Marion Brasch zum Ende von DT64

"Es war ein sukzessives Verhungern lassen"

28:46 Minuten
Marion Brasch hat graue Haare und trägt eine Kurzhaarfrisur. Auf dem Foto trägt sie Lippenstift und einen grauen Pullover. Der Hintergrund ist dunkel.
Marion Brasch moderierte beim Jugendsender DT64. „Vorher und nachher habe ich nie so Radio gemacht", erinnert sie sich. © imago / viadata
Marion Brasch im Gespräch mit Boussa Thiam |
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Am 31. Dezember 1991 sendete der DDR-Jugendsender DT64 zum letzten Mal in Mecklenburg-Vorpommern. Dann stieg der NDR aus der Übertragung aus, obwohl viele Menschen für DT64 gekämpft hatten. Eine verpasste Chance, findet die Moderatorin Marion Brasch.
Am 31. Dezember 1991 begann das Sterben auf Raten: Silvester wurde der DDR-Jugendsender DT64 zum letzten Mal im Sendegebiet des Norddeutschen Rundfunks (NDR) ausgestrahlt, zu dem Mecklenburg-Vorpommern gehört.
Das war ein weiterer Schritt beim Untergang auf Raten des Senders, der 1964 gegründet wurde. Schon vor der Zeit der friedlichen Revolution spielte DT64 viel subkulturelle DDR-Musik – Feeling B, Die Skeptiker und Die Firma – und wurde in der Wendezeit 1989/90 zu einem wichtigen Medium wurde, als dort die Entwicklung von unabhängigem, kritischen Journalismus live mitzuerleben war.
Knapp zwanzig Jugendliche sitzen in einem repräsentativen Gebäude auf dem Boden vor einer Treppe. Auf den ersten Stufen der Treppe nach oben hinter ihnen stehen zwei Polizisten in Uniform und mehrere Männer im Anzug mit Krawatte. Einer der Jugendlichen hält ein Megaphon in der Hand.
Jugendliche Anhänger von DT 64 besetzten am 15. Januar 1992 die Staatskanzlei in Schwerin. Sie forderten die sofortige Wiederausstrahlung des Jugendradios in ganz Mecklenburg-Vorpommern.© picture alliance / ZB / Jens Büttner
Doch zahlreiche Aktionen vieler Menschen in Ost und West für den Erhalt des Senders hatten keinen Erfolg.

Auf Augenhöhe mit den Hörern

Marion Brasch, heute Moderatorin beim Rundfunk Berlin-Brandenburg und Schriftstellerin, arbeitete damals für DT64: „Das war erschütternd", erinnert sich Brasch an die Zeit Ende 1991. "Wir wussten natürlich, dass der NDR nicht weiter senden würde auf der UKW-Frequenz. Sie waren die ersten, die weg waren vom Fenster, und das war für uns erschütternd. Man hat uns am am langen Arm mehr oder weniger verhungern lassen.“ Ein halbes Jahr habe es den Sender noch gegeben und dann sei auch das vorbei gewesen. "Es war so ein sukzessives Verhungern Lassen."
Brasch hebt wie auch andere Ex-Mitarbeiter des Senders hervor, DT64 habe immer auf Augenhöhe mit den Hörerinnen und Hörern gesendet. Diese hätten dann plötzlich keinen Sender mehr gehabt, der mit ihnen auf Augenhöhe war. „Das war für uns wirklich sehr, sehr traurig und es hat uns sehr, sehr betroffen gemacht, weil wir nichts dagegen unternehmen konnten. Wir haben sehr viel versucht, gemeinsam mit den Hörern und Hörerinnen, aber dann, irgendwann, war es eben zu spät“.
Zwei Jugendliche halten eine Mahnwache für DT 64 auf dem Berliner Alexanderplatz. Sie haben einen großen Pappkarton als Radio gestaltet. Auf einem Karton steht "Power von der Eastside". Sie halten eine Pappe mit der Aufschrift "Abschalten is nich. Rettet DT64".
Mahnwache am 17. Dezember 1991 auf dem Berliner Alexanderplatz für den Erhalt von DT64. © picture alliance / ZB / Jan Bauer
Als sie nun einen DT64-Trailer hört, sagt sie, sie habe erstmal grinsen müssen, „weil wir damals noch ganz unironisch Kaufhalle gesagt haben, was heute ironisch so genannt wird, also die ehemaligen Supermärkte“. Es erinnere sie „sehr an diese Zeit, die so aufregend war und wo wir uns als Radio wirklich immer wieder und jeden Tag aufs Neue erfunden haben, auf ganz abenteuerliche und anarchische Weise.

Artikel 36 des Einigungsvertrags

Die Abwicklung von DT64 war angelegt in Artikel 36 des Einigungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. „Es ging aber gar nicht darum, das zu beklagen", sagt die 60-Jährige im Rückblick. "Sondern es ging darum, dass es einen Jugendsender gibt, der gerade im Osten Deutschlands unglaublich wichtig war für die jungen Leute.“
Das habe allerdings nicht nur im Osten gegolten, sondern auch im Grenzgebiet auf westdeutschem Boden. Auch dort habe DT64 „unglaublich viele Hörer“ gehabt, „Hannover, Nürnberg, alles, was so an der Grenze lag".
Junge Menschen stehen am Dresdner Kulturpalast hinter einer Wand aus Pappkartons, auf die radiogeräte gemalt sind. Auf einem steht "DT64 forever", auf einem anderen "DT64 - mein Lieblingsradio".
DT64-Fans machten am 29. November 1991 mit einer Wand aus Papp-Radios am Dresdner Kulturpalast auf die geplante Abschaltung des Jugendsenders aufmerksam. © picture alliance / ZB / Matthias Hiekel
Unglaublich viele Hörer hätten sich auch dort solidarisiert. „Es hätte also eine Chance gegeben, dieses Jugendradio, diese Idee dieses Jugendsenders wirklich bundesweit zu verwirklichen – und diese Chance wurde einfach nicht ergriffen und das ist schade.“ Es gehe nicht um eine Kränkung, weder der Mitarbeiter noch der Hörer, sagt Brasch. Aber es habe zu Recht Unverständnis hervorgerufen, dass diese Chance nicht ergriffen worden sei.

Anarchisches Radiomachen in einer wilden Zeit

Brasch sagt zu ihrer Arbeit bei DT64: „Vorher und nachher habe ich nie so Radio gemacht, wie ich das damals in der Zeit zwischen '89 und '91/'92 gemacht habe – also, so wirklich mit offenem Visier, wie man so schön sagt, und dem Gesicht zum Volke, um es mal ein bisschen pathetisch auszudrücken."
Zwar mache man das heute auch, "aber das war damals noch ein fast anarchisches Radiomachen, weil wir wirklich nicht wussten, was am nächsten Tag passieren würde, weder in der Gesellschaft noch in unserem Radio. Und so haben wir Radio gemacht, und das lässt sich nicht noch mal wiederholen. Und das war wirklich ein toller Zustand, in dem wir uns befunden haben."
(mfu)
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