Marina Abramovic: "The Cleaner" - Retrospektive
vom 20. April bis 12. August 2018
in der Bundeskunsthalle Bonn
Starkes Statement mit dem eigenen Körper
Marina Abramovics Performances faszinieren und verstören - und sie leben vom Moment. Kann man das in einer Ausstellung nacherfahrbar machen? Darüber sprechen wir mit Museumsleiter Rein Wolfs, der in der Kunsthalle Bonn eine Abramovic-Retrospektive zeigt.
Dieter Kassel: Die Kunst von Marina Abramovic nicht zu verstehen oder nicht zu mögen, oder auch das eine in Folge des anderen, das ist natürlich möglich. Von ihr unberührt zu bleiben, wenn man sie zum Beispiel schon einmal bei einer ihrer Performances erlebt hat, das geht, glaube ich, eher nicht. Wenn sie zum Beispiel ihren Körper mit einem Messer ritzt, sich nackt auf einen Eisblock legt, mit ihrem Partner 20 Minuten lang ohne Unterbrechung Ohrfeigen austauscht oder einfach auch nur stur anwesend ist, wie bei "The Artist Is Present", für viele eine der unspektakulärsten Aktionen, die sie gemacht hat.
Nachgestellte Performances
Dem würde ich widersprechen. Aber wenn man irgendwas davon oder auch die vielen anderen Dinge schon mal erlebt hat, dann ist man davon deutlich berührt. Eine große europäische Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle will das jetzt alles nacherfahrbar machen. Sie blickt zurück auf das Werk der inzwischen 71-Jährigen, aus Belgrad stammenden Künstlerin, und deshalb hat der Intendant der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs, für uns seine Fahrt von B nach B sozusagen, von Bern nach Bonn, unterbrochen, steht am Rande der Autobahn, um jetzt mit uns zu reden. Schönen guten Morgen, Herr Wolfs!
Rein Wolfs: Ja, guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Nichts von dem, was ich gerade beschrieben habe – und das war ja nur ein kleiner Ausschnitt aus dieser langen Reihe von Performances –, nichts von dem können Sie doch eigentlich wirklich zeigen in der Retrospektive, oder irgendwie doch?
Wolfs: Irgendwie doch. Man macht heute auch sogenannte Re-Performances, das heißt, man lässt andere Performer auftreten im Sinne der Künstlerin, die werden von den Künstlerinnen ausgebildet, und die machen das, was die Künstlerin auch gemacht hat. Es gibt historische Performances von Abramovic, da ist zum Beispiel eine, die kennt man, das ist ein ikonisches Ding sozusagen. Da ist sie damals mit ihrem Partner Ulay in den 70er-Jahren in einem Türrahmen gestanden am Eingang einer Ausstellung, und beide waren nackt, beide auf einer Seite im Türrahmen, und da musste man sich durchzuquetschen versuchen als Besucher. Das ist eine Performance, die wir nachperformen. Da stehen jeden Tag zwei junge Menschen nackt in diesem Türrahmen, und dann geht man vom einen zum anderen Raum zwischen denen durch.
Kassel: Diese Re-Performances oder Reenactment, wie es ja manchmal auch genannt wird, das hat die Abramovic ja lange Zeit abgelehnt, das mochte sie nicht. Aber diese Einstellung hat sich offenbar bei ihr verändert?
Wolfs: Diese Einstellung hat sich nicht nur bei ihr verändert. Sie hat sich überall verändert, denke ich. Bei vielen Performance-Künstlern ist irgendwann das Bewusstsein gekommen, dass es auch nachhaltig sein muss. Es muss nicht immer alles für die Ewigkeit gemacht sein, aber man sucht nach Lösungen, wie man auch später, nach dem Tod auch damit weitergehen kann. Und die wirklich wichtigen Performances verdienen, denke ich, auf diese Art und Weise nach-performed, reenacted, wie Sie auch sagen, zu werden.
"Kunst nachhaltig erfahrbar machen"
Kassel: Aber bei einer Retrospektive will man natürlich einen Blick auf das Gesamtwerk eines Künstlers, in dem Fall einer Künstlerin ermöglichen. Funktioniert es denn zum Beispiel auch – ich unterstelle einfach mal, das tun Sie ja auch, wenn man die Performances von damals auf Videos zeigt oder vielleicht in Fotoreihen?
Wolfs: Das funktioniert natürlich auch, und das war natürlich bei der frühen Performancekunst von Anfang schon eine Möglichkeit, um die Kunst auch nachhaltig erfahrbar zu machen. Das Video, das Sie genannt haben, wo die beiden sich dauernd ohrfeigen, das ist auch immer noch sehr eindrücklich, wenn man das groß vor sich sieht, und wenn man das hört, das Klatschen der Hände auf die Gesichter – man ist mit da drin. Das ist etwas anders, als es vor 40 Jahren genau ausgeführt wurde, aber trotzdem, man kriegt das mit, und man ist mit einer medialen Distanz sozusagen eigentlich doch mittendrin.
Kassel: Apropos mittendrin – wie kommt man eigentlich rein in diese Ausstellung, also wie führen Sie Ihre Besucher, ab morgen ist sie ja dann wirklich für jedermann zu sehen, wie führen Sie sie da durch? Haben Sie das mehr oder weniger chronologisch, nach Kunstformen, nach Themen aufgeteilt?
Es geht auch um Abramovics Anfangsjahre
Wolfs: Nicht ganz chronologisch. Wir fangen an mit "The Artist Is Present". Das ist diese große Performance, die sie in New York im Moma gemacht hat in 2010. Die zeigen wir allerdings auf der medialen Ebene, auf der mediatisierten Ebene. Da sehen Sie sehr viele Videobilder von dieser eindrücklichen Performance, wo sie drei Monate lang jeden Tag von morgens früh bis abends spät auf einem Stuhl gesessen hat und immer wieder neue Besucher sich gegenübergesetzt hat. Das zeigen wir als Einstieg, um klarzumachen, dass the artist tatsächlich irgendwie anwesend ist in dieser Ausstellung "The Artist Is Present". Und dann geht es eigentlich zurück zu den Anfangsjahren, da geht es auch zurück zu den frühen Malerein und Zeichnungen. Sie hat ja angefangen als eine akademische Künstlerin sozusagen. Sie hat damals in Belgrad und in Novi Sad studiert. Und dann geht es chronologisch weiter.
Kassel: Sie hat mal selbst – oder mehrfach, wenn sie Interviews gegeben hat, auch Fragen beantwortet dazu, was sie eigentlich davon hält, wenn Zuschauer, Besucher ihre Kunst als verstörend empfinden. Und sinngemäß hat sie dann immer gesagt, ja, das ist in Ordnung, wenn darauf vielleicht irgendwann ein Verstehen folgt, finde ich, ist es eigentlich auch in Ordnung. Wie legen Sie denn diese Ausstellung an? Wollen Sie eher zum Verstehen ihrer Kunst beitragen, oder wollen Sie auch zum Teil selbst neu verstören?
Wolfs: Was ist Verständnis, was ist Verstehen? Das ist eigentlich vieles, das kann auch Verstörung sein zum Teil. Ich denke, die Ausstellung lässt nicht unberührt. Sie kann nicht unberührt lassen, und das ist ein großer Gewinn in der Kunst. Kunst, wo man dran vorbeigeht und letztendlich das Gefühl hat, dass man unbeteiligt ist und dass man etwas gesehen hat, was austauschbar sein könnte mit anderen Kunstwerken, ist für mich dann letztendlich weniger interessant als eine Kunst, die gewissermaßen auch einen Schockeffekt gibt. Nicht um des Schocks willen, aber wir müssen und im Klaren sein, die Kunst der späten 60er-, die Kunst der 70er-Jahre hat natürlich auch gewisse Tabus durchbrechen müssen und durchbrechen wollen, und das ist auch sehr wertvoll gewesen für die weitere Entwicklung.
Man muss aushalten, dass da die Künstlerin sitzt
Kassel: Interessant ist, wie ich ja finde, ich hab das vorhin schon angedeutet, viele sagen ja, diese Performance "The Artist Is Present", wo Sie sich ja sogar entschlossen haben, das sieht man als Erstes, wenn man in die Retrospektive kommt – viele sagen, ja, gut, im Vergleich zu vielem anderem, was sie gemacht hat, ist das sehr unspektakulär. Wörtlich genommen, ja, aber ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich fand das fast am spektakulärsten. Denn das auszuhalten, dass da die Künstlerin sitzt, man weiß es, die sitzt hier jetzt schon den ganzen Tag, seit Tagen, und guckt einen bloß an. Das fand ich fast schwieriger als zuzusehen, wie Sie geohrfeigt wird, oder anderes.
Wolfs: Ich fand es ungemein eindrücklich. Ich war damals mal in New York für einen Tag und bin dann stundenlang auch da gewesen. Und mit mir sind während dieser ganzen Ausstellungszeit, ich glaube, 900.000 Besucher gewesen, die gefesselt dagestanden sind und die dies Live-Event sozusagen wirklich gefesselt miterlebt haben. Und ich fand es eindrücklich, und ich denke, dass viele das eindrücklich gefunden haben. Menschen haben geweint, haben Emotionen gezeigt. Da war wirklich eine menschliche Präsenz in all ihren Stärken und auch Schwächen zum Teil anwesend. Und das hat Eindruck gemacht.
Kassel: Sie haben vorhin hier noch einmal gesagt, wie provozierend diese Form der Kunst in den 60er-, 70er-Jahren regelrecht sein musste. Marina Abramovic hat aber selbst vor gar nicht langer Zeit im Interview gesagt, in Krisenzeiten habe die Performancekunst immer Hochkonjunktur. Da wir ja doch Krisenzeiten haben im Moment – hat in Ihren Augen die Performancekunst jetzt Hochkonjunktur?
Wie sind Performances heute?
Wolfs: Ja. Ich weiß nicht, ob das eine immer mit dem anderen zu tun hat, aber sie hat Hochkonjunktur. Man sieht, dass in der Kunst, in der jungen Kunst auch immer wieder neue Performances aufgeführt werden. Die Performances sind etwas anders als früher. Meistens sind sie weniger körperbezogen, wie sie das in den 70er-Jahren waren. Damals hat man mit dem eigenen Körper experimentiert, man hat sich quasi bloßgestellt. Heutzutage sind Performances vielleicht doch etwas anders gelagert, etwas sprachlicher oder kommen vielleicht näher ans Theater. Damals hat man die Möglichkeit gesucht, mit dem eigenen Körper ein ungemein starkes Statement zu machen. Und Abramovic ist, denke ich, die Vertreterin dieser Kunstgattung aus der Zeit.
Kassel: Was man in Bonn jetzt bald selbst erleben darf. Herr Wolfs, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch, und da Sie ja, wie erwähnt, am Rande der Autobahn stehen, wünsche ich Ihnen jetzt noch gute und schnelle Fahrt nach Bonn. Danke schön!
Wolfs: Herzlichen Dank Ihnen!
Kassel: Rein Wolfs war das, der Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn, wo ab morgen offiziell die große Marina-Abramovic-Retrospektive unter dem Titel "The Cleaner" zu sehen ist. Und man kann sie dann in der Bundeskunsthalle sehen, und, in dem Fall kann man das, glaube ich, so nennen, auch erleben, bis zum 12. August dieses Jahres.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.