Marie de Gournay

"Der Geist hat kein Geschlecht"

Im Büro des Schriftexperten Klaus-Dieter Stellmacher aus Cottbus (Brandenburg) ist eine alte Spitzfeder auf einem Schreibheft von 1880 zu sehen.
Marie de Gournay war eine überzeugte Junggesellin, die vehement ihren Status als Schriftstellerin gegen alle Kritiker verteidigte. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Ruth Jung |
Die 1565 geborene Schriftstellerin Marie de Gournay war eine Vordenkerin des Feminismus, Herausgeberin der Essays des berühmten Philosophen Michel de Montaigne − und eine unabhängige Autorin zu einer Zeit, als dies für eine Frau absolut unüblich war.
Ihr Name ist untrennbar mit dem Werk Michel de Montaignes verbunden: Die 1565 geborene Marie de Gournay war nach dessen Tod Herausgeberin der Essais des berühmten Philosophen. Dass sie ein eigenes Werk hinterlassen hat, geriet in Vergessenheit. Dabei behauptete sich Marie de Gournay als unabhängige Schriftstellerin zu einer Zeit, als dies für eine Frau absolut unüblich war.
"C'est une femme qui parle. Eine Frau spricht hier."
Selbstbewusst und resolut. So trat Marie le Jars de Gournay vor ihre Leser. Dass sie Spott und Häme ernten würde, kümmerte die "dame savante", die gelehrte Frau, wenig. Sie forderte das gleiche Recht auf Bildung und intellektuelle Entfaltung für Frauen wie für Männer. In die Wiege gelegt worden war der ältesten Tochter eines verarmten Landadeligen eine solche Haltung keineswegs, vielmehr sollte sie standesgemäß verheiratet die konventionelle Frauenrolle einnehmen. Stattdessen antwortete sie auf die seit dem Spätmittelalter tobende "Querelle des femmes", den Streit über die Frage, ob eine Frau gelehrt sein dürfe, mit ihrem eigenen Lebensentwurf: Eine überzeugte Junggesellin, die vehement ihren Status als Schriftstellerin gegen alle Kritiker verteidigte. Bitter-ironisch heißt es in der 1626 veröffentlichten Streitschrift Grief des Dames, Anklage der Frauen:
"Glücklich kannst Du Dich schätzen, Leser, wenn Du nicht jenem Geschlechte angehörst, dem man alle Güter und Tugenden streitig macht, indem man ihm die Freiheit verwehrt und fast jede geistige Fähigkeit abspricht."
Ein hochintelligentes Mädchen
Marie de Gournay, am 6. Oktober 1565 in Paris geboren, wuchs auf dem Landsitz der Familie in der Picardie auf. Gegen den Widerstand der früh verwitweten Mutter, die ihr die Sorge um die fünf jüngeren Geschwister übertrug, brachte sich das hochintelligente Mädchen selbst Lesen und Schreiben bei.
Kaum zwanzigjährig, hatte sie begeistert die damals noch wenig bekannten Essais von Michel de Montaigne gelesen und den Philosophen 1588 um ein Treffen gebeten. Er zeigte sich tief beeindruckt von der jungen Frau, die er zu seiner "Wahltochter" machte. In Marie de Gournay erkannte Montaigne seine ideale Leserin, hatte sie doch auf Anhieb das radikal Neue seines Denkens und Schreibstils verstanden.
"Diese Seele wirdeines Tages in der Lage sein, die schönsten Dinge zustande zu bringen. Ihr überaus geistreiches Urteil über meine frühen Essais, als Frau, diesem Jahrhundert angehörend, so jung noch und von einzigartigem Wesen!"
Schonungslose Selbstbeobachtung
Montaigne sollte Recht behalten. Nach seinem Tod 1592 übergab die Witwe alle Manuskripte an Marie de Gournay, die eine Neuausgabe der Essais vorbereitete. Versehen mit ihren Übersetzungen lateinischer und regionalsprachiger Passagen, wollte sie die Essais einem größeren Lesepublikum nahebringen. Montaignes Stil, seine schonungslose Selbstbeobachtung, mit der er auf ganz neue Art das fühlende und denkende Subjekt ins Zentrum rückte, beeinflusste auch Gournays Schreiben.
Mit ihrem 1594 erschienenen, ersten Buch "Der Spazierweg des Monsieur Montaigne" bezieht sie sich auf jene schicksalhafte Begegnung mit dem Philosophen. 1599 übersiedelte sie nach Paris. Es entstanden pädagogische Abhandlungen zur Mädchenbildung, Autobiografien, Gedichte und philologische Aufsätze, in denen sie den Reichtum der französischen Sprache gegen die rigiden Regeln der aufkommenden Klassik verteidigte.
"Eine Rebellin", nennt sie Michelle Perrot, Jahrgang 1928, Begründerin und "grande dame" der französischen Frauengeschichtsforschung.
"Eine Rebellin sein, heißt Nein zu sagen. Zu sagen, es reicht. Ich ertrage das nicht mehr und ich will, dass es anders wird. ... Die Rebellin oder der Rebell haben nicht notwendigerweise immer einen fertigen Zukunftsentwurf, aber sie empfinden ein Unbehagen, einen Mangel, sie lehnen sich auf. Und das ist sehr wichtig, weil es der Beginn eines Bewusstwerdungsprozesses ist, der sehr weit führen kann. Mir als Historikerin bedeutet dieser Begriff der Rebellion sehr viel."
Heute gilt Marie de Gournay als eine der Vordenkerinnen des Feminismus, hatte sie doch schon im 17. Jahrhundert erkannt, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau wesentlich aus Erziehung und Kultur resultieren. Zwanzig Jahre vor Réné Descartes argumentiert sie in der 1622 veröffentlichten Schrift "Egalité des hommes et des femmes, Zur Gleichheit von Männern und Frauen" streng rationalistisch: "Der Geist hat kein Geschlecht". Marie de Gournay starb am 13. Juli 1645 in Paris - die erste Gesamtausgabe ihrer Arbeiten erschien im Jahr 2002.
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