Mark Twain und Philipp Stead: Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine
Illustriert von Erin Stead
Übersetzt aus dem Englischen von Sophie Zeitz Ventura
Knesebeck, München 2018
160 Seiten, 25 EUR
Eine neu entdeckte Gutenachtgeschichte
Mark Twains Kinderbuch über Johnny, seinen garstigen Großvater und ein Huhn namens "Hungersnot und Pest" ist ein Zufallsfund. Das Autorenduo Philip und Erin Stead hat aus dem Handlungsgerüst ein herrlich komisches und luftig illustriertes Buch gemacht.
Nicht selten verdankt die Literaturgeschichte ihre schönsten Funde dem Zufall: So auch im Falle von Mark Twain, dem Erfinder von "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn". Nur weil im Titel das Wort "Margarine" vorkommt, stieß man im eigentlich bestens erforschten Nachlass auf ein Kindermärchen von seiner Hand. Dabei hatte man nach Material zu einem Mark-Twain-Kochbuch gesucht. Gefunden hat man stattdessen 16 Seiten Stichworte, Halbsätze, Stimmungsbilder sowie ein Handlungsgerüst. Mark Twains Notizen vervollständigt und um das zehnfache erweitert hat das für seine Kinderbücher hochprämierte amerikanische Autorenduo Philipp und Erin Stead nun unter dem Titel "Das Verschwinden des Prinzen Oleomargarine".
Es geht um Johnny, der außer einem garstigen Großvater, nur ein Huhn namens "Hungersnot und Pest" hat, das er auf dem Markt verkaufen soll. Auf ihren Weg treffen sie auf Leute, die alle krumm gehen, weil ihr tyrannischer König jeden verfolgt, wenn er nur ein Haarbreit größer ist als seine Hoheit. Darunter auch eine wunderliche Alte, die so arm ist, dass Johnny ihr sein Huhn schenkt. Zum Dank gibt sie ihm eine Handvoll blassblauer Samen, die eine magische Kraft entfalten. Wer die daraus erwachsende Blume isst, kann mit Tieren sprechen: Mit dem Löwen, dem Elefanten, dem Aasgeier, dem Stinktier. Und sie verstehen ihn. Von nun an ist der kleine Junge nicht mehr allein. Und als dann auch noch der Sohn des Königs entführt wird, hat Johnny mitsamt seinen neuen Freunden ein unerwartetes Ziel.
Mark Twain trifft auf seinen Ghostwriter
Reizvoll ist, dass Philipp Stead in die Handlung immer wieder Szenen einbaut, in denen Mark Twain auf seinen Ghostwriter trifft. Dialogisch werfen sich die beiden die Bälle zu, darüber was fehlt und wie das Geschehen weitergehen soll. Nicht immer einer Meinung, tritt Twain schon mal als alter Griesgram auf, während Stead sich gern die Rolle des Bescheidwissers zuteilt und allzu erwachsen über Darwin, Napoleon und die Erde als Jammertal schwadroniert. Das stört.
Aber es geht auch herrlich schlagfertig zu, komisch und sehr humorvoll. Da wird das Buch ganz nebenbei zu einer Anleitung dazu, wie man Geschichten schreibt, dass man nicht alles glauben muss, was dort geschrieben steht und wie man den Geschichten selbst eine ganz andere Richtung geben kann.
Schöne Illustrationen
Das Schönste aber sind die Bilder. Leicht und luftig hingetuscht, kommt die Illustratorin Erin Stead mit einer ganz schmalen Farbpalette aus: Blassblau, resedagrün und ein paar ins Rosé changierende Brauntöne. Alles ist durchsichtig, als wären die Bilder eine Einladung, die Welt dahinter zu betreten.
Das Fell der Maulwürfe ist so detailreich gestrichelt, es sieht so anschmiegsam-weich aus, dass man sich gleich dazulegen möchte, wären da nicht die Riesenklauen. Dann wieder schwebt eine Giraffe über die Seite, die Farben, das Muster verblichen, als käme sie aus einer versunkenen Zeit. Dazwischen schwarz-weiße Scherenschnitte, die an die Romantik erinnern oder an Poesiealben. Letztere wurden ja erfunden, um das hohe Gut der Freundschaft zu feiern, genauso wie Mark Twains Gutenachtgeschichte.