Mit einem Schuttgarten zurück zur Natur
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Riesige Mengen Bauschutt ankarren, um einen Garten anzulegen? Dass das keine Schnapsidee ist, zeigt Markus Gastls "Hortus Insectorum". Denn auf dem Schutt ist ein richtiges Naturparadies gewachsen - mit wilden Hecken, Obstbäumen und Blumenwiesen.
Tiefgrüne, satte Wiesen mit Löwenzahn oder Hahnenfuß mittendrin, vielleicht noch ein paar Kühe drauf – so stellen wir uns bayerische Landidylle vor, so sieht gesunde Natur aus. Markus Gastl glaubt: Nein. Er hat in Nordbayern eine Art Schuttgarten angelegt. Da denken manche jetzt vielleicht an die Schottergärten, die derzeit sowohl sehr beliebt oder eben sehr gehasst sind. Weil pflegeleicht, aber halt alles andere als naturnah.
Aber dieser Schuttgarten von Markus Gastl, der will zurück zur Natur. Lisa Weiß hat eine Führung in diesem "Hortus insectorum" mitgemacht. Lisa, war das so ein klassischer Vorgarten voller Steine, mit künstlichem Bach und immergrüner Hecke drumherum?
Lisa Weiß: Ich war selbst ziemlich gespannt, wie es in diesem "Hortus Insectorum" von Markus Gastl wohl aussieht. Da ist auch einiges drüber geschrieben worden, über diesen Garten, den er im Fränkischen angelegt hat, indem er riesige Mengen voller Bauschutt über den Boden ausgekippt hat. Klingt erstmal grauenvoll. Ich bin also ganz gespannt zu dieser Führung gefahren. Wir waren so etwa 20 Leute, die meisten Hobbygärtner. Und es ging auch gleich los über die Straße rüber zum Garten.
Und eigentlich war dann schon nach dem ersten Blick über den Gartenzaun klar: Das hier ist nun absolut kein lebloser Vorgarten mit Steinen, Gartenzwergen und Kirschlorbeer drum rum. Da waren wilde Hecken zu sehen, dazwischen verrottendes Holz, ein paar Obstbäume, viel Wiese, auf der schon die ersten Blumen geblüht haben, ein rostiger Bauwagen, kleine Hügel und immer wieder Pyramiden aus aufgeschichteten Steinen dazwischen. Das wirkte wie ein sehr verwilderter, riesiger Garten – mehr als 7000 Quadratmeter, habe ich nachher erfahren. Und ich habe mich gleich wohlgefühlt. Das sah nämlich genauso aus wie die unbewirtschafteten Wiesen meiner Kindheit, ich bin am Alpenrand aufgewachsen.
Fettwiesen sind nicht immer die besseren Wiesen
Katja Bigalke: Und, bist du dann auch gleich reingestürmt und über die Wiese gelaufen, wie früher?
Lisa Weiß: Ich wäre gerne! Aber das war nicht so einfach. Markus Gastl hat uns gleich bei der Begrüßung gebremst: "Herzlich willkommen im Hortus Insectorum, ich habe hier Abgrenzungen, die bitte nicht übertreten, weil hinter den Abgrenzungen immer die wertvollen Flächen beginnen."
Also, in der Hinsicht war die Führung dann eher wie in einem Park mit gepflegtem englischen Rasen und Zierrosen. Eben: Nicht auf den Rasen treten.
Katja Bigalke: Aber der Garten soll das genaue Gegenteil von einem Park mit englischem Rasen sein. Wenn ich das richtig verstanden habe, gab es auf dem Grundstück früher durchaus eine ganz normale, schöne sattgrüne Wiese – und dann hat er Schutt rauf gekippt.
Lisa Weiß: Genau, in dem Garten liegt mehr oder weniger ein altes, abgerissenes Bauernhaus auf dem Boden, zum Teil überwachsen, zum Teil zu Steinpyramiden aufgebaut. Aber bevor er den Schutt da hat ankarren lassen, hat Markus Gastl noch was Anderes gemacht. Das hat er uns auch ganz ausführlich bei der Führung erzählt: "Als erstes hab ich Apfelbäume, Obstbäume hier in die Fettwiese gepflanzt und wenn man die Bäume heut anschaut, dann stehen die alle auf Hügeln. Was ist da passiert? Hier hab ich 35 Lkw besten Humus abbaggern lassen und abtransportiert. Und da sagen viele Leute – ja, der Verrückte, da wächst ja nichts mehr."
Katja Bigalke: Ja, das würde man spontan denken, dass Humus, also nährstoffreicher Boden eine feine Sache ist. Aber wer sich mal bisschen mit Pflanzenbestimmung beschäftigt hat, weiß, dass die selteneren Arten auf den nährstoffarmen Wiesen wachsen, den sogenannten Magerwiesen. Will der Herr Gastl im Prinzip einen Magerwiesengarten haben?
Lisa Weiß: Genau. Das Problem ist die Überdüngung. Auf diesem, wie er sagt, "besten Humus", auf den Fettwiesen, wachsen eben nur noch solche Wildpflanzen, die viele Nährstoffe brauchen. Wie Löwenzahn, Hahnenfuß oder Brennnesseln. Die vielen Blumenarten, die früher hier heimisch waren, als die Wiesen noch nicht so überdüngt waren, die schaffen es auf den fetten Wiesen nicht mehr, sich gegen diese landläufig auch gern als Unkraut bezeichneten Pflanzen durchzusetzen. Dezimiert man die Humusschicht, vermehren sich die alten Blumen auf einmal wieder. Und damit finden auch viele Insektenarten wieder Nahrung. Raupen zum Beispiel sind oft auf eine einzige Pflanze festgelegt. Fehlt die, dann geht die Raupe ein. Und so schafft Gastl Vielfalt durch Armut. Das ist auch so etwas wie sein Credo.
Wildblumen mögen es nährstoffarm
Katja Bigalke: Das heißt, die Mischung mit den Wildblumensamen, die viele von uns schon mal in der Hand hatten, geht nur auf einem solchen nährstoffarmen Boden auf?
Lisa Weiß: Man muss die auch aussäen, weil sie in der freien Natur nicht mehr vorkommen und sich deshalb auch nicht mehr von alleine verbreiten. Der Garten ist auch so angelegt, dass er in drei verschiedene Zonen gegliedert ist. Die erste Zone ist die so genannte Pufferzone, die dazu da ist, dass keine Chemie oder Ähnliches von außen reinkommt. In diesem Fall also die Hecke, die ziemlich schief ums ganze Grundstück verläuft. Da ist wichtig: Das darf keine langweilige immergrüne Thuja-Hecke sein, die ist nicht einheimisch, sondern einheimische Sträucher.
Und dazwischen sind sogenannte Naturmodule: Reisighaufen, Sandhügel, ein Teich ohne Goldfische. Und durch diese Pufferzone mussten wir auch durch, um ins Innere des Gartens zu kommen: "Da laufma jetzt mal rein. Achtet's drauf, auf das unterschiedliche Grün. Es ist Mitte Mai, das sehen wir, wenn wir da reinkommen – "Ah, da muss man ganz schön kriechen." – "Ich hatte mal eine Blindengruppe bei mir und nach der Führung hab ich die gefragt, was hat euch am besten gefallen, dann haben's gesagt, die Pufferzone. Weil da haben sie wirklich noch gespürt, da sind die Äste, die einen streifen, die Blätter."
Die zweite Zone ist dann die Hotspotzone, diese magere Wiese mit vielen Tieren und Pflanzen und die dritte dann in der Mitte die Ertragszone: Da ist fruchtbare Erde, da wächst Gemüse. Und im besten Fall sollten da kaum Schädlinge sein, weil die alle von den Tieren in den Zonen außenrum aufgefressen werden. Ob das stimmt – keine Ahnung, dafür war's ein bisschen zu früh im Jahr.
Knöllchensteinbrach, Bocksklee: Gastl setzt auf Einheimisches
Katja Bigalke: Für das Gemüse war es zu früh – aber Blumen und Insekten gab es schon, oder? Hortus insectorum heißt übersetzt Insektengarten.
Lisa Weiß: Ja, Blumen waren schon einige da. "Wir sehen die ersten Blumen schon blühen, das weiße dahinten ist der Knöllchensteinbrecht, da drüben sehen wir den Bocksklee, also da sind in dieser Blumenwiese mehr als 40 verschiedene einheimische Wiesenblumen schon drin." – Sehen wir eigentlich Insekten, schon – "Ja, die Insekten würden wir schon sehen, aber heute ist's so kalt, da fliegen keine rum. Und so nass, die sind alle in der Vegetation versteckt."
Aber viele Vögel habe ich gehört und in einem Teich mit Brackwasser hab ich auch ein paar Kaulquappen gesehen. Aber natürlich, ich hatte auch auf Insekten gehofft, aber bei neun Grad und Nieselregen war's eben echt kein Gartenwetter.
Katja Bigalke: Lass mich raten, irgendwo hing auch ein Insektenhotel, also so ein Holzkasten mit Löchern, in dem Insekten nisten können.
Lisa Weiß: Klar, da hing schon eines vor dem Haus, ein riesiges, so groß wie die Haustür selbst. Wobei er gesagt hat, das bringt gar nicht so viel. Von mehr als 500 Wildbienenarten interessieren sich zum Beispiel nur 30 für Insektenhotels, die anderen nisten da eh nicht.
Katja Bigalke: Erstaunlich.
Lisa Weiß: Ja, das ging auch diesen ganzen Hobbygärtnern ähnlich. Markus Gastl hat ihnen halt immer wieder gezeigt, wie wenig sie eigentlich über die heimische Natur wissen: "Wer kennt diesen Strauch? Wie heißt dieser Strauch? Niemand, der’s weiß. Wenn dieser Strauch jetzt ein Rhododendron gewesen wäre, eine fremdländische Pflanze, hättet's alle gesagt, das ist ein Rhododendron. Wir stehen hier vor einer einheimischen Pflanze und ihr kennt sie nicht."
Katja Bigalke: Markus Gastl ist im echten Leben nicht Gärtner oder Landschaftspfleger, sondern Krankenpfleger. Das mit seinem Hortus ist also sein Hobby. Warum macht er das überhaupt?
Lisa Weiß: Das hat er uns natürlich auch erklärt: "Um mich zu verstehen, müsst ihr hier diese Landkarte anschauen, und hier sieht man: Südamerika, Mittelamerika, Nordamerika und nen schwarzen Strich. Ich bin im Jahr 2000 mit dem Flugzeug an die Südspitze Südamerikas geflogen, von dort, hab ich gesagt, radele ich nach Alaska. Und bin irgendwann angekommen, nach 2,5 Jahren bei den Eskimos an meinen nördlichsten Punkt. Und hab mir halt gedacht, morgen flieg ich halt nach Hause und wie geht jetzt mein Leben weiter, was tu ich jetzt. Dann hab ich damals ein Versprechen abgelegt, ich hab gesagt, wenn ich wieder zuhause bin, werde ich einen Garten nur für die einheimische Natur anlegen. Punkt."
Sogar im Hitzesommer 2018 war der Garten grün
Katja Bigalke: Wie finden Gastls Nachbarn den Schuttgarten? Der Anblick ist ja gewöhnungsbedürftig?
Lisa Weiß: Ja, es war wie gesagt eiskalt und regnerisch und es ist ein kleines Dorf – das war an dem Tag wie ausgestorben. Markus Gastl hat mir aber erzählt, am Anfang waren die Leute sehr, sehr skeptisch. Aber sie behandeln ihn mittlerweile mit Respekt, weil sein Garten funktioniert, also auch im Hitzesommer im vergangenen Jahr grün war und so viele Leute kommen. Aber klar, ich glaube auch, dass er eine Art Fremdkörper im Dorf ist – ein Mann, der jahrelang gereist ist, seinen Steinpyramiden im Garten Namen gibt, um die Leute zum Nachdenken zu bringen. Eine Pyramide heißt zum Beispiel Gier. Und er hat einen Gong im Garten, den er schlägt.
Katja Bigalke: Und die Besucher, die mit dir die Führung gemacht haben?
Lisa Weiß: Das waren natürlich auch Menschen, die dieser Art von Garten offen gegenüberstehen. Die waren alle ziemlich begeistert, meinten, sie hätten jetzt gute Ideen für ihren eigenen Garten. Und für den vierjährigen Moritz, den Sohn einer Besucherin, war es echt ein Paradies.