Marilynne Robinson: "Zuhause"
Roman, aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018
430 Seiten, 22 Euro
Der verlorene Sohn
Marilynne Robinsons Roman-Trilogie liegt mit dem jetzt erschienenen zweiten Teil "Zuhause" nun auch auf Deutsch komplett vor: Ein verlorener Sohn kommt nach Hause und findet einen trinkenden Vater und eine traurig das Haut hütende Schwester vor.
Mit diesem (vor zehn Jahren im Original erschienen) Band wird die Übersetzung der Roman-Trilogie der bedeutenden amerikanischen Autorin Marilynne Robinson abgeschlossen. Die einzelnen Bände sind bei uns in merkwürdiger Reihenfolge erschienen. "Zuhause" ist der zweite Teil: Nach 20 Jahren kehrt da ein verlorener Sohn heim nach Gilead, einem Provinznest im amerikanischen Westen. Acht Kinder sind im alten Haus des Geistlichen und seiner Frau aufgewachsen.
Alle sind sie mehr oder weniger gut geraten, haben den christlichen Glauben und die Gebräuche ihrer Kindertage ins Erwachsenenleben retten können, sind den Eltern verbunden geblieben. Nur dieser eine Sohn war stets der Außenseiter und Tunichtgut. Er hat gestohlen und gelogen, das College ohne Abschluss verlassen, die Eltern hintergangen und enttäuscht, ist nicht einmal zur Beerdigung der Mutter gekommen. Er war im Gefängnis, ist ein notorischer Trinker – und nun am Ende seiner Kräfte.
Langsam wachsendes Zutrauen
Im Elternhaus wartet der alte kranke Vater sehnsüchtig auf ihn – und die jüngste Schwester, die auf einen Heiratsschwindler hereingefallen war und nun, angeschlagen, wieder zu Hause lebt. Zwei Jahrzehnte lang hat sie auf der Straße immer wieder in fremden Männern gemeint, den Bruder zu erkennen.
Marilynne Robinson erzählt eindrucksvoll von diesem verlorenen Sohn und der Wiederbegegnung mit dem Vater, dem er stets das liebste seiner Kinder war, weil er sich um ihn besonders sorgte, weil er ihn nicht verstand. Ins Zentrum stellt sie aber das langsam wachsende Zutrauen zwischen Bruder und Schwester. Am Ende wird sich nichts geändert haben: Er wird gehen und sie bleiben, ihre Träume von einem anderen Leben in einem Haus ohne Vergangenheit werden sich nie erfüllen. Sie ist zur traurigen Hüterin des Zuhauses bestimmt.
Zwei Verlorene und Geschundene treffen aufeinander und in großen erzählerischen Schleifen erfahren wir vom Leben dieser beiden Menschen, von der ewig Braven und dem über alle Stränge schlagenden vor der Zeit gealterten Säufer.
Eine Frage des Glaubens
Der Vater ringt mit dessen Seele und der Frage nach der eigenen Schuld. Sein Freund, wie er ein alte Prediger (in den anderen beiden Teilen der Gilead-Trilogie eine zentrale Figur), kann dem Heimgekehrten nicht verzeihen, predigt ihm seine Verfehlungen von der Kanzel herab. Es geht – wie immer bei dieser ungewöhnlichen Autorin – um die Frage des Glaubens, um die Frage nach der Vorherbestimmtheit der Sünde, vor allem aber um Gnade. Und es geht auch um Rassismus und dessen Überwindung durch Liebe.
Das mag allzu pathetisch klingen, und das Ringen um den rechten Gottesglauben scheint auch nicht allzu aktuell. Wie Marilynne Robinson diese großen Fragen jedoch auflöst in Alltagsszenen aus einem Pfarrhaus, in literarisch genau instrumentiere Gespräche, Erinnerungen an Kindheitseinsamkeit und kühl beschriebene große Emotionen, das zeugt von einer großen erzählerischen Kraft. Und die Frage nach der Trennung zwischen Schwarzen und Weißen wird unvergesslich in einer einzigen Szene lebendig.