Mark Fisher: Das Seltsame und das Gespenstische
Aus dem Englischen von Robert Zwarg, mit einem Nachwort von Christian Werthschulte
Edition Tiamat, Berlin 2017
176 Seiten, 18 Euro
Visionen einer anderen Welt
Horror, Science-Fiction, Post-Punk: Für den Kulturtheoretiker Mark Fisher manifestiert sich in dieses Genres ein Unbehagen gegenüber dem Spätkapitalismus. In dem Essayband "Das Seltsame und das Gespenstische" kann man sich nun in seine Gedankenwelt einlesen.
Es fällt schwer, Mark Fishers Essays über das Seltsame und das Gespenstische zu lesen, ohne an seinen Selbstmord im Januar 2017 zu denken. Drei Jahre zuvor hatte der britische Kulturtheoretiker im Buch "Gespenster meines Lebens" offen über seine Depressionen geschrieben, die er immer auch politisch verstanden hatte: Im Neoliberalismus britischer Couleur hätten sich die krankmachenden Effekte einer hyperflexiblen Arbeitswelt und einer "atomistischen Individualisierung" längst in der Psyche des Einzelnen eingenistet. Willkommen in der Welt des Spätkapitalismus, deren einstige Zukunftsutopien schon 1968 Ungeheuer wie den ekstatischen Zombie-Mob aus George Romeros Filmklassiker "Nacht der lebenden Toten" gebiert.
Horror, Science-Fiction, Post-Punk: Zeitlebens hat Mark Fisher vor allem an den popkulturellen Rändern der Kulturgeschichte gegraben, um seine klugen, erschütternd-präzisen Gegenwartsanalysen zu entwickeln. Er lehrte am Londoner Goldsmith College, wo er sich in seinen letzten Jahren mit zwei Affekten beschäftigte, die jetzt in Buchform die Suche nach Gegenentwürfen zum Status quo (die Fisher in der Kulturproduktion seit den Nullerjahren so schmerzlich vermisst hatte) in den Blick rücken. Auf das "Seltsame und Gespenstische" trifft Mark Fisher in Romanen, B-Movies, Fernsehserien und Popmusik, die auf jeweils eigene Weise auf ein radikal anderes "Außen" verweisen.
Das "Gespenst des Kapitals" als das Gespenstische par excellence
Im ersten Kapitel definiert der britische Kulturtheoretiker das Seltsame als Gefühl, dass "etwas nicht stimmt". Eine Störung, die das hierarchische Verhältnis von Fiktion und Realität infrage stellt, "der Einbruch von einem Außen in diese Welt". Ein eindrückliches Beispiel ist Rainer Werner Fassbinders zweiteiliger Fernsehfilm "Welt am Draht" von 1973: Mittels eines Supercomputers namens "Simulacron" wird zu Forschungszwecken eine Kleinstadt erschaffen, in der "Identitätseinheiten" ein künstlich erzeugtes Leben führen, das von dem Leben "echter" Menschen kaum zu unterscheiden ist. Im Laufe des Films entdeckt der neue Forschungsdirektor Fred Stiller, dass auch seine eigene Welt nur eine Simulation ist, die von einer höheren Ebene aus entwickelt wurde.
Im zweiten Kapitel sind Mark Fishers Essays über das Gespenstische versammelt, das er als Gefühl beschreibt, das sich einstellt bei der Wahrnehmung von "Etwas, wo nichts sein sollte" oder "Nichts, wo etwas sein sollte". Das Gespenstische par excellence war für den Briten das "Gespenst des Kapitals", dessen unsichtbaren Kräfte sich auch im Hafen von Felixstowe verkörperten, wo Fisher lebte: "Der Hafen ist ein Zeichen des Triumphs des Finanzkapitalismus", schreibt er über die gespenstische Abwesenheit von Menschen im scheinbar sich selbst bewegenden Hafensystem von Felixstowe.
Im zweiten Kapitel sind Mark Fishers Essays über das Gespenstische versammelt, das er als Gefühl beschreibt, das sich einstellt bei der Wahrnehmung von "Etwas, wo nichts sein sollte" oder "Nichts, wo etwas sein sollte". Das Gespenstische par excellence war für den Briten das "Gespenst des Kapitals", dessen unsichtbaren Kräfte sich auch im Hafen von Felixstowe verkörperten, wo Fisher lebte: "Der Hafen ist ein Zeichen des Triumphs des Finanzkapitalismus", schreibt er über die gespenstische Abwesenheit von Menschen im scheinbar sich selbst bewegenden Hafensystem von Felixstowe.
Eine Welt, die sich nicht vollständig in die kapitalistische Gegenwart integrieren lässt
Denkt man an die aktuellen Abschottungsbemühungen der Brexit-Verhandlungen oder die offen xenophoben Diskurse rechtspopulistischer Parteien in Europa, wird schmerzlich bewusst, wie außergewöhnlich Mark Fishers Faszination für ein radikal anderes "Außen" war. Wie kein Zweiter fand er Spuren eines Kampfs der Repräsentation in der Popkultur: In den Büchern von H.P. Lovecraft oder Margaret Atwood, in Filmen von Fassbinder, David Lynch, Stanley Kubrick oder Andrei Tarkovsky oder in der Musik von The Fall oder Joy Division sah der Kulturtheoretiker Visionen einer anderen Welt, die sich nicht vollständig in die kapitalistische Gegenwart integrieren lassen. Sein letztes Buch ist ein subtiles, nachdenklich machendes Vermächtnis eines der eindrücklichsten Denker der zeitgenössischen Kulturtheorie. Mark Fisher, er wird weiter fehlen.