Marilynne Robinson: "Gilead"

Die Liebe des Pastors

Eine Kirche in Whitesville, West Virginia, USA
Eine Kirche in Whitesville, West Virginia, USA © picture alliance / dpa / EPA / David Maxwell
Von Manuela Reichardt |
Ein Pastor weiß um seinen nahen Tod – und will nichts anderes mehr, als seinem kleinen Sohn von sich zu erzählen. Marilynne Robinson schreibt in "Gilead" mit einer kraftvollen Sprache von Liebe, Glaube und den Härten des Lebens.
Ein alter Pastor schreibt einen Brief an seinen siebenjährigen Sohn. Er wird ihn nicht aufwachsen sehen, aber er will ihm seine Sicht auf das Leben, den Glauben und die Liebe hinterlassen.
Für diesen ersten Band ihrer Heimat-Trilogie bekam die 1943 geborene Autorin 2004 den Pulitzer Preis. Bei uns wurde sie vor zwei Jahren mit dem letzten Teil dieser Reihe bekannt, der seltsamerweise als erste Übersetzung erschien.
In "Lila" wird eine Lebens- und Ehegeschichte aus weiblicher Perspektive erzählt. Eine junge Frau, der das Schicksal in den amerikanischen Rezessionsjahren nicht gut mitgespielt hat, heiratet einen alten Prediger – und findet dabei das Glück und den christlichen Glauben.
Aus der Perspektive ihres Ehemannes wird ein Teil dieser Geschichte in "Gilead" neu und anders erzählt. Der alte Pastor weiß um seinen nahen Tod und er will nichts anderes mehr als dem kleinen Sohn von sich erzählen. Warum er wurde, wie er ist, wie er die Mutter kennen- und lieben lernte, woran er glaubt und woran er zweifelt. Woher er kommt.

Ein geradezu christusgleicher Ort

Seit Generationen lebt seine Familie in Gilead, einer kleinen Stadt im tiefen Westen. Er liebt die Prärie, er ist nicht fortgegangen wie sein Bruder, der als Atheist zurückkam. Er ist geblieben und hat sich beschieden. Ein demütiger, aber kein beschränkter Mann der Bibel. "Ich finde es geradezu christusgleich, so schmucklos zu sein, wie dieser Ort ist, so wenig geachtet." Seit Generationen waren seine Vorfahren Pastoren. Der Großvater kämpfte gegen die Rassentrennung und unterstrich seine Predigten schon mal mit dem Gewehr, der Vater dagegen war ein Mann des Pazifismus. Er selber, dieser alte John Ames, legte Zeit seines Lebens die Bibel aus. Auf dem Dachboden bewahrt er seine Predigten aus den vergangenen Jahrzehnten auf. Seine Gemeinde ist geschrumpft, die Kirche baufällig.

Obama schwärmt vom Roman und seiner Hauptfigur

2012 erhielt Robinson die National Humanities Medal, die ihr von Präsident Barack Obama verliehen wurde.
2012 erhielt Robinson die National Humanities Medal, die ihr von Präsident Barack Obama verliehen wurde. © picture alliance / dpa / Pete Marovich / Pool
Als Barack Obama Marilynne Robinson im vorigen Jahr in Iowa besuchte (das eindrucksvolle Gespräch zwischen dem Präsidenten und der Autorin wurde abgedruckt in "The New York Review of Books"), schwärmte er von diesem Roman und seiner Hauptfigur: Diesem gütigen und vornehmen Pastor, der versucht, den Glauben in Einklang mit dem Leben zu bringen. Ein eindrucksvoller Protagonist, der in der Tradition des protestantischen Zweiflers steht, der – wie Obama betonte – sich damit herum schlägt, dass es nicht leicht ist, ein guter Christ zu sein:
"Well, that's one of the things I love about your characters in your novels. It's not as it fit's easy for them to be good Christians..."

Über Allem steht die Liebe

Dass überhaupt das Leben nicht leicht ist, dass es ebenso wie der Glaube errungen werden muss, dass aber über allem die Liebe steht – wie es im 1. Korinther 13 heißt: und hätte der Liebe nicht, so wäre mir 's nichts nütze – davon erzählt in einer eindringlichen und kraftvollen Sprache dieser Roman, in dem es nicht zuletzt darum geht, dass nur wer die Vergangenheit kennt, die Zukunft meistern kann. Am Ende wünscht der alte Pastor seinem Sohn, dass er tapfer sein und in einem tapferen Land versuchen möge, sich nützlich zu machen. Darin liegt der Kern dieses ungewöhnlichen Buchs. Und der Kern des amerikanischen Traums.

Marilynne Robinson: Gilead
Aus dem Amerikanischen von Uda Strätling
S.Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2016
318 Seiten, 20 Euro

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