Zahllose Risse, aber immer noch in Betrieb
Betonrisse, kaputte Geländer, Korrosion - viele Brücken in Deutschland sind in einem schlechten Zustand. Wichtige Knotenpunkte wie die Leverkusener Rheinbrücke mussten bereits teilweise gesperrt werden. Darunter leiden Pendler und die Wirtschaft.
"Über uns ist die sogenannte Dehnfuge. Man hört, wie die Fahrzeuge drüber fahren. Alles, was hier etwas hell ist, wurde in den letzten Jahren verstärkt oder repariert…"
Willkommen im "Bauch" von Deutschlands Problembrücke Nummer eins, der Rheinbrücke auf der A1 zwischen Köln und Leverkusen. Nur wenige Meter unter der Fahrbahn führt Brückeningenieur Norbert Palm von Straßen.NRW durch den stockfinsteren Brückenhohlraum. Der Mittfünfziger trägt Warnweste und Schutzhelm. Mit einer Taschenlampe leuchtet er die schwarzen Stahlträger nach Ausbesserungen ab.
"Überall, wo es glänzt oder eine andere Farbe zu sehen ist, da haben wir in den letzten Jahren geprüft und repariert, neu geschweißt, verstärkt…." Die Leverkusener Rheinbrücke stammt aus den 1960er-Jahren. Seit bald einem Jahrzehnt ist sie ein Sanierungsfall. Zahlreiche gefährliche Risse wurden im Stahl der Nachkriegsjahre gefunden. Ein besonders großer Riss im Tragwerk führte dazu, dass die Rheinbrücke schon vor Jahren für den Lkw-Verkehr gesperrt werden musste. Genau zu dieser Stelle geht es nun, auf einem schmalen Steg hunderte Meter hinein in den Brückenhohlraum. Es ist laut, dunkel und kalt.
Brücke binnen weniger Stunden gesperrt
"Diese Schweißnaht war komplett gerissen, dieser Untergurt in diesem Bereich war weggerissen und der Riss lief weiter im Steg des Querrahmens. Nicht nur in der Schweißnaht sondern auch in das Blech. Der Schaden war so groß, dass wir an dieser Stelle ein Lokalversagen der Brücke nicht ausschließen konnten. Und dann die Entscheidung treffen mussten, den Schwerverkehr, also alle Fahrzeuge über dreieinhalb Tonnen, zu sperren."
Palms Kollege Andreas Hentrich von Schachtbau Nordhausen, einer Spezialfirma für Brückensanierung, ist für das Flicken und Ausbessern der Leverkusener Brücke zuständig. Er erinnert sich noch gut an den Moment vor sechs Jahren, als klar wurde: Die Brücke hält dem Verkehr so nicht mehr stand. "Ich sag mal, das war ein Schock. Weil wir ja nicht wussten, was auf uns zukommt. Es wurde festgestellt und binnen weniger Stunden wurde die Brücke für den Schwerlastverkehr gesperrt."
Szenario wie in Genua wäre möglich gewesen
Reporterin: "Wie messen Sie, ob das jetzt stabil ist?"
"Für die Belastung der Brücke ist ja ein Monitoring-System eingebaut worden. Im Zehntelsekundentakt wird die Belastung der Brücke gemessen. Und bei besonderen Ereignissen kriegt man sofort am Rechner einen Ausschlag, wo man sieht, diese Stelle ist jetzt besonders belastet gewesen. Das ist hilfreich, um an den Stellen nochmal genauer nachzuschauen…" Die Leverkusener Brücke hängt an Schrägseilen. Auch in den Seilkammern wurden Schäden festgestellt und inzwischen ausgebessert.
Ein Szenario wie in Genua hätte durchaus eintreten können, gibt Norbert Palm zu: "Hätten wir hier Risswachstum, würden die Seile ausreißen und die Brücke wäre absolut gefährdet… und es drohte der Einsturz, ja…" Insgesamt haben die Brückeningenieure rund zehntausend Risse festgestellt. Aber Norbert Palm und Andreas Hentrich können noch schlafen. Denn: "Die Brücke ist unter ständiger Beobachtung, jeder kleinste Schaden wird durch uns sofort festgestellt und abgestellt."
Doch die Leverkusener Brücke ist nicht mehr zu retten. Geplant wurde sie für 40.000 Pkw. Das tägliche Verkehrsaufkommen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten aber verdreifacht - von immer schwereren Transportgütern mal ganz abgesehen. "Wir haben immer noch 90.000 Fahrzeuge. Ursprünglich, vor der Lkw-Sperrung hatten wir 120.000 Fahrzeuge… An Werktagen 22.000 Lkw. Die müssen sich jetzt natürlich andere Wege suchen."
Klang des Betons verrät, ob alles okay ist
Der Brücken-TÜV soll solche Problemfälle wie die der Leverkusener Rheinbrücke frühzeitig verhindern. Brückenprüfer Thorsten Ziolek ist für den Kreis Brakel in Ostwestfalen zuständig und heute auf einer Bundesstraße bei Bad Drieburg im Einsatz. Er und sein Team prüfen eine Betonbrücke am Waldrand, die vor allem von der Forstwirtschaft genutzt wird. Vor Zioleks Brust baumelt ein Klemmbrett mit einem Zettel voller Daten – ein Zustandsbericht der Brücke, die gerade mal 26 Jahre alt ist.
"Wenn wir rausfahren zu einer Prüfung, nehmen wir uns den Ist-Bestand, so ähnlich wie beim Arzt eine Patienten-Kartei, da stehen alle Schäden, die an dem Bauwerk bisher bekannt sind, drin…"
Die Hauptprüfung - wie der Brücken-Check auf Herz und Niere genannt wird - steht alle sechs Jahre an. Es ist die umfassendste Prüfung unter vielen Inspektionen. Ein Kollege von Thorsten Ziolek fährt mit einer Hebebühne unter die Brücke und klopft sie mit einem Meißel Zentimeter für Zentimeter ab:
"Wenn der Betonstahl in der Brücke beginnt, zu rosten, dann löst er die obere Schicht durch die Volumenvergrößerung ab und es bilden sich Hohlstellen. Sodass man schon relativ früh durch den Klang des Betons erkennen kann, ob unter der Betonoberfläche noch alles okay ist. Oder ob da was ist, was zu einem Schaden führen wird."
Hunderte Brücken in NRW marode
Nicht jedes Bauwerk ist in einem so guten Zustand wie dieses, das gerade inspiziert wird. Hunderte Brücken an Autobahnen und Landstraßen in Nordrhein-Westfalen sind so marode, dass sie in den kommenden Jahren neu gebaut werden müssen.
Brückeninspektionen sind Sichtprüfungen. Ins Innere des Bauwerks können die Ingenieure nicht schauen. Deshalb forscht das Bundesamt für Straßenwesen, kurz BASt, an neuen Techniken, mit denen frühzeitig Verschleiß und Korrosion im Brückeninnern erkannt werden können. "Intelligente Brücke" lautet das Zauberwort. Bauingenieur Peter Hardt testet elektronische Sensoren in Betonbrücken:
"Wir wollen mittels Sensorik ermöglichen, dass prädiktiv, also vorausschauend, gearbeitet werden kann. Dass wir abschätzen können, wann denn Schäden eintreten, um die Erhaltungsprogramme besser abstimmen zu können."
Die alte Brücke am Leben halten
Noch ist das Zukunftsmusik. Denn die "Intelligente Brücke" ist noch in der Testphase und auch sehr kostenintensiv. Für die Leverkusener Brücke kommt diese Hilfe zu spät. Weil sie aber ein so wichtiger Verkehrsknotenpunkt ist, gibt es nun einen Wettlauf gegen ihren Verfall: Lkw-Verbot, Tempolimit 60 für die Autos und Dauer-Beobachtung durch Brückenstatiker sind das eine. Gleichzeitig wird eine neue Brücke gebaut. Der erste Teil soll bis 2020 fertiggestellt sein, genau genommen ein erster sechsspuriger Brückenabschnitt.
Doch bis die neue Rheinbrücke steht, müssen die Ingenieure die alte am Leben erhalten, denn ihre wirtschaftliche Bedeutung ist enorm.