Marlene Streeruwitz über Frauen und Literatur

Die Frage nach dem weiblichen Schreiben als Beschränkung

32:51 Minuten
Marlene Streeruwitz steht vor einer schwarzen Wand und schaut stolz zur Seite.
Die Autorin Marlene Streeruwitz will schreiben und nicht in ihren weiblichen Körper "zurückgestoßen werden". © picture allinace / Georg Hochmuth
Moderation: Joachim Scholl |
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Wird Literatur von Frauen zu wenig gewürdigt? Und gibt es so etwas wie "weibliches Schreiben"? Für sie sei das kein Kriterium, sagt die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Sie wollen einfach "alles schreiben können".
Wird Literatur, geschrieben von Frauen, zu wenig gewürdigt? Wie ist die Rolle der Literaturkritik im Hinblick auf Autorinnen zu sehen? Und welche Strukturen müssen sich im Literaturbetrieb ändern? Über diese Fragen sprechen wir mit den Schriftstellerinnen Marlene Streeruwitz, Berit Glanz und Katja Lewina in unserer "Lesart"-Spezialsendung anlässlich der abgesagten Buchmesse.
Für Marlene Streeruwitz, eine der bedeutendsten Autorinnen Österreichs, ist die Frage nach "weiblichem Schreiben" negativ besetzt: "Ich fand das immer absolut reduzierend, das gefragt zu werden", so Streeruwitz, deren neuester Roman "Flammenwand" 2019 erschien – "weil das natürlich auch eine Beschränkung ist, diese Frage."
Häufig sei ihr gesagt worden: "Sie sind auf dem Weg zum weiblichen Schreiben." Für sie sei die Frage danach jedoch kein Kriterium.
Sie selbst wolle etwas schreiben, was noch nicht gesagt worden sei, so Streeruwitz. "Da muss ich eben diesen Weg finden – wenn das weibliches Schreiben ist, na gut", sagt die Schriftstellerin:
"Ich möchte auch jeden Mann schreiben können, ich möchte jede Transgenderbiografie schreiben können, ich möchte überhaupt alles schreiben können. Und nicht darauf beschränkt sein, in meinen weiblichen Körper zurückgestoßen zu werden."

"Je prestigeträchtiger der Verlag, desto mehr Autoren"

Mit der Frage nach weiblichem Schreiben hat sich auch die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Berit Glanz auseinandergesetzt – mit Hilfe von Zahlen. Sie hat die Aktion #vorschauenzählen mit initiiert, bei der viele Freiwillige ab Herbst 2018 über Twitter den Anteil von Autorinnen in den Verlagsvorschauen gezählt hatten.
Diese Zahlen hätten ein Ungleichgewicht offenbart, so Glanz, die im vergangenen Jahr ihren ersten Roman "Pixeltänzer" veröffentlicht hat: "Es gibt in der Kinder- und Jugendliteratur sehr viel mehr Autorinnen; es gibt im Genre teilweise auch deutlich mehr Autorinnen. Aber je prestigeträchtiger die Verlage werden, desto mehr sind Autoren dort repräsentiert."
Porträt der Literaturwissenschaftlerin Berit Glanz. 
Über die Aktion #vorschauenzählen und den Anteil von Frauen in den Verlagsprogramme spricht Berit Glanz.© Berit Glanz
Die Aktion knüpfte an ein ähnliches Projekt an, das im Frühjahr 2018 für Aufregung sorgte. Damals sei im Rahmen der Pilotstudie "frauenzählen" beobachtet worden, wie Autoren und Autorinnen in den Medien – Print, Radio und Fernsehen – repräsentiert sind. Als Grund für den geringen Anteil von Frauen seien immer wieder die Verlagsprogramme genannt worden. So sei es zur Idee gekommen, sich diese genauer anzusehen, erklärt Glanz.
Marlene Streeruwitz sieht angesichts solcher Zählungen, die auch vor dem Hintergrund der MeToo-Debatte entstanden sind, durchaus Fortschritte. Es gebe jetzt nicht mehr nur ein Bewusstsein für diese Fragen, sondern "eine Realität, in der das praktische Auswirkungen hat". Allerdings habe sich erst "ganz wenig verbessert".

"Als Frau sexualisiert und als gefügig und verfügbar erachtet"

Katja Lewina, die mit der Kolumne "untenrum" im Onlinemagazin jetzt.de bekannt geworden ist und deren erstes Buch "Sie hat Bock" ebenfalls weibliche Sexualität zum Thema macht, hat den Eindruck, dass sich durch die MeToo-Debatte einiges verändert hat. So sei sie sicher, dass ein Buch wie ihres jetzt mehr Erfolg habe, als es etwa vor fünf Jahren gehabt hätte.
In dem Buch geht es um weibliches Begehren und die Frage, wie viel Sexismus in unserem Sex steckt. Auch in ihrer Kolumne "untenrum" schreibt Lewina über so gut wie alle Aspekte weiblicher Sexualität, auch über ihre eigene – mit deutlichem, teils scharfem Vokabular.
Autorin Katja Lewina sitzt in einem Treppenhaus.
Schreibt offensiv über weibliche Sexualität, auch in ihrem ersten Buch "Sie hat Bock": Katja Lewina© Madlen Krippendorf
Viele Reaktionen auf ihr Buch, vor allem über soziale Medien, seien "total gruselig" gewesen, berichtet sie. Auf der einen Seite gebe es Hass und Abwertung. Auf der anderen Seite werde sie "als Frau sexualisiert und als gefügig und verfügbar erachtet". Sie bekomme "wahnsinnig viele sehr, sehr unangenehme – also für mich unangenehme, für die Männer wahrscheinlich nett gemeinte – Offerten". Da spiegele sich viel von "toxischer Männlichkeit" wider, nämlich die Idee: "Die Frau exponiert sich, also kann ich sie haben."
Auch die Reaktionen aus der Medienbranche auf ihr Buch seien speziell: "Ich finde es sehr spannend, dass Männer mein Buch total geschnitten haben." Alle Interviewanfragen, alle Rezensionen seien von Frauen gekommen. Ein einziger Mann habe sich zu ihrem Buch geäußert: "Der hat gesagt, das ist so ein Lifestylebuch, da ist keine richtige Analyse drin – also nicht so geil."
(abr)
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