Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann
Roman. DuMont Verlag 2017
320 Seiten, 20 Euro
Die Welt in einem schrulligen Dorf
Die Schriftstellerin Mariana Leky besiedelt ihren Provinzroman "Was man von hier aus sehen kann" mit schrägen Typen. Ein empfehlenswertes Buch über ein Dorf im Westerwald und auch darüber, dass man im rechten Augenblick nie sagen kann, was man sagen müsste.
Mariana Lekys "Was man von hier aus sehen kann" ist ein Roman übers Aufwachsen und die erste Liebe in einem Dorf im Westerwald. Es ein Provinzroman und auch ein Liebesroman, in dem die Großmutter die wichtigste Person ist – und erst nach ihrem Tod hat ein junger Mann eine Chance.
Es findet sich auf den Bestsellerlisten, weil es Mariana Leky gelingt, auf eine ganz und gar ungewöhnliche Weise davon zu erzählen. Ihre Ich-Erzählerin ist vorlaut und weiß so ziemlich alles, jedenfalls von anderen, nicht so sehr von sich selbst, und sie sagt es auch in aller Vollständigkeit.
Sie tendiert also zur allwissenden Erzählerin und zu einer, die sich regelrecht hineinbohrt in das Kleinste, was es zu erzählen gibt. Hier ist so ein Satz, über das Dorfleben:
"Manche im Dorf mieden jede Bewegung, den ganzen Tag lang; einige sogar länger."
Das ist eine typische Wendung – Mariana Leky setzt allem noch ein Krönchen auf.
Abergläubische und Esoterikerinnen
Das Dorf im Westerwald ist klein, aber eine ganze Welt. Es ist von schrulligen Typen besiedelt: Großmutter Selma sieht aus wie Rudi Carrell, weiß es aber nicht. Der Optiker, ein enger Vertrauter, ist heillos in sie verliebt, kann es ihr aber nicht sagen. Das ganze Dorf weiß von der Liebe, aber der Optiker weiß nicht, dass das ganze Dorf Bescheid weiß.
Der Freund der Erzählerin, Martin, erzählt dauernd Geschichten von Gewichthebern und ihren Heldentaten. Er stemmt auch dauernd alles hoch, was nicht wegläuft oder festgewachsen ist. Sein Vater, der Nachbar, ist ein wilder Jäger.
Selma erschreckt das abendlich auf der Wiese auftauchende Reh, indem sie das Garagentor donnern lässt. Und so geht es weiter mit Abergläubischen und Esoterikerinnen, mit einem, der bedröhnt durch den Ort zieht und "O Du schöner Westerwald" singt, was allen auf die Nerven geht.
Der Hund stirbt nie wie im Märchen, andere aber sterben schon, besonders, wenn Selma von einem Okapi träumt – dann wird es gefährlich. Das Personal ist schrullig und liebevoll typisiert, die Situationen, in denen sich die Figuren begegnen, sind es auch und wiederholen sich dauernd, was, das wusste schon Moliere, eine Bedingung des guten Witzes ist.
Das Buch hat etwas von einem farbigen Stummfilm und wird in behutsamer Variation der Situationen vorangetrieben, bis die Erzählerin aufbrechen kann - in die Welt und zur Liebe.
Hemmungen und Hindernisse
Dieses still verrückte, sanft skurrile Buch ist wunderbar, und die Fallgruben wie Kitsch oder Sentimentalität vermeidet Marina Leky stilsicher. Ein empfehlenswertes Buch über Hemmungen und Hindernisse, darüber, dass man im rechten Augenblick nie sagen kann, was man sagen müsste.
Der Optiker gesteht der Großmutter die Liebe nicht, der Schulfreund der Erzählerin kann nur von ihnen erzählen, und der Erzählerin ergeht es nicht anders. Sie erzählt das ganze Buch hindurch immer nur um die Ecke.
Als sie voller Angst ihrem Geliebten begegnen soll, stellt sie eine Liste auf und will "weniger verstockt, weniger erschrocken, weniger besorgt" sein und eine neue Hose tragen. Die Großmutter kommentiert die Vorhaben mit: "Neue Hose finde ich gut."