"Politik soll glücklich machen"
Das Internet hat ihr Leben geprägt: Marina Weisband trat 2009 den "Piraten" bei, wo sie 2011 politische Geschäftsführerin wurde. Inzwischen ist Weisband bei der Piraten-Partei ausgetreten und engagiert sich für direkte Demokratie.
Mit vier Jahren brachte sie sich selbst das Lesen bei – "aus Verzweiflung", wie Marina Weisband erzählt. Als "Tschernobyl-Kind" und deshalb in ihren ersten Lebensjahren sehr oft krank, hatte sie zu Schulzeiten wenige Freunde.
"Dumas, Mary Poppins, der Zauberer der Smaragdenstadt – das waren meine Kindheitsfreunde."
Mit 13 Jahren bekam Marina Weisband zum ersten Mal Zugang zum Internet und fand übers Chatten endlich Freunde in Deutschland. Sieben Jahre zuvor, im Jahr 1993, war sie mit ihren Eltern aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew in die Bundesrepublik gekommen. Die jüdische Familie gehörte zu den sogenannten Kontingentflüchtlingen.
"Damals hatte das Internet für mich die Überwindung des Raums im Mittelpunkt. Ich konnte plötzlich mit Menschen befreundet sein in der gesamten Republik und in der ganzen Welt, zu denen ich sonst gar keinen Zugang gehabt hätte. Und ich konnte befreundet sein mit Menschen, die älter waren als ich und von denen ich lernen konnte. (…) Ich hatte nur vereinzelt Freunde in der Schule und war mehr eine Einzelgängerin. Das Internet hat mich zu einer extrovertierten Person gemacht."
"Ich war völlig erschlagen – ich habe mich von der Verantwortung überwältigt gefühlt"
Das Netz sollte für Marina Weisband immer prägend bleiben. Sie trat 2009 den "Piraten" bei und wurde 2011 als deren politische Geschäftsführerin zu dem Gesicht der Partei, auch wenn ihre Wahl wohl für alle überraschend kam.
"Ich war unbekannt in der Partei, ich dachte nicht, dass die mich wählen. Plötzlich wollte das ZDF ein Interview und alles ging ganz schnell. Ich war völlig erschlagen – ich habe mich von der Verantwortung überwältigt gefühlt. Die ersten drei Wochen habe ich eigentlich in ständigen Panikattacken verbracht, und auch tatsächlich meine Mutter in Tränen angerufen: Mama, ich habe ein Problem – die haben mich gewählt!"
Ein Jahr lang war Marina Weisband politische Geschäftsführerin der Piraten, dann zog sie sich zurück, um ihre Diplomarbeit in Psychologie zu schreiben.
Allgegenwärtig war ihr Gesicht auch auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise. Sie galt als beliebter Gast in Talkshows zu dem Konflikt. Inzwischen ist es um die Ukraine stiller geworden und Weisband ist längst bei den Piraten ausgetreten.
"Einerseits arbeite ich jetzt an Schulen, und da ich nicht nur Parteimitglied war, sondern prominentes Parteimitglied, fand ich es sehr wichtig, für die Schulen neutral zu sein (…). Das andere, warum mir dieser Schritt leicht gefallen ist: Die Piratenpartei hat mich seinerzeit etwas enttäuscht, weil wir 'Liquid Democracy' nicht für die parteiinterne Meinungsbildung angenommen haben – also dieses System, bei dem wir online mit Stimmdelegation alle über unser Programm abstimmen können, was eine neue Evolutionsstufe des demokratischen Handelns einer Partei gewesen wäre."
Heute engagiert sie sich für die demokratische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
Doch auch nach ihrem Ausstieg aus der Tagespolitik engagiert sie sich für mehr demokratische Teilhabe in der Gesellschaft: Seit 2014 leitet sie beim Verein "politik-digital" das Projekt "aula", das die politische Bildung und demokratische Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an ihren Schulen verbessern will - mit digitalen Mitteln.
Seit einigen Monaten ist sie Mutter, ein Grund mehr, sich für Erziehungsfragen zu interessieren.
"Ich habe festgestellt, dass es für mich nicht praktikabel ist, eine Helikoptermutter zu sein. Ich bin dahingehend entspannt pragmatisch, weil ich nun einmal nebenbei arbeite. Ich versuche pädagogisch sinnvoll zu agieren, aber nicht überzubemuttern."
"Ich habe festgestellt, dass es für mich nicht praktikabel ist, eine Helikoptermutter zu sein. Ich bin dahingehend entspannt pragmatisch, weil ich nun einmal nebenbei arbeite. Ich versuche pädagogisch sinnvoll zu agieren, aber nicht überzubemuttern."
In ihrem Buch "Wir nennen es Politik" zitiert Marina Weisband ein russisches Sprichwort: "Wenn du dich nicht um die Politik kümmerst, dann kümmert sich die Politik irgendwann um dich." Das scheint auch ihr persönliches Motto zu sein.