch eine "immerwährende Jungfräulichkeit" lässt sich mit dem tatsächlichen Leben Marias nicht in Einklang bringen, wie der evangelische Theologe erklärt.
"Historisch kann man über Maria sehr wenig sagen. Es ist so, dass die älteste verlässliche Aussage im Markusevangelium ist. Und eigentlich besagt die nur, dass Jesus der Sohn der Maria ist und dass Jesus noch weitere Geschwister hatte. Also es werden bei Markus im 6. Kapitel noch einige Brüder genannt, die werden da auch namentlich aufgezählt und Schwestern. Davon kann man zunächst mal ausgehen, dass Maria eben eine jüdische Frau war, die eine Reihe von Kindern hatte und mit ihrer Familie in Nazareth wohnte. Das wäre die älteste Aussage, die wir haben im Neuen Testament."
Der bekannteste Bruder von Jesus war "Jakobus der Gerechte". Er leitete die Urgemeinde in Jerusalem. Ab dem 2. Jahrhundert setzte sich aber immer mehr die Auffassung durch, dass Maria vor, bei und nach der Geburt Jesu Jungfrau war. Wie Jens Schröter erläutert, hängt dies mit der sich schon bald durchsetzenden Überzeugung zusammen, dass Jesus mehr war als ein von Gott Auserwählter.
"Der Messias ist nach jüdischer Überlieferung eine irdische Figur, der in Israel regiert, im Auftrag Gottes handelt. Das muss nicht jemand sein, der von einer Jungfrau geboren wurde. Das hat also zunächst mal mit dieser Perspektive auf Jesus als den Christus nicht notwendigerweise was zu tun. Sondern das hängt dann in der Tat damit zusammen, dass man von Jesus dieses aussagte: Dass er Gottes Sohn ist und dass er selber sogar göttlichen Wesens ist. Und daraus erwuchs dann auch die Überzeugung, dass es mit Maria eben etwas Besonderes auf sich haben muss."
Als "Gottesgebärerin" verherrlicht
"Heil dir, Maria, Gottes Mutter, erhabener, kostbarer Gemeinbesitz der ganzen Welt. Du nie verlöschende Lampe, du Krone der Jungfräulichkeit, du Zepter des wahren Glaubens, du unzerstörbarer Tempel, du Wohnung des Grenzenlosen, du Mutter und Jungfrau, durch die die Engel und Erzengel sich freuen, die Teufel in die Flucht gejagt werden, und die gefallene Schöpfung in den Himmel aufgenommen wird."
Mit dieser emphatischen Anrede Marias versteht es Kyrill, Bischof von Alexandria, im Jahr 431 auf dem Konzil von Ephesus, die zunächst nur als "Mutter Jesu" benannte Maria als "Gottesgebärerin" zu verherrlichen. Diese Bezeichnung wird nun in der römisch-katholischen Kirche als dogmatische Lehraussage über Maria festgeschrieben. Der blühende Marienkult mit seinen vielen Fest- und Gedenktagen nahm von hier seinen Ausgang.
Die vielen bald entstehenden Lobgesänge Mariens folgen Kyrills euphorischem Duktus. Maria wird zur Mutter Gottes, Jungfrau par excellence, Beschützerin des wahren Glaubens und Anwältin der unglücklichen Sünder vor Gottes Gericht. Davon handeln auch die berühmten marianischen Antiphonen wie z.B. Ave Regina, Regina coeli, oder Alma redemptoris mater. Diese Lobgesänge wurden dem Kirchenjahr unterschiedlich zugeordnet, sodass sie schließlich täglich im Rahmen des Stundengebets gesungen werden können. In all diesen Gebeten wird Maria entweder direkt oder als Fürsprecherin angesprochen, denn die Gläubigen erhoffen sich von ihr Beistand.
In den vergangenen Jahrhunderten entstand ein riesiges Repertoire an Vertonungen, zu Ehren Mariens. Allein das „Salve Regina" wurde von den wichtigsten Komponisten aller Epochen in Musik gesetzt. Unter anderem heißt es darin:
"Wohlan denn, unsre Fürsprecherin,
deine barmherzigen Augen
wende uns zu."
Unterschied zwischen katholischer und evangelischer Konfession
"Ich habe als evangelischer Kirchenmusiker auch kein Problem in einem Konzertprogramm z.B. so ein Stück aufzunehmen, wenn man so etwas einfach auch – sei es erklärt oder in einen anderen Kontext – einbindet. Denn das Konzert ist ja nochmal was anderes als ein Gottesdienst! Im Konzert kann der Zuhörer ja auch selber das Maß bestimmen, wie weit er sich auf den religiösen Inhalt und den religiösen Text einlässt. Also ich würde dann in einem Programmheft auch eben schon schreiben – oder auch in einer Einführung – dass das großartige Musik ist, dass es aber sozusagen für die evangelische Frömmigkeit nicht denkbar ist, sozusagen diesen Text 'Ora pro Nobis' am Ende auch mitzubeten."
Der Landesmusikdirektor der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Gunter Kennel, ist zwar selbst von vielen Marienvertonungen begeistert, doch würde er die meisten nicht im Rahmen eines Gottesdienstes aufführen, da im Text Maria angebetet wird. Genau hier unterscheiden sich, wie Jens Schröter unterstreicht, auch die Auffassungen zwischen der katholischen und der evangelischen Konfession.
"Das ist immer deutlich gewesen in der reformatorischen Tradition, dass man nicht zu Heiligen betet, auch nicht zu Maria betet. Also, derjenige, der angebetet wird, ist der dreieinige Gott, aber keine Heiligen und auch nicht Maria. Diese 'Ora pro nobis-Tradition', also 'Bitte für uns bei Gott', die gibt es in der reformatorischen Tradition nicht. Und die ist von Luther auch deutlich kritisiert worden."
In der jüngeren Kirchengeschichte haben sich die Positionen offenbar noch weiter zugespitzt, was sich insbesondere an dem 1950 festgeschriebenen Dogma der Aufnahme Marias in den Himmel ablesen lässt. Auf der einen Seite könnte man natürlich sagen, dass hier etwas zur Glaubenslehre erklärt wurde, was ohnehin schon seit Jahrhunderten Geltung hatte. Doch fragt man sich, warum dies unbedingt zum verbindlichen Bestandteil des katholischen Lehrgebäudes gemacht werden musste. In dieser Hinsicht scheint die römisch-katholische Kirche Bemühungen um eine versöhnliche Annäherung der Konfessionen bewusst zu umgehen. So heißt es im Kontext dieses neuen Dogmas:
"Wenn daher, was Gott verhüte, jemand diese Wahrheit, die von uns definiert worden ist, zu leugnen oder bewusst in Zweifel zu ziehen wagt, so soll er wissen, dass er vollständig vom göttlichen und katholischen Glauben abgefallen ist."
Versöhnliches Potential
"Das ist bei der Aufnahme Marias in den Himmel oder bei der unbefleckten Empfängnis Marias ja ganz deutlich. Das sind ja keine unmittelbar auf die Funktion oder auf die Rolle Marias innerhalb der Geschichte Jesu bezogene Aussagen. Da muss man kritisch nachfragen, ob das tatsächlich ein Bestandteil christlicher Glaubenslehre sein sollte. Ich würde sagen nein, aber da kann man natürlich, je nach konfessioneller Prägung unterschiedlicher Auffassung sein."
So ist die Figur der Maria in der Vielfalt der Definitionen und Dogmen inzwischen undurchschaubar geworden. Sie steht damit auch im Kontrast zur klaren Botschaft der Evangelien und – so möchte man hinzufügen – ihrer eigenen schlichten Persönlichkeit.
Was die Musik dagegen anbelangt, so scheint es, dass einige Marienvertonungen auch aus theologischer Sicht versöhnliches Potential haben. Gemeint ist hier die Popularität vieler Magnificat- oder Stabat Mater-Vertonungen. Bei letzterem handelt es sich um ein Gedicht, das den Schmerz Marias angesichts der Kreuzigung ihres Sohnes in Worte bzw. durch Komponisten in Töne zu fassen sucht. Die Stabat Mater Vertonungen, z.B von Pergolesi, und die damit verbundenen Assoziationen bewundern viele Menschen, denen Musik etwas sagt – ob sie nun besonders gläubig sind oder nicht.
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