Markus Meckel

"Ein rassistisch motivierter Angriffskrieg"

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Markus Meckel war der letzte Außenminister der DDR © picture alliance/dpa/Bernd Wüstneck
Markus Meckel im Gespräch mit Philipp Gessler |
Seit zwei Jahren ist der frühere DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Angetreten war er mit dem Ziel, den Volksbund zu verändern. Was hat er bislang bewirkt?
Philipp Gessler: Vor zwei Jahren wurde der frühere DDR-Bürgerrechtler Markus Meckel zum Präsidenten des Volksbundes gewählt. Der Pfarrer, der lange Jahre ein SPD-Bundestagsabgeordneter und der letzte DDR-Außenminister 1990 war, will den Volksbund verändern. Manche sprechen gar von einer "Revolution". Meckel will in einem verbandsinternen demokratischen Verfahren ein neues "Leitbild" durchsetzen. Darin heißt es unter anderem: "Wir erkennen und benennen den Zweiten Weltkrieg als Angriffs- und rassistisch motivierten Vernichtungskrieg." Für Historiker ist das heute eine gesicherte Erkenntnis. In Meckels Verband aber sorgt dieser Vorstoß für Ärger. Bei Funktionären, aber auch einfachen Mitgliedern. In Minsk habe ich mit Markus Meckel über diese Diskussion und die versuchte Neu-Ausrichtung des Verbandes gesprochen. Können Sie es verstehen, dass es Mitglieder und Gruppen in Ihrem Verband gibt, die Schwierigkeiten damit haben, das neue Leitbild mitzutragen?
Markus Meckel: Ich glaube, was wir uns bewusst sein müssen als Deutsche, wenn wir Kriegsgräber im Ausland pflegen, was die jeweilige Erfahrung in diesen Ländern ist. Wenn wir hier in Belarus sind, können wir doch nicht einfach außer Acht lassen, dass in der Zeit des Krieges und der deutschen Besatzung zwischen 1941 und 44 fast ein Drittel der Bevölkerung dieses Landes umgekommen ist – die allermeisten Juden. Aber eben wahrhaftig nicht nur.
Es waren viele Belarussen, es waren Partisanen, es war ein großer Teil der Bevölkerung, es waren die sowjetischen Kriegsgefangenen, die wir haben strategisch schlicht verhungern lassen. Es war mehr als 600-mal Lidice und Oradour, Orte, wo wir als Deutsche in Tschechien oder in Frankreich ganze Dörfer vernichtet haben. Dies mehr als 600-mal allein hier in Belarus. Dies darf aus unserer Erinnerung nicht verschwinden.
Und natürlich wollen wir trotzdem der hier gefallenen Deutschen erinnern. Mein Vater selbst war hier Soldat. Er war Offizier der Wehrmacht. Ich weiß, dass er in Minsk war, ich weiß nicht, was er hier getan hat. Natürlich habe ich die Befürchtung, dass er irgendwie auch beteiligt war am Verbrechen, aber ich weiß es nicht und ich hoffe, dass er es nicht war. Aber selbst da, wo er es nicht war, weiß ich natürlich, dass allein die militärische Haltung, die militärische Besetzung dieses Landes, diese Verbrechen ermöglicht hat.
"Wer weiß, wie wir uns verhalten hätten?"
Gessler: Wenn aber jetzt konkret das Leitbild nicht verabschiedet werden kann, weil einfach die Mehrheit dagegen stimmt, was würde das für Sie bedeuten? Wäre das ein Grund, dann zurückzutreten?
Meckel: Also über solche Fragen mache ich mir heute noch keine Gedanken. Ich bin davon überzeugt, dass das, was historische Wahrheit ist, dass eben dieser Zweite Weltkrieg von uns Deutschen verursacht war, das heißt, dass der Zweite Weltkrieg insbesondere im Osten Europas wirklich ein rassistisch motivierter Angriffskrieg war und ein Vernichtungskrieg, in dem der Kampf der Soldaten ... Von denen man sagen kann, sie standen unter besonderer Tragik, über die ich auch moralisch nicht richten möchte, denn wer weiß, wie wir uns Heutige verhalten hätten.
Ich glaube nicht, dass wir heute besser sind als unsere Großväter oder Väter, aber wir sollten klar miteinander reden. Dies heißt auch, dass wir uns des eigenen Anteils an dem, was Europa so furchtbar gemacht hat im 20. Jahrhundert, dass wir uns dessen bewusst sind und dies öffentlich anerkennen.
Gedenken in Weißrussland u.a.: Evangelische und katholische Geistliche, der deutsche Botschafter Peter Dettmar (3. von rechts), Markus Meckel (4. von links)
Gedenken in Weißrussland u.a.: Evangelische und katholische Geistliche, der deutsche Botschafter Peter Dettmar (3. von rechts), Markus Meckel (4. von links) © Deutschlandradio / Philipp Gessler
Gessler: Der Streit über das neue Leitbild ist ein Problem des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Ein anderes von großem Gewicht ist die Überalterung seiner Mitgliedschaft. Die Nachkriegsgeneration war noch bereit, für den Volksbund zu spenden. Aber die Angehörigen dieser Generation werden weniger, und für die folgenden Generationen rückt der Weltkrieg in immer weitere Ferne. Wie ist die Arbeit des Volksbundes noch zu leisten, wenn zwei Drittel des Haushalts aus Spenden finanziert werden? Wird der Volksbund das überleben?
"Nicht nur eine gärtnerische Aufgabe"
Meckel: Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge nimmt für Deutschland, das heißt, für die Bundesrepublik Deutschland, einen öffentlichen Auftrag wahr. In mehr als 45 bilateralen Verträgen haben wir die Aufgabe übertragen bekommen, für deutsche Kriegsgräber im Ausland verantwortlich zu sein. Wir sind uns bewusst, dass wir diese Verantwortung nicht nur als gärtnerische Aufgabe wahrnehmen, sondern natürlich als eine, in der wir versuchen, mit dieser Geschichte auch umzugehen.
Und wenn wir im 21. Jahrhundert, 70 Jahre nach dem Krieg, diese Aufgabe wahrnehmen wollen, müssen wir der deutschen Gesellschaft – und eigentlich nicht nur der deutschen, sondern in Europa insgesamt – deutlich machen, dass dies eine Vergangenheit, zu der wir stehen einerseits, und zum anderen aber, zu der wir uns verhalten müssen. Deshalb ist es wichtig, dass wir deutlich machen, dies ist eine Verantwortung, der wir uns auch heute noch bewusst sind, dies ist, zweitens, etwas, wo wir deutlich machen, die Menschen, die damals im Krieg waren und gestorben sind, waren sehr unterschiedliche. Die meisten von ihnen hatten keine persönliche Schuld. Sie haben einem Befehl gefolgt, sie sind eingezogen worden, sie hatten persönlich relativ wenig eine Wahl, aber es gibt eine Tragik, die man dann deutlich machen muss, dass jemand auch persönlich, vielleicht nicht verantwortlich ist, aber in einem Schuldzusammenhang steht.
Und dann gab es andere, die sich verweigert haben, und davon wissen wir bis heute noch viel zu wenig. Es gab Zigtausende, die sich dem verweigert haben und auch von der Wehrmachtsjustiz verurteilt wurden.
Gessler: Nun ist ja aufgrund seiner Tradition der Volksbund etwas behaftet mit einem konservative Image – glauben Sie, Sie können das schaffen, das tatsächlich in die Zukunft zu wenden, dass es eben um Versöhnungsarbeit in erster Linie, um Bildungsarbeit geht, dass man den Volksbund eben nicht mehr in diese konservative oder rechte Ecke stellen kann?
"Zivilisatorische Hoffnung auf einem dünnen Eis"
Meckel: Das hängt natürlich ganz wesentlich von der Öffentlichkeit und von der Politik ab. Ich bin davon überzeugt, dass es für die Zukunft Deutschlands und für die Zukunft Europas wichtig ist, dass wir uns dieser Vergangenheit, dieses Schreckens des 20. Jahrhunderts, bewusst bleiben. Die zivilisatorische Hoffnung, die wir für die Zukunft haben, ist durchaus auf einem dünnen Eis.
Wir haben es in den 90er-Jahren auf dem Balkan erlebt, wo plötzlich Nachbarn gegen Nachbarn Krieg geführt haben, von dem wir dachten, das wäre in Europa nicht mehr möglich. Und dass es letztlich darauf ankommt, dass Menschen nicht nur sich als Teil eines nationalen Zusammenhanges verstehen, sondern dass sie von ihren Werten her leben, als Individuen, als Personen Verantwortung für die Zukunft übernehmen und nicht nur danach fragen, was ist Befehl, sondern auch danach fragen, was ist richtig. Das ist dann unabhängig davon, ob man Deutscher ist oder Russe, Ukrainer oder Brite oder Franzose.
Diese Art von Zivilcourage, von persönlicher Citizenship, das heißt, wirklicher Bürgerschaft in Europa, das ist es, was wir zum Thema in unserer Bildungsarbeit machen angesichts von Krieg, von Krieg in der Vergangenheit, aber eben leider auch von Krieg in der Gegenwart. Von daher schlägt sich die Brücke von diesen Kriegsgräberstätten zu ganz aktuellen Fragen, vor die wir heute gestellt sind – etwa, wenn wir an die Ostukraine oder an Syrien denken.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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