Der Kunde, das bekannte unbekannte Wesen
Die Kerrygold-Butter hat ein Imageproblem und auch das Modeunternehmen Strauss hat es mit sensiblen Kunden zu tun. Die Käufer glauben nicht mehr jedes Werbeversprechen, manchmal auch zu unrecht. Eine Exkursion durch 80 Jahre Marktforschung.
Der Modedesigner Harald Glööckler hat gerade seinen Store betreten, zusammen mit der amtierenden Miss Germany Olga Hoffmann. Herr Glööckler trägt ein moosgrünes Samtjacket, die schönste Frau Deutschlands strahlt im Weißen Abendkleid. Die Beiden sitzen auf zwei rotgoldenen Thronstühlen. Im Verkaufsraut glitzert der Strass, die Mode knallt verstärkt in den Farben Weis, Rot und Schwarz. Glööcklers Modemarke.
"...die heißt Pompöös, das muss genügen. Die Marke ist Programm. Take it or leave it! Bei mir ist es immer sehr klar. Pompöös heißt übersetzt prächtig, prunkvoll opulent."
Harald Glööckler, 49 Jahre alter Modedesigner, ist vor allem bekannt durch seine Verkaufsshows auf Shopping TV Kanälen wie QVC. Neben dem Modemacher sitzt die amtierende Miss Germany Olga Hoffmann und beschreibt ihren zeitgemäßen Konsumstil:
"Zum Beispiel: Ein schlichter weißer Mantel, wo man eigentlich denkt, das ist eher elegant, vielleicht mit Sportschuhen anzuziehen, ich kombiniere schon ganz gerne mal oder doch mit dem hohen Schuh. Ganz unterschiedlich. Also schlicht elegant, und vielleicht sportlich."
Glööckler: "Es gibt weder durchschnittliche Kundinnen noch gibt es die Kundin. Also Frauen sind ja in sich sogar noch unterschiedlich. Also, eine Frau hat ja noch viele Frauen in sich drin."
In diesem Sinne könnten die Frauen als Kundinnen mithelfen einen neuen Konsumententypus zu untersuchen. Denn die heutige Marktforschung hat zunehmend Probleme mit immer unberechenbareren Kunden. So scheint seit der Jahrtausendwende eine ausgesprochen diffuse Verbraucherklasse die Konsumentenmassen anzuführen. Zuerst erschien sie um das Jahr 2000 als Smart Shopper, unter anderem beim Institut für Demoskopie Allensbach. Dann folgte der hybride Konsument, identifiziert von den Unis in Braunschweig und Weimar.
Im Jahr 2005 erforschte das Manager Magazin den multioptionalen Kunden, für das Jahr 2010 prophezeite das Zukunftsinstitut von Mathias Horx in der FAZ schon 2001 den paradoxen Käufer. Und im Frühjahr 2015 erforscht Deutschlands größtes Marktforschungsunternehmen, die GFK, die hybrid-flexiblen Konsumenten in smarten Lebenswelten. Paradox, flexibel und hybrid – das bezeichnet ja das Vermischte, Wandlungsfähige und Widersprüchliche. Diese Verbraucherklasse konsumiert jenseits aller Statusschranken: Kauft unberechenbar, teurere Marken und Trash, Bio und Discount. Diese Käuferschicht ist zugleich Wirklichkeit und Propaganda, sie erscheint als König und Königin des Konsumismus, als das Clevere unter den Verbrauchertypen. Früher war das alles einfacher:
Marktforschung unter den Nationalsozialisten
1935, im dritten Jahr der nationalsozialistischen Herrschaft gelingt der Marktforschung in Deutschland der Durchbruch. Die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg, GFK, wird gegründet. Federführend ist Professor Vershofen, erzählt Professor Dr. Raimund Wildner von GFK:
"Professor Vershofen hatte eigentlich die Gewissheit, der Souverän in der Wirtschaft ist der Konsument, letztlich kommt‘s auf den Konsumenten an. Und Ausgangspunkt war die Krise von 1929, bis dahin hat sich die Industrie immer weiter vom Konsumenten entfernt und weil Mangelwirtschaft war, haben die Leute alles abgenommen. Und irgendwann hat man festgestellt: Huch, die Leute nehmen ja nicht mehr alles ab. Und das war eigentlich die Geburtsstunde der Marktforschung."
Diese deutsche Marktforschung arbeitete im Rahmen einer Art nationalsozialistischen Konsumkultur, die in antisemischen Klischees der unlauteren amerikanischen und jüdischen Werbung, die scheinbar aufrechte, klare und wahre deutsche Werbung gegenüberstellte.
Joseph Goebbels: "Wir wissen, dass wir durch eine wohldurchdachte wohlfundierte und anständige Reklame, geradezu Bedürfnisse wecken müssen, um die Kaufkraft der uns anvertrauten Volksmassen zu lenken und zu leiten... Wir sehen in der Reklame auch eine Avantgarde des Fortschritts... der Zivilisation und der Hebung des sozialen Lebensstandards... Bahnbrechend ebnet der Reklamefachmann solchem Fortschritt den Weg... Dazu brauch er nicht die Herabsetzung des Konkurrenten und die Unwahrhaftigkeit und die Vorspiegelung falscher Tatsachen..."
Reklame Deutschland 1935: "Die Schwarz-Weiße ist die in Deutschland Meistgerauchteste... Wer Schwarz-Weiß raucht, der raucht was Gutes und spart noch was dabei... weil echter Orient Tabak dabei ist... wir dürften sowas gar nicht hinschreiben, wenn‘s nicht wirklich war wäre."
Raimund Wildner: "Es hat Misstrauen gegeben von Seiten der Nazis, da gibt’s Leute, die befragen andere Leute, und wir erfahren nichts davon. Es hat dann auch Aufträge von der Regierung gegeben, die wurden abgearbeitet wie andere Dinge auch. Und ansonsten war das eigentlich recht distanziert."
Die GFK verwies nach dem Krieg auf Schwierigkeiten mit NS Behörden, konkrete Hinweise darauf konnte der Historiker Wilfried Feldenkirchen in seiner Geschichte der GFK nicht feststellen. Tatsächlich wollte GFK Gründer Wilhelm Vershofen im Dienste einer "deutschen Zukunft" die "schöpferischen Kräfte des deutschen Menschen" freimachen. Und zwar mit einer sogenannten "Gemeinwirtschaftspolitik", ein schon in der Weimarer Republik diskutiertes Konzept, das Vershofen nun definierte als Dienst für die "Allgemeinheit" unter "bewusster Hinhaltung des privaten Einzelinteresses". Mitautor war auch der spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, der den Zweiten Weltkrieg als Mittel sah einen "großen zentral-europäischen Wirtschaftsraum" jenseits der Zersplitterung heranwachsen zu lassen.
Unterm Hakenkreuz publiziert die GFK das Mitteilungsblatt "Markt und Verbrauch", in dem vor allem die Marktforschungskorrespondenten aus Ihren Konsumenteninterviews berichten:
"Übereinstimmend wird erklärt, dass die Lebensdauer der Gummiabsätze größer ist"
"Die Frauen ziehen die farbigen leuchtenden Vistrastoffe den matten Wollmusselinen vor"
"Fördernd war für den vermehrten Fischverbrauch die Reichspropaganda, weniger Fleisch und mehr Fisch zu essen, weil vitaminhaltiger"
Wildner: "Und dann hat man einfach gelernt, wie das so funktioniert. Und danach konnte man nach den Krieg sofort anschließen und konnte dann eigentlich sehr sehr schnell loslegen."
Die Gesellschaft für Konsumforschung nimmt ihre Arbeit im Herbst 1945 wieder auf.
Reklame ab den 50er-Jahren
"Guten Tag Frau Holm, und vergessen sie nicht alles was eine Margarine gut macht ist in Sanella enthalten"
Wolfgang Adlwarth: "Ursprünglich ging das schon los, das man grobe Einteilungen nach Demographie gemacht hat, dass man unterschieden hat, nach älteren und jüngeren Verbrauchern, das man zwischen ärmeren und reicheren Verbrauchern unterschieden hat, um die ersten Produktdifferenzierungen vorzunehmen."
Wolfgang Adlwarth, GFK
Die 50er- und 60er-Jahre, sie kennen vor allem die Wellen eines standardisierten Massenkonsums. Ein Warenstrombrandet durch Deutschland, zuerst die Fresswelle mit durchschnittlich 3000 Kalorien am Tag, dann die Textilwelle mit ihrem Faible für Kunstfasern und Mode a la USA, dann folgen ab der Mitte der 50er-Jahre, Möbel und Autos, und ab Anfang der 60er-Jahre der Boom des Tourismus. Die Marktforschung ermittelt stabile Konsumententypen, bestimmte Gruppen zeigen klare Gemeinsamkeiten, unterscheiden sich nur nach Alter, Einkommen und Region. Eine zentrale Konsumentin ist, nach der Typologie der Gesellschaft für Konsumforschung, die "korrekte Frau", die im Jahr 1953 den kurzen Rock von Christian Dior entschlossen kommentiert.
"Ich als Frau erkenne es nicht an, die Mode ist nicht hübsch… von viele Seiten schon gehört, dass die Damen auch selber gesagt haben, also es würde nicht angebracht sein. Ich bin auf jeden Fall dagegen, bisschen länger ist angenehmer..."
Petra Dillemuth: "Also das war wirklich so die Nachkriegsdame, die immer korrekt gekleidet war, ordentlich frisiert, passende Schuhe, passende Tasche, so ging die aus dem Haus. Na, das wäre sicherlich ein Kostüm am Wochenende, der Mann auch im Anzug.
Die Revolte von 1968 befreit auch Stil und Konsum von Stereotypen. Männer und Frauen können jetzt mehr sein. Und kaufen.
Mann: "Ich mein, dass die Männer sich einig sind, es soll beim Mini bleiben..."
Frau: Ich glaube schon, dass die Mini Mode durchkommt. Es hat sieben Jahre gebraucht, bis der Mini durchgekommen ist, jetzt ist er im letzten Weiler angekommen."
Wolfgang Adlwarth: "Dem folgte dann relativ bald die Erkenntnis, dass es alleine die Demographie nicht ist und auch einhergehend mit Einstellungsveränderungen auch einer sozusagen stärkeren Pluralisierung der Gesellschaft hat man sich dann interessiert für unterschiedliche Einstellungstypen. Dann hatte man hier, Stichwort Brigitte Typologie oder ähnliches, die dann Frauentypen geschaffen haben, das war so in den 70er-Jahren, mit unterschiedlichen Ansprüchen."
Die Brigitte Typologie bedeutet eine Weiterentwicklung der Kundentypologie. Es geht nicht mehr nur um Alter, Einkommen und Region – Werte und Einstellungen spielen jetzt eine zentrale Rolle für den Konsum:
"Brigitte Typologie der deutschen Frauen aus dem Jahr 1973
Rückständige, anspruchslose Frau – 12%
solide Hausfrau alten Stils – 19%
schicke Berufstätige – 10%
geltungsbedürftige ´Möchtegern`-Dame – 12%
gepflegte, unausgefüllte Frau – 14%
improvisierungsfreudiger Mode-Twen – 9%
intelligente, aktive Frau – 14%
unauffällige, passive Jugendliche – 11%."
Trommsdorf: "Wir können genauer hinsehen, wenn wir solche Typologien uns anschauen, beispielsweise, die das Sinus Institut seit vielen Jahren, solche Milieus definiert und genaue Beschreibung dieser Milieus."
Volker Trommsdorf, über 30 Jahre Marketing Professor an der TU Berlin, zur zentralen Marktforschungsgrundlage in Deutschland. Die Sinusstudien erforschen seit 1979 Einkommen und Einstellungen der Deutschen.
Die stärksten Sinus Milieus im Jahr 2015 in Deutschland:
Hedonisten 15 Prozent, Bürgerliche Mitte 14, Prekäres Milieu neun Prozent , Sozial-Ökologisches Milieu sieben Prozent.
Trommsdorf: "Eines ist eine Wertedimension zwischen Konservativ und Progressiv. Und das andere ist die klassische soziale Schichtendifferenzierung. Das sind aber nur zwei Merkmale. Und deswegen können sie keine präzisen Voraussagen machen, dann muss man in die Tiefe gehen. In der Praxis geht das so, dass Unternehmen sich die Datenbasis von Sinus kaufen und ihre eigenen Daten damit verschmelzen und sehr viel präzisere Marktsegmente definieren können."
Eine Marken-Butter hat Probleme
Firmenbeispiel 1 – ein Gewinner bekommt Probleme, weil seine Konsumententypen sich verändern.
"Wir bekommen aus Irland 25 Kilo Blöcke, die werden halt über den Lkw angeliefert."
Patricia Kief, Nachhaltigkeitsmanagerin, bei Lebensmittelunternehmen Kerrygold, erklärt die Verpackungshalle in Neunkirchen-Vluyn bei Duisburg. 750 Kerrygold Butterpackungen laufen hier von den Bändern. Und zwar pro Minute. Denn Kerrygold ist des Deutschen liebste Butter, mit einem Marktanteil von 17 Prozent.
"Es ist die Geschichte von Kerrygold, wenn Sie über unser irisches Land sprechen. Wo unsere Kühe Monat für Monat draußen grasen. Für etwas, was es nur hier gibt. Beste irische Weidenmilch. Für Butter und Käse von Kerrygold."
Zu diesen irischen Klängen beobachten Opa und Sohn die irischen Kühe, die vom Vater gehegt und gepflegt werden. Alle Protagonisten sind in Erd- und Froschtönen gekleidet, natürlich wetterfest. Dieses Bodenständige und Naturverbundene begeistert vor allen Dingen die deutschen Konsumenten. Kerrygold erzielt die Hälfte seines Umsatzes in Deutschland. Trotzdem – die Marke hat ein Problem. Die Konsumenten glauben ihr nicht mehr so einfach, erklärt Kerrygold Marketingmanager Manuel Rodriguez-Eicke:
"Der Mensch, der in unserem Werbespot auftritt ist ein Farmer, also einer von unseren. Den hatten wir ausgewählt, weil wir gesagt haben, wir wollen noch ein Stück authentischer werden. Aber die Leute haben gesagt. Das ist doch Werbung. Da habt ihr wieder einen Schauspieler genommen. Und tut als ob der Farmer ist. Nein, er ist ein echter Farmer."
Die Konsumenten sind misstrauisch geworden. Dabei hat die irische Weidenbutter so viele Qualitäten: die Kühe stehen nach Firmenangaben rund drei hundert Tage auf der Weide, fünf Mal so oft wie in Deutschland. Kerrygold sei streichzart, besitze mehr gute Fettsäuren als andere und ziehe die Premium Kundschaft an. Der Bio Boom sorgt bei Kerrygold für Probleme. Im Internet kursieren Gerüchte. Möglicherweise gestreut von einer "Konsumavantgarde", die man nicht einfach ignorieren kann.
Zum Beispiel die Diskussion auf der Facebook Seite von Foodwatch:
"Kerrygold lügt. Butter wie Käse kommen aus Deutschland und Belgien. siehe Produktionslabel gezeichnet mit D, B"
Die Butter kommt aber wirklich aus Irland, das Produktionslabel bezeichnet nur den Verpackungsort. Trotzdem, die Marke hat ein Problem, erklärt Gisbert Kügler, Geschäftsführer von Kerrygold/ Deutschland:
"Ich würde unsere Butter einschätzen, also durchaus Bio ebenmäßig. Ohne dass wir zertifiziert sind. Man kann natürlich nicht ein ganzes Land wie Irland biomäßig zertifizieren. Wir haben 40000 Landwirte in Irland, alles kleinteilige Landwirte und die kann man nicht alle über Bio zertifizieren."
Darum rollt sie nun an, die Nachhaltigkeitskampagne: Inklusive der Initiative gesundes Pausenbrot und verstärktem Energiesparen in der eigenen Produktion. Auch weil sich laut Marketingchef Manuel Rodriguez-Eicke das wichtigste Kundensegment verändert.
"Ja, das ist eine Dame, die ist 38 Jahre bis 40 Jahre alt, die hat eine Familie, die hat zwei Kinder, sie ist halbtags beschäftigt, der Mann ist volltags beschäftigt, damit haben sie ein höheres Haushaltsnettoeinkommen. Sie interessiert sich für Kochen und gesunde Ernährung, sie geht nicht überwiegend im Discounter einkaufen. Sie fahren beide ein Auto, sie haben beide ein Reihenhäuschen. Das ist vielleicht das Zentrum unserer Käuferschaft. Aber zunehmend mehr mit diesem Bewusstsein für Qualität, Natürlichkeit und ein paar Nachhaltigkeitsaspekte, die immer stärker auftreten."
Bewusstes Einkaufen
Deutschlands Kundenlandschaft verändert sich, vor allem ist der stetig wachsende Einfluss einer Konsumavantgarde spürbar, das haben zumindest die Marktforschungstudien von Sinus herausgefunden, die ein sozial-ökologisches Milieu identifiziert haben wollen, dem es um Nachhaltigkeit, Gesundheit und ethische Standards gehe.
"Hallo… Wollte mal gucken, was Ihr was Neues habt… Ja gerne… Ah ihr habt so ein Knallblau... Und eigentlich wollte ich, diese Seidenbluse was ich hier anhab…"
Tine Werner, 31 Jahre alt, von Beruf Kostümbildnerin besucht gerade ihr Klamotten Lieblingsgeschäft. Es heißt "Wesen", gelegen in Berlin Neukölln. Ein sogenannter "Schauraum" für organische und ethische Kleidung.
"Die sind bequem und trotzdem elegant, das ist was ich sehr an der Marke schätze, weil das einfach Teile sind, wie es bei Männern die Anzüge sind, die kann man morgens anziehen, hat Geschäftstermine, ist zuhause, und hat abends Verabredungen in Bars. Und ist immer perfekt gekleidet."
Adlwarth: "Nehmen sie die Lohas, die eben diesen Lifestyle of Health and Sustainabiltiy pflegen und insbesondere hier besonders auch ethisch moralische Kriterien beim Konsum schon achten, wonach man sich hier schon ausrichtet. Das können insbesondere auch kleinere Firmen, die sich auf dieses Segment, manche sagen auch auf diese Nische, momentan sind es etwa 15 Prozent der Haushalte in Deutschland, die sich darauf kaprizieren und wirklich hier Produktangebote machen. Wo Nachhaltigkeit ganz oben steht."
"Und den Rock habt ihr jetzt auch in lang, wie es zwar nicht meins ist, aber gerade modern..."
Die Ware ist zertifiziert, sogenannte existenzsichernde, faire Löhne und der Verzicht auf Chemie, führen dazu dass die Kleidung mehr kostet als anderswo: 60 Euro für ein T-Shirt, und Kleider um die 150 Euro.
Tine Werner: "Ich bin schon jemand, der im Bio Supermarkt einkauft, der niemals Fleisch kauft, das von Aldi kommt, da bin ich sehr bewusst, bei der Kleidung bin ich auch sehr bewusst. Man hat auch ein gutes Gefühl etwas zu tragen, wenn Menschen nicht ausgebeutet werden. Es geht auch um die Qualität der Kleidung, gerade wenn ich das als Lieblingsstück fast jeden Tag trage, über Jahre."
Die Lohas, sie gibt es wirklich. Im Gegensatz zu anderen Typen, die die Webseiten der Marketingagenturen bevölkern.
Digitale Divas inszenieren sich im Netz, die neuen Super Daddys gehen in der Nachwuchsarbeit auf. Soziale Schmetterlinge besitzen nur kurze Aufmerksamkeitsspannen.
Trommsdorf: "Ja, es ist einfach unterhaltungswertig. Die nennen ja keine Größenordnung. Zum Beispiel paar Jahre früher, eigentlich 20 Jahre früher, sprach man unendlich viel von den Yuppies. Das war ein ganz verschwindend kleines Segment, dass marktlich gar nicht so interessant war, wie es in der Öffentlichkeit erschien. Diese Beispiele sind populär aber nicht forscherlich, wissenschaftlich genügend begründet."
"Am Steuer seines Lebens lenkt der Mensch meist vergebens"
Die Traditionsfirma Strauss
Firmenbeispiel 2 – eine Traditionsfirma, die Ihren Stammkundentypus auf der Renditejagd verlor
"Ja, wir sind hier vor der Filiale in Langenfeld in der Hauptstraße 110 von der Firma Strauss Innovation. Wir präsentierten vor unserer Filiale gerne unsere neuesten Möbel."
Filialleiterin Maria Strieve steht vor dem Eingang des Geschäfts der Firma Strauss Innovation in Langenfeld bei Düsseldorf.
"Sie kommen jetzt bei uns in die Filiale und haben halt hier vorne, die Rezeption. Also das, was offen ist. Was einladend ist, wie zuhause halt eben, einladend, der Flur, die Diele."
Wenn die Kundin die Filiale betritt, soll sie sich ganz zu Hause fühlen. Wie in Ihrer Wohnung. Um sich dann entspannt den privateren Räumen zu nähern. Ein erfolgversprechendes Konzept, zumindest historisch.
1902 wurde die Firma Strauss in Düsseldorf gegründet. Sie setzte auf ein klassisches Sortiment, erklärt Geschäftsführer Hans Peter Döhmen
"Also, Groß geworden ist Strauss tatsächlich mit der Hausfrau, wir hatten also einen sehr, sehr hohen Frauenanteil, fast ausschließlich in Spitzenzeiten. Und klassisch eingekauft wurde bei Strauss die Bettwäsche, die Tischwäsche, die Handtücher, das waren eigentlich die Schlager."
Frau Strieve: "Der Damenbereich ist immer etwas grösser, weil die Dame immer etwas mehr kauft als der Herr, wir Frauen sind das Wirtschaftswunder."
"Ein rosa T-Shirt mit Antilopendruck. Ein Stehtisch mit Champagnerflasche... rechts Glasvasen ... ein Damenschuh aus Schokolade in gelb rosa... ein Damenpullover V-Ausschnitt Kaschmir... für 20 Prozent auf Osterdeko.... trockener Weißwein... Penne Nudeln in drei Farben... Satinspannwäschetuch... ein Rattan-Loungestuhl. Statt 219 nur 79 Euro...."
Das Familienunternehmen Strauss wird von 2008 bis 2014 von Finanzinvestoren übernommen. Die finanzielle Situation verschlechtert sich, im März 2014 wird ein Insolvenzverfahren eröffnet. Von den rund einhundert bundesweiten Filialen wird jede sechste geschlossen, rund 200 Beschäftigte werden entlassen. Für den aktuellen Geschäftsführer Peter Döhmen ist der Niedergang auch ein Resultat einer Geschäftspolitik der Finanzinvestoren, die auf Rabattschlachten setzte:
"Und dann haben wir unsere klassische Kundin verloren, weil sie eben nicht die typische Schnäppchenjägerin ist, und die nicht unbedingt nur in ein Geschäft geht, wenn ein großes Sale-Schild draußen ist. Also, wir haben ganz aktuell, noch über eine Marktforschungsstudie unsere Zielgruppe identifizieren lassen. Und wir haben heute etwa 70 Prozent weibliche Kunden, wir haben 30 Prozent männliche. Das Alter liegt zwischen Anfang 30 und Ende 50. Meistens sind die Kunden verheiratet und leben in festen Partnerschaften. Und erzielen ein monatliches Haushaltsnettoeinkommen von mehr als 2600 Euro. Und last but not least haben sie Realschulabschluss aufwärts. Und dass haben wir in unseren Studien schon erfahren, dass durchaus sich die Kunden Nähte angucken, die wollen heute wissen, wo kommt der Stoff her, das Thema Kinderproduktion in Asien spielt eine wichtige Rolle. Wir haben eben da die entsprechenden Zertifikate, wir haben nachhaltige Produkte im Daumenbereich, keine lebendgezupften Daunen, das sind halt alles Themen, wo der Kunde interessiert ist, sie sehr ernst nimmt. Und da wollen wir auch weiter investieren in die Nachhaltigkeit unserer Produkte."
Die Marktforschung der Firma Strauss Innovation brachte zu Tage, dass die US-amerikanischen Finanzinvestoren gegen ein zentrales Gesetz des Warensortiments verstoßen hatten.
Döhmen: "Das eine Thema war, dass wir sehr widersprüchlich in der Aussage sind. Ja, wir haben einerseits tolle Kaschmirprodukte und fünfzig Zentimeter daneben sind eben Kunstoffschals. Das nimmt der Kunde uns übel, dass wir da Brüche in unserem Sortiment haben."
Hier kauft ein Sinus Milieu, die bürgerliche Mitte.
Kundenstimmen: "...die Osterdekoration gefallen mir sehr gut. Bettwäsche gefällt mir immer sehr gut. Ich find den Laden sehr ansprechend, schön dekoriert, doch irgendwie kommt’s mir peppiger vor. / Ich finde es sieht sortierter aus, ganz früher war er halt doch zu viel durcheinander. / Ja, Ist wieder besser geworden, finde ich. Was ich so suche, finde ich hier. Also vor allen Dingen Geschichten zur Dekoration. Zum Verschenken, niedliche kleine Sachen"
So kämpft das Unternehmen Strauss Innovation um das Überleben, umwirbt seine klassische Zielgruppe, die 30 bis 50 Jährigen Frauen. Ja, erzählt Geschäftsführer Döhmen noch, auch für die klassische Strauss Kundin sei Nachhaltigkeit gelebtes Leben. Und so hat sich neben dem klassischen Nachhaltigkeitskonsumenten, den Lohas, wohl tatsächlich noch eine neue Käuferschicht gebildet, die das Streben nach der Nachhaltigkeit mit einer buntscheckigen Widersprüchlichkeit verbindet, die hybrid-paradoxen Konsumenten.
So kämpft das Unternehmen Strauss Innovation um das Überleben, umwirbt seine klassische Zielgruppe, die 30 bis 50 Jährigen Frauen. Ja, erzählt Geschäftsführer Döhmen noch, auch für die klassische Strauss Kundin sei Nachhaltigkeit gelebtes Leben. Und so hat sich neben dem klassischen Nachhaltigkeitskonsumenten, den Lohas, wohl tatsächlich noch eine neue Käuferschicht gebildet, die das Streben nach der Nachhaltigkeit mit einer buntscheckigen Widersprüchlichkeit verbindet, die hybrid-paradoxen Konsumenten.
"Ja, ich heiß Kerstin, bin 52 Jahre und arbeite als Sekretärin. Ich trage eine schwarze Hose, schwarze Schuhe, schwarzes Oberteil, ne Weste, in grau schwarz, ne Kette, Ohrringe und das Oberteil habe ich, glaub ich, bei TK Max verkauft, dann im Ausverkauf die Weste von Gerry Weber und die Schuhe in einem Online Shop HSE . ich mag ein bisschen hochwertig schon. HM hab ich nicht gute Erfahrungen gemacht. Da kauf ich nicht, weil die Sachen nach dem Waschen nicht so toll sind. Ich glaube, die Herstellungsbedingungen könnten besser sein, das ist das was mich nicht so glücklich macht oder wenn klar, ganz billig in Bangladesch hergestellt ist, und die Kinder in den Farben stehen, den ganzen Tag, da gibt’s so Dinge die ich nicht so schön finde, aber ich muss sagen, ich hab leider nicht die Zeit und die Ruhe, mich ausführlicher damit zu beschäftigen. Also, wir kaufen Bio Produkte, nur, also fast ausschließlich. Und das ist mir wichtig. Und das hat so die erste Priorität, Kleidung ist mir auch wichtig, aber nicht so wichtig vom Wohnen her. Wir haben Biofarben an der Wand, versuchen auch da ein gutes Raumklima zu haben. Gestern habe ich eine Sendung gesehen, gerade mit Fleischproduktion. Das ist furchtbar… Antibiotika auf der Haut trägt man die ganze Chemie. Dann haben wir die Strahlungen von den ganzen Elektrogeräten. Insofern ja, Reisen, fahren wir noch immer mit dem Auto."
Der hybrid-paradoxe Konsument
Jenseits eines hundertprozentig korrekten Konsums hat sich in der Mitte der Käuferschicht ein neuer Typus herausgebildet, eben der hybrid-paradoxe Konsument, der eigentlich das Gute unterstützen will, aber kein konsequent nachhaltiges Verbraucherdasein leben kann oder will. Früher, erzählt Wolfgang Adlwarth von der Gesellschaft für Konsumforschung, da ließen sich Werte zuverlässig den sozialen Schichten zu ordnen.
Adlwarth: "Heute ist es so, dass vielfach Menschen in einer Brust verschiedene Werte, ja verfolgen beziehungsweise verinnerlicht haben, und zwar teilweise zunächst gegensätzlich erscheinende Werte, die einerseits Freiheit, aber doch Bindung möchten, also Familie ja, aber trotzdem hier eine gewisse persönliche Freiheit, die hier Genuss möchten, auf der anderen Seite doch Verantwortung empfinden, und diese Verbindung, das ist ein intraindividueller Wertepluralismus auf den sich hier die Industrie und auch der Handel in der Zwischenzeit einstellen müssen."
Die hybride Konsumentenschaft, sie taucht auch in einem veröffentlichten Thesenpapier der Gesellschaft für Konsumforschung aus dem Frühjahr 2015 auf. Dr. Robert Kecskes von der GFK prophezeit für das Jahr 2025 auf den letzten Seiten eine Zukunft jenseits der breiten Wohlstandsgesellschaft. Unter der Überschrift "Die soziale Polarisierung nimmt zu" findet sich eine Graphik zur Entwicklung des verfügbaren Einkommens nach Bevölkerungsschichten in Deutschland.
Für die obersten zehn Prozent geht es hier deutlich nach oben, für die untersten zehn Prozent deutlich nach unten. Auch der statistische deutsche Durchschnittverdiener verbucht, laut dieser Graphik, seit dem Jahr 2010 leichte Kaufkraftverluste. In diesem Sinne wird auch die deutsche Mitte bald hybrid-paradoxer kaufen müssen. Mehr Sparen, wird es heißen. Und vom Facharbeiter lernen. Wie zum Beispiel von Timo Lühr, Schlosser bei der Berliner Wasserwirtschaft, der gerade mit Frau und Sohn beim Textildiscounter Primark am Berliner Alexanderplatz eingekauft hat. Die Familie Lühr gehört aus der Perspektive der Marktforschung zum sogenannten traditionellen Milieu:
"Wir gehen hier regelmäßig her. Wir haben auch schon Winterjacken geholt. So zwanzig Dreißig Euro kann man hier spare. Das ist wichtig, wenn man Einzelverdiener ist. Heutzutage muss man gucken wo die Finanzen bleiben. Wird so lange getragen, bis es nach nix aussieht, dann weggeschmissen."