Markéta Pilátová: "Mit Baťa im Dschungel"

Ein Tscheche im brasilianischen Urwald

05:50 Minuten
Das Cover des Buchs zeigt einen roten Stöckelschuh, ein Hochhaus und dunklegrünes Blattwerk.
Die Tschechen taten sich schwer mit der erfolgreichen Unternehmerfamilie: In der Heimat galten die Bat'as lange als Volkverräter und Nazi-Kollaborateure. © Wieser Verlag
Von Olga Hochweis |
Audio herunterladen
Mitten im Urwald: Ein tschechischer Industrieller errichtete in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Brasilien eine Schuhfabrik. In ihrem Roman "Mit Baťa im Dschungel" begibt sich Markéta Pilátová auf die Spuren des Gründers und seiner Familie.
"Batatuba - Vater Bat'as Ort" - so hieß eine von gleich mehreren Städten. Der tschechische Industrielle Jan Antonin Baťa hatte sie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mitten im brasilianischen Dschungel gegründet.
Als Vorbild diente ihm die mährische Stadt Zlín, in der sein Halbbruder Tomáš Baťa 1894 das später weltgrößte Schuh-Imperium auf den Weg brachte und danach als Bürgermeister Zlíns Schulen, Krankenhäuser und Arbeiterwohnsiedlungen bauen ließ.

"Zurückzukehren, um zu erklären"

Der Unfalltod des Gründungsvaters Anfang der 1930er-Jahre brachte den zwei Jahrzehnte jüngeren Halbbruder Jan Antonin an die Spitze des Unternehmens. Die Nazi-Okkupation seines Landes trieb ihn ins Exil und auch der kommunistische Putsch 1948 verhinderte die Rückkehr in die Heimat.
Obwohl Jan Antonin Baťa einige hundert, unter anderen jüdische Angestellte mit der Ausreise nach Brasilien retten konnte und die tschechische Exilregierung in London mit großen Summen unterstützte, galt er in der Heimat als Volkverräter und Nazi-Kollaborateur - nicht zuletzt, weil er zwei ausgewanderten Deutschen riesige Flächen in Brasilien abgekauft hatte und damit auf der schwarzen Liste der Alliierten gelandet war.
"Zurückzukehren, um zu erklären. Um den Gerüchten, Lügen, Verschwörungen, kleinen und großen Wahrheiten etwas Neues, diesmal Eigenes hinzuzufügen," so lässt die Romanautorin ihren Protagonisten Jan Antonin Baťa selbst das zentrale Thema ihres Buchs formulieren.

Vielstimmiges, schillerndes Romanmosaik

Es geht um historische Wahrheit, um die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, um das Leiden am Exil. Den komplexen historischen Stoff, der sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten und auch viele Schauplätze in Europa und Nord-wie Südamerika erstreckt, fächert Markéta Pilátová aus der Perspektive diverser Familienglieder in einem vielstimmigen Mosaik auf.
Ein stringenter Plot fehlt. Unchronologisch und schlaglichtartig erzählen und erinnern sich wechselnde Personen jeweils in der Ich-Perspektive (die Kapitel sind mit ihren Vornamen überschrieben). Zu Wort kommen neben Jan Antonin Baťa auch wiederkehrend seine Töchter Ludmila und Edita sowie die Enkeltochter Dolores, aber auch deren serbischer Vater Ljubodrag, der als Partisan im Zweiten Weltkrieg gekämpft hatte.
Und selbst eine der brasilianischen Schuhfabriken erhält eine Stimme und erzählt von den besonderen Umständen im Urwald – ein Kapitel wie eine Verbeugung vor dem fantastischen Realismus Lateinamerikas. Sinnlichkeit, Farbenreichtum, Poesie kennzeichnen den ganzen Roman.
Lebendig wird ein dichtes Familienporträt, ebenso ein wenig bekanntes Kapitel des 20. Jahrhunderts. Es wirkt bis hinein in die Gegenwart: Nach jahrzehntelangen Prozessen wurde Jan Antonin Baťa 2007 rehabilitiert – mehr als vier Jahrzehnte nach seinem Tod.

Tschechische Tänze – mitten in Brasilien

Sein Zerrissen-Sein hat er an seine Enkel weitergegeben. Auch sie schwanken zwischen Stolz auf Pioniertum und Erfolg in Brasilien einerseits und fortwährender Heimatliebe sowie -verklärung, wenn sie bis heute mitten in Brasilien tschechische Tänze und Trachten kultivieren.
Einfühlsam, mit liebevollem und sehr wohlwollendem Blick zeichnet Markéta Pilátová diese Ambivalenz nach. Sie zitiert Briefe und viele Gedichte, die der schreibwütige Jan Antonin Baťa hinterließ, sowie Quellen anderer Familienangehöriger. Was man während der Lektüre ahnt, bestätigt das kurze Nachwort der Autorin: Die starke Nähe zu ihrem Roman-Gegenstand korrespondiert mit einer ganz unmittelbaren physischen Nähe zur Baťa-Familie.
Viele Jahre lebte die Romanistin Markéta Pilátová in Brasilien, gab der Baťa -Enkelin Dolores Tschechischunterricht und erhielt Zugang zu allen Quellen der Familie. Ihr Roman, so schreibt sie einschränkend, sei "unsere Version der Geschichte. Sie beruht auf der Wirklichkeit und auf etwas so Trügerischem, Subjektivem wie der menschlichen Erinnerung."

Markéta Pilátová: Mit Baťa im Dschungel
Aus dem Tschechischen von Sophia Marzolff
Wieser Verlag, 380 Seiten, 21 Euro

Mehr zum Thema