"Marie von Ebner-Eschenbach. Leseausgabe"

Wiederentdeckung einer glänzenden Erzählerin

Die österreichische Erzählerin und Dramatikerin Marie von Ebner-Eschenbach in einer zeitgenössischenAufnahme
Die österreichische Erzählerin und Dramatikerin Marie von Ebner-Eschenbach in einer zeitgenössischen Aufnahme © picture alliance / dpa / B0196_Votava
Von Edelgard Abenstein |
Einst wurde sie mit Fontane und Storm in einem Atemzug genannt, heute ist Marie von Ebner-Eschenbach fast vergessen. Zu ihrem 100. Todestag erscheinen ihre Werke in einer tollen Neuausgabe, die zeigt, was für eine kluge, moderne Dichterin die Österreicherin war.
In der Literaturgeschichte hat sie einen festen Platz als "Dichterin der Güte und des Mitleids": Marie von Ebner-Eschenbach (1830 –1916). Aber gelesen wird sie kaum noch. Allenfalls kennt man die rührende Hundegeschichte "Krambambuli". Dass sie einstmals eine gefeierte Autorin war, die Seite an Seite mit Keller, Fontane, Storm genannt wurde, ist vergessen. Höchste Zeit, sie neu zu entdecken.

Bestechender Witz

Die schöne Leseausgabe, die uns der hundertste Todestag der österreichischen Freifrau beschert, zeigt auf 1400 Seiten eine ungemein produktive Schriftstellerin, die Erzählungen und Romane aus völlig verschiedenen Milieus schrieb. Und sie zeigt eine moderne Autorin, die mit Witz und Liberalität des Denkens besticht.
Dem K.-u.-k.-Hochadel entstammend, setzt sie vor allem ihren Stand beißender Kritik aus, eine dünkelhafte Gesellschaft, die sich ohne jeden Selbstzweifel im Glanz ihrer Großartigkeit sonnt, und doch dem Untergang geweiht ist. Da sucht ein Aristokratenspross die passende Partie aus dem Adelskalender und betet unerkannt die Mutter seiner Erben aus der Ferne an, bis sich herausstellt, dass sie gar nicht existiert: "Drei Jahre lang war er verliebt in einen Druckfehler".
Macht und Aufstieg, Geld und Liebe, eheliche Treue – darum ranken sich viele der Geschichten, die freilich oft tragisch enden wie in dem Ehebruchsroman "Unsühnbar". Subtil porträtiert er eine junge Ehefrau, die der Scheinmoral die Stirn bietet, indem sie sich zu einem Seitensprung bekennt, und dafür – fünf Jahre vor Effi Briest – lebenslang büßen muss.

Psychologisch geschulte Beobachterin

Überhaupt ist Ebner-Eschenbach eine glänzende, psychologisch geschulte Beobachterin, wenn es um das unterschiedliche Maß geht, mit dem die Rechte für Frauen gemessen werden. Herrlich süffisant, wie ein scheinbar überlegener Gatte, der in jeder Hinsicht eine Niete ist, durch die vorgeblich mädchenhafte Bewunderung seiner jungen Frau entlarvt wird – das ist der Stoff, aus dem Schnitzler später seine Stücke machen wird.
Ebner-Eschenbachs Helden sind oft Außenseiter wie das "Gemeindekind", das sich ganz nach oben durchboxt. Und sie sind starke Charaktere wie die Magd Bozena, hinter deren aufopferungsvoller Dienstbarkeit eine temperamentvolle Frau zum Vorschein kommt. Die Autorin selbst war, obwohl zeitlebens ein anerkanntes Mitglied der besseren Gesellschaft, ziemlich unangepasst. Sie rauchte Zigarre, war eine begeisterte Reiterin, erhielt als erste Frau die Ehrendoktorwürde der Wiener Universität und absolvierte schon mal eine Handwerkerlehre, um für den Roman "Lotti, die Uhrmacherin" zu recherchieren. Die Geschichte von der jungen Geschäftsfrau, die lieber Karriere macht, als sich in einer aussichtslosen Liebesaffäre zu verzehren, liest sich wie ein Vorentwurf zu Vicki Baums Bubikopffrauen, die nach oben wollen.

Gut kommentierte Neuausgabe

So macht die wunderbar gestaltete, gut kommentierte sowie mit kundigen Begleitworten versehene Neuausgabe bekannt mit einer sprühenden Erzählerin, die auch noch sehr kluge Aphorismen geschrieben hat. Wie den, der uns erklärt, worauf es nicht nur in der Literatur ankommt: "Klarheit ist Wahrhaftigkeit in der Kunst."

Ulrike Tanzer, Daniela Strigl, Evelyne Polt-Heinzl (Hg.): Marie von Ebner-Eschenbach. Leseausgabe
Residenz-Verlag, Salzburg 2015
1400 Seiten, 75,00 Euro (Bände auch einzeln zu erwerben)

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