Mark Twain: "Bummel durch Europa"
Städte des Neckartals planen gerade das "Mark-Twain-Festival". Vor 125 Jahren erschien nämlich im englischen Original "A Tramp Abroad", Mark Twains Bericht über seine Reise durch Europa und Deutschland. Der geistige Vater von Tom Sawyer und Huckleyberry Finn hielt sich besonders lange im Neckartal auf.
Mark Twain hat allerdings in seinem Bericht - und das wird gern unterschlagen - nicht nur Werbung für die Städte am Neckar gemacht. Über die Bewohner der Stadt Hirschhorn schrieb er zum Beispiel, sie seien "missgebildete, glotzende, ungewaschene und ungekämmte Schwachsinnige". Jetzt kann man sich Mark Twains Nettigkeiten und Beobachtungen auch anhören: in der Hörbuchfassung "Bummel durch Europa".
"Eines Tages fiel mir ein, dass der Welt schon seit Jahren nicht mehr der Anblick eines Mannes geboten worden war, der Verwegenheit genug besaß, zu Fuß eine Reise durch Europa zu unternehmen. Gründliches Nachdenken überzeugte mich, dass ich geeignet war, der Welt zu diesem Anblick zu verhelfen."
Mit diesen süffisanten Worten beginnt Mark Twain seinen Reisebericht "Bummel durch Europa". 1878, zwei Jahre, nachdem der Roman "Tom Sawyers Abenteuer" erschienen war und dem Autor endgültig literarischen Ruhm beschert hatte, reiste Mark Twain nach und durch Europa, allerdings, wie sich zeigte, weniger zu Fuß als per Zug, Kutsche und, einige Kilometer, per Floß. Twains Europareise beginnt in Deutschland. Diese Passagen hat der NDR sehr schön produziert und der Hörverlag jetzt als Audiobuch herausgegeben. Den amerikanischen Literaten zieht es nach Süddeutschland. In Heidelberg lässt er sich in einem Hotel nieder und erkundet den umliegenden Wald. Hier macht er seine erste seltsame Begegnung: mit einem krächzenden Raben.
"Ein Krächzen mit deutlich beleidigendem Ausdruck. Hätte er Englisch gesprochen, hätte er um nichts deutlicher sagen können, was er auf Rabe sagte: "Na, was machen Sie denn hier?" Ich war so beschämt, als habe mich jemand mit Verantwortungsbewusstsein bei einer Gemeinheit ertappt und streng getadelt. Ich erwiderte jedoch nichts: Ich bin nicht der Mann, der sich mit einem Raben zankt."
Aber sehr wohl der Mann, der über die Sprache der Tiere Anekdoten erzählt. Unter den Vögeln, erfahren wir, sei der Blauhäher der eloquenteste. Zumindest habe Twain dies von einem Bergmann gehört, der sich mit Tieren unterhalten könne.
Noch rätselhafter als die in Deutschland lebenden Tiere erscheinen allerdings Mark Twain die deutschen Menschen. Als er in Mannheim die Oper "Lohengrin" besucht, bekommt er im Gegensatz zu den deutschen Besuchern "Zahnschmerzen in der Magengegend":
"Gegen Neun Uhr kam noch einmal eine Pause von einer halben Stunde. Aber inzwischen hatte ich soviel durchgemacht, dass all meine Lebensgeister hin waren und ich nur noch einen einzigen Wunsch besaß, nämlich: in Frieden gelassen zu werden. Ich möchte nicht zu verstehen geben, dass es all den anderen Leuten genauso wie mir ergangen sei. Denn das war wahrhaftig nicht der Fall. Ob sie diesen Lärm von Natur aus schätzten oder ob sie durch Gewöhnung gelernt hatten, ihn gern zu haben, wusste ich zu der Zeit nicht. Aber sie hatten ihn gern. Das war mehr als deutlich. Solange er andauerte, saßen sie da und sahen so hingerissen dankbar aus wie Katzen, wenn man ihnen den Rücken streichelt."
Wagner sei ein ebenso kurioses Steckenpferd der Deutschen wie ihre vermeintliche Gewissenhaftigkeit: Wenn man einem Deutschen sage, er möge etwas sofort erledigen, so müsse man Stunden oder Tage darauf warten. Mark Twain teilt aus. Und steckt ein. Er erkundet den Neckar auf einem gecharterten Floß, weil ihm das Laufen am Ufer zu anstrengend ist. Der Neckar war damals noch ein reißender Fluß. Genau in dem Moment, als das Floß an einem Felsen vorbei schwimmt, sprengen Bahnarbeiter den Felsen. Gesteinsbrocken regnen auf das Floß nieder:
"Es erschien uns als ausgemacht, dass wir umkommen müssten. Aber selbst das war nicht der bitterste Gedanke, nein. Die unheroische Todesart, das war der Stachel. Sie und der bizarre Wortlaut des sich zwangsläufig ergebenden Nachrufs: "Erschossen von einem Stein auf einem Floß." Keine Poesie würde darüber gedichtet werden. Es könnte keine darüber gedichtet werden. Beispiel: "Nicht in der Schlacht, sondern bloß/ erschossen von einem Stein auf einem Floß"."
Sprecher Rufus Beck versteht es, den Umschwung von ernsthafter in ironische Reiseerzählung fließend und nuancenreich zu gestalten. Der Hörer fragt sich unwillkürlich: Was hat Mark Twain tatsächlich erlebt und was hat er dazugedichtet? Wir wissen es nicht und sollen es auch nicht wissen. Und genau das macht den Reiz dieses Bummels durch Deutschland aus.
Mark Twain: Bummel durch Europa - Deutschland.
Gelesen von Rufus Beck. München
Der Hörverlag. Februar 2005. 4 CDs
Gesamtspielzeit: 266 Minuten
Preis: 27,95 Euro.
"Eines Tages fiel mir ein, dass der Welt schon seit Jahren nicht mehr der Anblick eines Mannes geboten worden war, der Verwegenheit genug besaß, zu Fuß eine Reise durch Europa zu unternehmen. Gründliches Nachdenken überzeugte mich, dass ich geeignet war, der Welt zu diesem Anblick zu verhelfen."
Mit diesen süffisanten Worten beginnt Mark Twain seinen Reisebericht "Bummel durch Europa". 1878, zwei Jahre, nachdem der Roman "Tom Sawyers Abenteuer" erschienen war und dem Autor endgültig literarischen Ruhm beschert hatte, reiste Mark Twain nach und durch Europa, allerdings, wie sich zeigte, weniger zu Fuß als per Zug, Kutsche und, einige Kilometer, per Floß. Twains Europareise beginnt in Deutschland. Diese Passagen hat der NDR sehr schön produziert und der Hörverlag jetzt als Audiobuch herausgegeben. Den amerikanischen Literaten zieht es nach Süddeutschland. In Heidelberg lässt er sich in einem Hotel nieder und erkundet den umliegenden Wald. Hier macht er seine erste seltsame Begegnung: mit einem krächzenden Raben.
"Ein Krächzen mit deutlich beleidigendem Ausdruck. Hätte er Englisch gesprochen, hätte er um nichts deutlicher sagen können, was er auf Rabe sagte: "Na, was machen Sie denn hier?" Ich war so beschämt, als habe mich jemand mit Verantwortungsbewusstsein bei einer Gemeinheit ertappt und streng getadelt. Ich erwiderte jedoch nichts: Ich bin nicht der Mann, der sich mit einem Raben zankt."
Aber sehr wohl der Mann, der über die Sprache der Tiere Anekdoten erzählt. Unter den Vögeln, erfahren wir, sei der Blauhäher der eloquenteste. Zumindest habe Twain dies von einem Bergmann gehört, der sich mit Tieren unterhalten könne.
Noch rätselhafter als die in Deutschland lebenden Tiere erscheinen allerdings Mark Twain die deutschen Menschen. Als er in Mannheim die Oper "Lohengrin" besucht, bekommt er im Gegensatz zu den deutschen Besuchern "Zahnschmerzen in der Magengegend":
"Gegen Neun Uhr kam noch einmal eine Pause von einer halben Stunde. Aber inzwischen hatte ich soviel durchgemacht, dass all meine Lebensgeister hin waren und ich nur noch einen einzigen Wunsch besaß, nämlich: in Frieden gelassen zu werden. Ich möchte nicht zu verstehen geben, dass es all den anderen Leuten genauso wie mir ergangen sei. Denn das war wahrhaftig nicht der Fall. Ob sie diesen Lärm von Natur aus schätzten oder ob sie durch Gewöhnung gelernt hatten, ihn gern zu haben, wusste ich zu der Zeit nicht. Aber sie hatten ihn gern. Das war mehr als deutlich. Solange er andauerte, saßen sie da und sahen so hingerissen dankbar aus wie Katzen, wenn man ihnen den Rücken streichelt."
Wagner sei ein ebenso kurioses Steckenpferd der Deutschen wie ihre vermeintliche Gewissenhaftigkeit: Wenn man einem Deutschen sage, er möge etwas sofort erledigen, so müsse man Stunden oder Tage darauf warten. Mark Twain teilt aus. Und steckt ein. Er erkundet den Neckar auf einem gecharterten Floß, weil ihm das Laufen am Ufer zu anstrengend ist. Der Neckar war damals noch ein reißender Fluß. Genau in dem Moment, als das Floß an einem Felsen vorbei schwimmt, sprengen Bahnarbeiter den Felsen. Gesteinsbrocken regnen auf das Floß nieder:
"Es erschien uns als ausgemacht, dass wir umkommen müssten. Aber selbst das war nicht der bitterste Gedanke, nein. Die unheroische Todesart, das war der Stachel. Sie und der bizarre Wortlaut des sich zwangsläufig ergebenden Nachrufs: "Erschossen von einem Stein auf einem Floß." Keine Poesie würde darüber gedichtet werden. Es könnte keine darüber gedichtet werden. Beispiel: "Nicht in der Schlacht, sondern bloß/ erschossen von einem Stein auf einem Floß"."
Sprecher Rufus Beck versteht es, den Umschwung von ernsthafter in ironische Reiseerzählung fließend und nuancenreich zu gestalten. Der Hörer fragt sich unwillkürlich: Was hat Mark Twain tatsächlich erlebt und was hat er dazugedichtet? Wir wissen es nicht und sollen es auch nicht wissen. Und genau das macht den Reiz dieses Bummels durch Deutschland aus.
Mark Twain: Bummel durch Europa - Deutschland.
Gelesen von Rufus Beck. München
Der Hörverlag. Februar 2005. 4 CDs
Gesamtspielzeit: 266 Minuten
Preis: 27,95 Euro.