Marilyn Manson: "We Are Chaos"

Großer Depressionspop

10:24 Minuten
Ein Mann in einem kurzärmerligen dunklen Hemd steht an einem Mikrofon. Er hat tätowierte Unterarme, eine Gesichtshälfte ist schwarz bemalt.
Sänger Marilyn Manson bei einem Konzert in Aarhus 2018: "We are Chaos" sei sein David-Bowie-Album, meint Tobias Rapp. © Gonzales Photo
Tobias Rapp im Gespräch mit Andreas Müller |
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Eine erstaunlich gelungene Platte nennt der "Spiegel"-Kulturjournalist Tobias Rapp das neue Album des einstigen Schockrockers Marilyn Manson. Man spüre die Freude des Künstlers, aus Depression Kunst zu machen.
Andreas Müller: Es gab einmal eine Zeit, da galt der Rockstar Marilyn Manson als der gefährlichste Mann Amerikas. Und Manson selbst nahm diese Rolle gerne an. Als Düstermann berief er sich auf die Freiheit der Kunst. Das ist lange her.
Und beim neuen Marilyn-Manson-Album "We Are Chaos" gibt es nicht einmal mehr eine Kontroverse darum, dass es am Jahrestag der Anschläge vom 11. September erschienen ist. 51 Jahre alt ist Manson mittlerweile, "We Are Chaos" sein elftes Album. Und die Welt hat sich mehrmals weitergedreht: Was hat er jetzt noch zu sagen?
Tobias Rapp: Es verwundert im Nachhinein doch sehr, dass es nicht wenige Leute gab, die den Rockmusiker Marilyn Manson Ende der 90er für wirklich gefährlich hielten. Ihm wurde sogar vorgeworfen, mit seiner Musik und seinen Videos für das Massaker an der Schule in Columbine mitverantwortlich zu sein. Er wehrte sich damals sehr eloquent, trat auch in Michael Moores Film "Bowling for Columbine" auf.

"Vermischung von Traum und Albtraum"

Damals gab es monatelang kein größeres Thema in den USA als die Lewinsky-Affäre des Präsidenten Bill Clinton. Heute ist Donald Trump Präsident, der einer Porno-Darstellerin Geld zahlen ließ, damit sie über eine Affäre schweigt. Es ist immer ein Problem, wenn man mit seinen Prognosen recht behält. Diese Vermischung von amerikanischem Traum und Albtraum, für die Marilyn Manson immer stand, ist heute Realität.
Müller: Was für eine Platte ist "We Are Chaos"?
Rapp: Für mich ist "We Are Chaos" eine erstaunlich gelungene Platte. Er macht das, was er schon lange hätte machen können, nämlich einfach eine Platte über Depressionen aufzunehmen.
Das Album als Ganzes ist ganz großer Depressionspop, eingespielt mit einer Freude, dass ich mir kaum vorstellen kann, dass es Manson selbst schlecht geht gerade. Da ist eher ein Mann, der sich erinnert, wie es war, als es ihm schlecht ging – und der weiß, wie man daraus große kaputte Musik macht. Oder wie er es in einem Song sagt: "I eat glass / I spit diamonds".
Künstlerisch würde ich sagen, dass "We Are Chaos" sein David-Bowie-Album ist. Er hatte ja immer schon eine gewisse Nähe zu Bowie, in der Art, wie er sich inszeniert hat. Aber nun sucht der sie auch musikalisch, der Titelsong etwa, in der Art, wie er singt, das ist schon sehr nah an Bowie.
Müller: Sie sagten zu Anfang, dass Manson die aktuelle Krise, in der die USA steckt, vorweggenommen hat. Wo findet sich das in der neuen Platte?
Rapp: Das Geheimnis von Marilyn Manson war ja, dass er sich in seiner Musik nur ganz selten explizit geäußert hat. Wenn es gar nicht anders ging, wie eben nach dem Massaker von Colombine zum Beispiel.
Manson, wie der Rapper Eminem oder die Industrialband Nine Inch Nails setzten in den 90ern das Prinzip "Schockstar" in die Welt. Es beruhte darauf, krasse Dinge in die Welt zu schreien und dann darauf zu warten, dass eine Reaktion kommt. Die kam immer. Dann berief sich der Schockstar auf die Freiheit der Kunst, und darauf, dass für dunkle Fantasien Platz sein müsste.

Die USA sind nicht mehr optimistisch

Diese Welt gibt es nicht mehr. Der Wunsch, dass die Kunst nett sein müsse und nicht verstören dürfe, ist heute in den USA von den Elternverbänden zur Linken übergewechselt, die im Namen der politischen Korrektheit glaubt, bestimmte Dinge untersagen zu wollen. Gleichzeitig sind die USA eben nicht mehr dieses prosperierende, optimistische Land der Neunziger, dieses eigenartige verklemmte Clinton-Land. Sie sind Trump-Country. Hier kann keine Verlogenheit mehr demaskiert werden. Unter Trump ist die Lüge offizielle Politik.
Müller: Wahrscheinlich ist es ziemlich klug von Manson, in so einer Situation einfach das zu machen, was er am besten kann: seine Depression feiern.
Rapp: Es gab immer wieder Vorwürfe gegen Brian Hugh Warner, den Frontmann von Marilyn Manson. Er habe Frauen belästigt, Leute rassistisch beleidigt. Zuletzt war sogar von Vergewaltigung die Rede. Die Schauspielerin Evan Rachel Wood, eine Ex-Freundin von Manson, behauptet das. Was ist da dran?
Müller: Diese Vorwürfe gibt es schon lange. Warner ist tatsächlich nie verurteilt worden, auch wenn es mehrmals Ermittlungen gegen ihn gab. Ich finde es sehr schwierig, aus der Ferne darauf zu antworten. Drei Sachen vielleicht.
Erstens: Wer die Autobiografie von Manson gelesen hat, weiß, dass dieser Mann eine komplizierte Persönlichkeit hat. Wer einen netten, sympathischen Künstler sucht, wird ihn bei Manson nicht finden. Manson geht es immer darum, Regeln zu verletzen, und seine Autobiografie ist voller Sex-Geschichten, die von besonderen Vorlieben zeugen. Wer sich in Mansons Nähe begibt, wird Teil von Psychospielen. Daraus macht Manson auch kein Geheimnis. Er ist verliebt in seine Selbstinszenierung.
Zweitens: Man muss die künstliche Persönlichkeit und den echten Menschen auseinanderhalten. Wenn Manson in der Öffentlichkeit steht, ist er diese böse Figur aus der amerikanischen Unterwelt und verhält sich dementsprechend.

"Ein sehr kluger, sensibler Gesprächspartner"

Drittens: Ich habe ihn einmal getroffen. Am Rande einer Ausstellung seiner Bilder. Er ist ja ein talentierter Maler, das Cover des neuen Albums ist ein Selbstporträt. Das war eine ganz große Inszenierung. Man musste durch eine Menge Räume und Türen, bis man bei ihm angelangt war, wie ein Fürst der Finsternis wartete er da auf mich. Und ich muss sagen, dass er ein sehr kluger, sensibler Gesprächspartner war. Mit einem sehr klaren Blick auf die Welt und auf seine eigene Rolle in dieser Welt. Wobei das natürlich auch wieder nur eine Maske war.
Die Schriftversion des Interviews unterscheidet sich aus Gründen der Lesbarkeit teils vom Wortlaut des Live-Gesprächs.
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