Marienkäfer möglicherweise hilfreich gegen Malaria

Andreas Vilcinskas im Gespräch mit Nana Brink |
Der asiatische Marienkäfer habe ein sehr starkes Immunsystem, sagt Andreas Vilcinskas, Leiter des Instituts für Angewandte Zoologie der Gießener Universität. Eventuell könnten Wissenschaftler aus seinen Substanzen Medikamente etwa gegen Malaria oder Tuberkulose entwickeln. Bis es soweit sei, würden aber wohl noch viele Jahre vergehen.
Nana Brink: Passend zur Jahreszeit beschäftigen wir uns mit Marienkäfern, aber nicht mit irgendwelchen, sondern mit dem asiatischen Marienkäfer, auch Harlekinkäfer genannt. Das ist ein ganz possierlicher Krabbler mit beinharten Eigenschaften. Genau genommen ist er eine tödliche Waffe. Anfang des 20. Jahrhunderts krabbelt er auf den Obstplantagen in Kalifornien herum und frisst die Blattläuse. Das macht er so perfekt, dass man die sechsbeinigen Läusekiller auch nach Europa schickt. Lange ging alles glatt, bis der Importkrabbler sich doch tatsächlich selbständig gemacht hat und in Heerscharen über die Gärten dieser Republik wandert und dem heimischen Marienkäfer den Garaus macht. – Andreas Vilcinskas, Leiter des Instituts für Angewandte Zoologie der Universität in Gießen - schönen guten Morgen, Herr Vilcinskas!

Andreas Vilcinskas: Schönen guten Morgen.

Brink: Wie kommt es denn, dass der Marienkäfer aus Asien so erfolgreich ist und unseren heimischen verdrängt?

Vilcinskas: Oh, da gibt es viele Studien dazu und viele Hypothesen. Wir haben uns eine davon mal angeschaut, und zwar besagt die, invasive Arten, also solche Arten, die sich weltweit ausbreiten können und sehr erfolgreich sind, die müssen ein besseres Immunsystem haben als nicht invasive. Der Hintergrund ist: wenn ich in viele Länder sozusagen verschleppt werde oder mich dorthin ausbreite, begegne ich dort immer auch neuen Krankheitserregern, gegen die ich noch nicht angepasst sein kann.

Wenn ich das also immer erfolgreich überwinden kann, muss ich ein Top-Immunsystem haben. Das war die Hypothese, die ist aber noch nie belegt worden. Vor dem Hintergrund bin ich auf die Idee gekommen, das Immunsystem des asiatischen Marienkäfers, der sich weltweit ausbreitet, mit dem Immunsystem von einheimischen Marienkäfern zu vergleichen, und dabei haben wir festgestellt, dass im Blut, in der Hämolymphe des asiatischen Marienkäfers eine ganze Reihe von Substanzen sind, die sehr gut gegen Krankheitserreger wirken.

Eine, die wir gefunden haben, das sogenannte Harmonin, das hat im Experiment gezeigt, dass es auch gegen Tuberkulose-Erreger wirkt und auch gegen den Malaria-Erreger. Andere Substanzen, die wir gefunden haben – das sind sogenannte antimikrobielle Peptide, da waren wir erstaunt. Da haben wir entdeckt, dass der asiatische Marienkäfer über 50 hat. Damit ist er auf Platz eins. Kein anderes Tier, keine andere Pflanze hat so viele verschiedene antimikrobielle Peptide wie der asiatische Marienkäfer, und das scheint zunächst die Hypothese zu bestätigen.

Brink: Also es ist ein wahrer Wunderkäfer. Muss man das nun schlimm oder toll oder bedrohlich finden, oder wie schätzen Sie das ein?

Vilcinskas: Man muss das nicht schlimm oder bedrohlich finden. Wir hier in Gießen sehen das eher als nützliche Eigenschaft des Marienkäfers. Neben dem Institut an der Uni leite ich auch noch eine Fraunhofer-Projektgruppe und wir betreiben Insekten-Biotechnologie.

Brink: Was ist das? Das müssen Sie erklären.

Vilcinskas: Grundsätzlich ist das die Anwendung, definieren lässt sich das als die Anwendung von biotechnologischen Methoden, um Insekten oder ihre Moleküle in Produkte und Dienstleistungen zu verwandeln. Das klingt ein bisschen abgehoben, aber ich will es noch mal kurz erläutern. Die Insekten gelten als die erfolgreichste Tiergruppe oder Organismengruppe auf der Erde, wenn man die Biodiversität als Maßstab anlegt, also die Vielfalt. Mit über einer Million beschriebenen Arten sind es die vielfältigste Gruppe. Ich bin davon überzeugt, dass sich diese Biodiversität, die man auf der Artebene sieht, auch auf der Molekülebene widerspiegelt. Das heißt, die sind eigentlich ein riesengroßer Wirkstoffschrank, wenn man es so sieht, und es geht nun darum, gezielt diese neuen Wirkstoffe zu entdecken und für die Menschheit nutzbar zu machen.

Brink: Kann man das sagen, dass dieser possierliche Krabbler, der es jetzt schon geschafft hat, den heimischen Marienkäfer zu verdrängen, nützlich sein kann, um Medikamente dann auch für den Menschen herzustellen?

Vilcinskas: Ja, das ist unsere Hoffnung, unsere, sagen wir mal, unsere Vision, die wir haben, und wir sind insofern erfolgreich, als wir schon verschiedene neue Moleküle gefunden haben, die vielversprechende Eigenschaften besitzen.

Brink: Nennen Sie doch mal ein paar Beispiele. Wo kann das eingesetzt werden oder wo kann das praktikabel sein?

Vilcinskas: Einer ist dieses Harmonin, das wir gefunden haben. Das habe ich ja gesagt:
Das wirkt gegen Malaria. Und da war das Interessante, dass es sogar gegen verschiedene Entwicklungsstadien des Malaria-Erregers wirkt. Die bisher eingesetzten Anti-Malaria-Mittel sind immer nur gegen einzelne Stadien und jetzt kann man ein solches Molekül, das diese Eigenschaft hat, leichter entwickeln. Das dauert allerdings Jahre, da ist viel Forschungsaufwand notwendig, um daraus ein neues Anti-Malaria-Medikament zu entwickeln.

Oder wir haben zum Beispiel festgestellt, dass es gegen den Tuberkulose-Erreger besonders gut wirkt. Wir wissen noch nicht warum, das können wir nicht erklären, aber wir sehen auch da eine Möglichkeit, solche Moleküle zu nutzen, sozusagen als Leitstruktur, um jetzt ein neues Medikament, ein neues Antibiotikum beispielsweise zu entwickeln.

Brink: Faszinierend für einen Wissenschaftler, man hört es Ihnen wirklich an. Dann müssten Sie eigentlich die heimischen Gärtner, die ja wahrscheinlich ein bisschen verärgert sind, dass dieser Käfer nun kommt und ihre eigenen Marienkäfer frisst, motivieren und sagen, bringt uns die Tiere, damit wir mit denen arbeiten können. Das ist vielleicht ein bisschen platt gesagt, oder?

Vilcinskas: Das ist nicht nur platt gesagt. Es ist so, dass uns viele Menschen anrufen. Besonders im Herbst kommt das häufig vor. Die asiatischen Marienkäfer sammeln sich dann an bestimmten Hauswänden, oft zu Tausenden, und viele Mitbürger, die das nicht kennen, sind dann erschrocken über die tausend Käfer, die dann ins Haus eindringen, und dann rufen die an und wir bitten dann darum, schickt uns die doch. Die Mutter eines Kollegen, Heiko Vogel vom Max-Planck-Institut, die hat immer Tausende Marienkäfer geschickt und die werden alle für unsere Untersuchungen dann auch verwendet, weil es sehr aufwendig ist, die zu züchten. Im Winter zum Beispiel müssen wir erst Bohnen anbauen, auf den Bohnen Blattläuse züchten und dann darauf die Marienkäfer setzen. Das heißt, wir können nicht Tausende sozusagen dauernd produzieren für die Experimente. Das ist schwierig.

Brink: Also keine Angst vor dem asiatischen Marienkäfer – schönen Dank! Andreas Vilcinskas war das, der Leiter des Instituts für angewandte Zoologie. Ein Aufruf an alle Gärtner: bringen Sie Ihren asiatischen Marienkäfer dort ans Institut, dann kann er auch noch nützlich sein. Schönen Dank für das Gespräch, Herr Vilcinskas.

Vilcinskas: Bitte schön!


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