Marlies Slegers: „16 x zum Himmel und zurück“

Kinderbuch über den Alltag mit Trauer und Tod

06:55 Minuten
Das Cover von Marlies Slegers "16x zum Himmel und zurück" zeigt einen Jungen mit seinem Hund, die beide in den Himmel schauen. Dort regnen aus dicken blauen Wolken Briefumschläge.
© Dressler

Marlies Slegers

Übersetzt von Andrea Kluitmann

16 x zum Himmel und zurückDressler, Hamburg 2022

240 Seiten

15,00 Euro

Von Kim Kindermann |
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Sein Vater ist tot. Seitdem funktionieren Alltag und Familie nicht mehr wie vorher. Autorin Marlies Slegers lässt den zwölfjährigen Pelle auch die dunklen Seiten seiner Trauer leben und aussprechen.
„Wann hörte Trauern eigentlich auf?“, fragt sich Pelle. Sein Vater ist seit über einem Jahr tot und auch seine Mutter ist immer noch nicht über den Verlust hinweg. Sie raucht, lässt sich äußerlich gehen, schafft nur noch das Nötigste. Freudinnen und Freunde kommen auch immer weniger vorbei. Es wirkt so, als hätte sie Angst davor, sich mit Traurigkeit anzustecken. In diesem Haus, in dem man „nie mehr lachen würde“.

Trauerrituale verschiedener Kulturen

Dabei sucht der Zwölfjährige viele Wege, um aus dieser Trauer rauszukommen. Er hat sich einen Pulli seines Vaters genommen, „den er so oft getragen hat“, um ab und zu an ihm zu riechen. Denn dann „ist es, als wäre Papa ins Zimmer gekommen.“
Er liest viel über Rituale anderer Nationen. Über Mexiko, wo man den Tod feiert und Kinder am „Día de los Muertos“ Süßigkeiten in Form von Totenköpfen und Skeletten bekommen. Über China, wo Opfergaben aus Papier am Grab des Toten verbrannt werden, um den Verstorbenen glücklich zu machen. Und er lernt, dass auf der Insel Sulawesi lebensgroße Puppen von den Toten gefertigt werden, die über die Lebenden wachen sollen.

Trost bringen Briefe vom Vater

Aber nichts hilft. Denn das, was Pelle mitgemacht hat, wiegt schwer. Auch sein Wissen darum, dass sich „eine Leiche kalt und steif anfühlt“, dass sie „ein wenig anfängt zu riechen, und dass sich die Haut „ein wenig gelblich färbt“. Oder dass der Tod ein eigenes Geräusch hat. „Eine Art schwere Stille, in der sich niemand traut zu sprechen.“
Doch dann kommt der Tag, mit dem es beginnt anders zu werden: Ein Jahr nachdem sein Vater eingeäschert wurde, erhält Pelle einen Schuhkarton voller Briefe. Sechzehn Briefe seines Vaters, die er schrieb, bevor der Gehirntumor ihn immer weniger werden ließ.

Rückkehr ins Leben und unter Leute

„Hallo Pepe“ steht in Brief eins. Im zweiten: „Wie geht es dir jetzt, lieber Pelle?“ Später sind es dann Aufforderungen: „Baue die Baumhütte zu Ende“, „Kauf ein schönes Kleid für Mama, lade sie danach ins Restaurant ein“.
Und die Briefe wirken: Pelle und seine Mutter Liesbet lernen neue Menschen kennen. Sie haben wieder mehr Besuch. Pelle lernt, was es heißt, sich Dinge zu trauen, die ihm vorher unmöglich schienen. Das Leben kehrt zurück. „Und das hat alles mit diesem Schuhkarton von Papa angefangen“, stellt Liesbet überrascht eines Tages fest. 

Unverblümte Offenheit, große Erzählkunst

Marlies Slegers hat ein wunderbares Buch geschrieben, mit einem ganz eigenen Sound. Nichts bleibt hier ungesagt, weder das Dreckige noch das Miese oder Gemeine am Sterben. Alles kommt auf den Tisch. Unverblümt. Das ist großartig.
Vielleicht möchte man deshalb auch jede dieser 240 Seiten erwähnen, jede Wendung, jede Veränderung, spiegeln sie doch alle die große Erzählkunst dieser niederländischen Autorin wider. Denn wie Pelle sich durch seine Trauer arbeitet, ist unglaublich authentisch. Man versteht selbst seine wahnsinnige Wut auf den Vater, jetzt wo er nicht mehr da ist. Denn wer stirbt schon mit 45 Jahren? Und letztendlich zeigt sich so eins: Jede und jeder muss einen eigenen Weg finden aus der Trauer und mit der Trauer.

Trauer und Alltag laufen parallel

Und noch etwas ist ganz besonders an diesem Buch: Marlies Slegers vergisst nicht zu erzählen, dass das Leben weitergeht. Sie stellt ihre Protagonisten mitten hinein in den Alltag. Schule, Arbeit, Freundschaft, Liebe, Pubertät - all das findet hier parallel statt und genau das ist großartig. Holt es das Sterben, den Tod und die Trauer doch genau dahin zurück, wohin all das gehört: ins Leben.
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