Mario Vargas Llosa: "Harte Jahre"
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
411 Seiten, 24 Euro
Ein Konzern, der das Land regiert
05:41 Minuten
Mario Vargas Llosa gibt in "Harte Jahre" Einblicke in das politische Flechtwerk Mittelamerikas. Der Roman über das Wirken der United Fruit Company ist zugleich Dokumentation und Thesenroman: voller Spannung und sinnlich erzählt.
Die Geschichte Guatemalas im 20. Jahrhundert ist die Geschichte der United Fruit Company: Der berüchtigte Bananenkonzern war es, der die Infrastruktur und die Politik des Landes beherrschte und beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten Árbenz im Jahr 1954 die Fäden zog. Dieser und die folgenden Staatsstreiche steht im Mittelpunkt des neuen Romans von Mario Vargas Llosa, der ebenso historische Erzählung und Dokumentation wie Thesenroman ist.
Dass große Schriftsteller die exemplarisch schmutzige Geschichte der United Fruit (heute u.a. Chiquita) zum Thema machen, ist nicht neu: Sogar Pablo Neruda hat ein Gedicht über sie verfasst, bei Gabriel García Márquez spielt sie eine wiederkehrende Rolle, und der guatemaltekische Literaturnobelpreisträger Miguel Ángel Asturias hat ihr zwischen 1950 und 1960 eine ganze Trilogie gewidmet. Deren letzter Band endet da, wo das Buch Vargas Llosas, ebenfalls Nobelpreisträger, einsetzt: Im Jahr 1944, als der Chef der United Fruit, Sam Zemurray, den Erfinder der manipulativen Öffentlichkeitsarbeit, Edward Bernays, anheuerte. In Guatemala drohte eine Demokratie mit funktionierenden Institutionen zu entstehen, was das Ende der "Bananenrepublik" bedeutet hätte.
Die Geliebte des Diktators
Vargas Llosa zeichnet die folgenden Ereignisse anhand einiger – teils realer, teils fiktiver – Figuren mit sehr unterschiedlichen Interessen und Sichtweisen nach. Real ist Jacobo Árbenz selbst, der vorsichtige Präsident, der 1954 eine Agrarreform auf den Weg bringt und daraufhin nach einem von Bernays orchestrierten jahrelangen medialen Trommelfeuer als angeblicher Kommunist in einem blutigen Staatsstreich gestürzt wird, und sein Gegner und Nachfolger, der brutale Diktator Carlos Castillo Armas, den seine Diktatorenkollege Trujillo von Santo Domingo mit Hilfe der CIA ermorden lässt.
Auch die Werkzeuge dieses Mordes treten auf, wie Jonny Abbes García, den Vargas Llosa in seinem Roman über das Trujillo-Regime "Das Fest des Ziegenbocks" schon einmal als "Kröte an Leib und Seele" beschrieben hat. Der US-Botschafter in Guatemala John Peurifoy, der zuvor in Griechenland den Bürgerkrieg mit entfacht hatte, ist ebenfalls eine historische Figur. Als einzige Frau spielt eine gewisse Marta Borrero eine Hauptrolle, als Geliebte des Diktators und dessen Mörders, Mitarbeiterin der CIA. In Wirklichkeit hieß sie anders, wird aber aus guten Gründen (sie ist bis heute als scharfe Rechtsaußen-Bloggerin aktiv) nicht bei ihrem Klarnamen genannt. Das Buch schließt mit der Schilderung eines bizarren Gesprächs, das der Autor mit ihr in Miami geführt hat.
Besäufnis zweier Folterer
Vargas Llosa präsentiert diese bittere und brutale Geschichte im steten Wechsel zwischen dem kühlen Ton eines historischen Sachbuchs und der erzählerischen Üppigkeit, die man aus seinen besten Romanen kennt. Wenn er das Gespräch zwischen zwei Diktatoren schildert oder das Besäufnis zweier Folterer in einem billigen Bordell (während ein stummer Indio den Boden wischt), ist man mitten drin und ganz nah an den Akteuren.
Vargas Llosa ist bekanntlich kein Linker, sondern bekennender Neoliberaler – und dabei doch überzeugter Demokrat. Durch die Intervention der USA in Guatemala, schreibt er, sei die Demokratisierung des amerikanischen Südkontinents um Jahrzehnte verschoben worden. Und sie habe erheblich für die Verbreitung dessen gesorgt, was er den "Mythos von der bewaffneten Revolution und vom Sozialismus" nennt. Auch wer diese Sichtweise nicht unbedingt teilt, wird mit diesem Roman sehr viel über das politische und soziale Flechtwerk Mittelamerikas lernen – und sich von seiner inneren Spannung und seinen sinnlichen Schilderungen mitreißen lassen.