Apples U2-Coup ist ein Weckruf an die Musikindustrie
500 Millionen Apple-Kunden bekommen die neue Platte von U2 kostenlos. Dieser Marketing-Coup lässt die Musikindustrie erbeben, denn er läutet ein ganz neues Zeitalter ein, meint Tarik Ahmia. In Zukunft wird es nicht mehr um Tonträger gehen.
Prince war also doch kein Spinner: Sieben Jahre ist es her, dass der US-Sänger sein neues Album gratis einer britischen Tageszeitung beilegen ließ. Prince Label Sony Music war darüber so empört, dass es sich anschließend weigerte, das Album in England regulär zu veröffentlichen. Seitdem haben sich die Verhältnisse in der Musik-Branche einmal mehr grundlegend geändert und Prince steht heute als Visionär da.
Deshalb war das, was sich am Dienstagabend in Apples Hauptquartier in San Francisco abspielte, weit mehr als ein gelungener Marketing-Coup: U2s Entscheidung, sein komplettes, nagelneues Studioalbum an 500 Millionen Apple-Kunden zu verschenken, lässt die Musikindustrie erbeben. Tonträger, seit Jahrzehnten Brot und Butter der Branche, wurden nun auch ganz offiziell von einer der erfolgreichsten Rockbands der Welt zum reinen Marketing-Tool degradiert.
Fan-Nachwuchs für die alternden Rockstars
Gleichzeitig wurde noch nie so deutlich gemacht, dass ein Geschäftsmodell, das vor allem darauf aufbaut, Fans für die Songs zahlen lassen, keine Zukunft mehr hat. Die neue Währung ist auch in der Popindustrie die Aufmerksamkeit der Konsumenten. Was kann sich eine Band Besseres wünschen, als sein Album vor einem globalen Publikum vorzustellen? Für Bono und Kollegen ist der Apple-Coup in jeder Hinsicht ein Segen: Ihr Stern war schon schwer am Sinken, das letzte U2-Album verkaufte sich vergleichsweise schleppend.
U2 sonnen sich nun im neuen Glanz und kassieren dabei ordentlich: Apple zahlt der Band eine ungenannte Millionensumme für das Album und macht die Iren zum Teil seiner globalen 100 Millionen Dollar-Werbekampagne. 500 Millionen iTunes-Kunden, die das Album nun auf ihrer Playlist vorfinden, werden den alternden Rockern den dringend benötigten Fan-Nachwuchs bescheren und ganz sicher für volle Stadien bei der nächsten Welttournee sorgen.
Weckruf für die Branche
Der Coup war ein Weckruf für die Teile der Musik-Branche, die noch immer trotz Aussichtslosigkeit versuchen, sich an alte Pfründe zu klammern und das digitale Zeitalter mit Hilfe von Anwälten zu stoppen.
Für alle anderen, die mit Musik in Zukunft Geld verdienen wollen, sollte spätestens jetzt klar sein, dass sie sich von alten Gewohnheiten endgültig verabschieden müssen. Wer in diesem Geschäft langfristig überleben will, muss den Balanceakt hinbekommen, neue Bündnispartner zu finden, ohne den totalen künstlerischen Ausverkauf zu betreiben. Ob U2 das gelingt, wird sich zeigen.