Was wird aus den 126.000 Fässern mit Atommüll?
Jeden Tag dringen 13.000 Liter Wasser in das marode Atommüllager Asse II ein und drohen; es zu zerstören. Aktivisten fürchten ein Worst-Case-Szenario. 120 Bergleute arbeiten an einer Lösung. Doch sie wissen nicht, wie viel Zeit ihnen bleibt.
Die Fahrt geht vorbei an abgeernteten Feldern, durch die flachhügelige Landschaft rings um Wolfenbüttel, südlich von Braunschweig. Mittendrin liegt, dicht bewaldet, der Höhenzug Asse. 500 Meter unter der idyllischen Landschaft laufen jeden Tag über 13.000 Liter Wasser ins einsturzgefährdete Atommülllager Asse II. Die Menschen in den kleinen Dörfern am Fuße der Asse sind alarmiert.
"Es sind ja nicht wenige Mengen. Wenn man sich alleine überlegt: diese 102 Tonnen Uran, 87 Tonnen Thorium, das Plutonium... Und dann haben wir noch einen Mix von ganz vielen verschiedenen chemotoxischen Mitteln, Pflanzenschutzmittel. Wir haben circa 500 Kilogramm Arsen.
Und Plutonium ist ja nicht nur radioaktiv, es ist ja schon in Staubkorngröße tödlich. Darüber darf man gar nicht nachdenken, was passiert, wenn dieser Schacht absaufen sollte, das wäre ja noch möglich. Und der Berg durch seinen Druck das wirklich nach oben presst, in das Grundwasser. Das ist eine Katastrophe."
Ein radioaktiver See als Worst-Case-Szenario
Auf dem breiten Holztisch von Heike Wiegel in ihrer Küche im kleinen Remlingen liegen Broschüren voller Grafiken, Flugblätter und "Asse II"-Aufkleber. Seit über zehn Jahren recherchiert sie zusammen mit ihren Mitstreitern vom Verein "Aufpassen", welche Gefahren vom maroden Atommülllager ausgehen und wie sich die Gefahr aus der Tiefe am schnellsten bannen ließe. Denn Asse II wäre nicht das erste Bergwerk in der Gegend, das nach unbeherrschbaren Wassereinbrüchen absäuft.
"Wir haben ja Nachbarschächte gehabt, die sind in wenigen Stunden, Tagen abgesoffen. Man kann sich das ansehen in Hedwigsburg. Da ist dann oberirdisch ein sehr großer See entstanden. Und das wäre die Verbindung nach oben, in die Umwelt. Das ist das Schlimmste, was passieren kann."
Von Remlingen aus sind es fünf Autominuten bis zum Bergwerksgelände auf dem bewaldeten Hügel. "Glück auf" steht in großen, schwarzen Lettern auf dem Förderturm der über 100 Jahre alten Anlage. Von hier aus bringt eine Seilfahrtanlage, ein vergitterter, etwas ramponierter Fahrstuhl Besucher in die Tiefe. Ganz dicht hinter dem vergitterten Förderkorb rauscht die Schachtwand vorbei. Es geht hinunter in das Stollensystem von Asse II.
"Jetzt fahren wir mit der Höchstgeschwindigkeit, mit zehn Metern pro Sekunde. Vielleicht haben sie einen leichten Druck auf den Ohren. Einmal schlucken, dann geht das weg. Und dann sind wir gleich unter Tage und kommen auf der 490-Meter-Sohle an."
Das Wasserproblem wurde der Öffentlichkeit verschwiegen
Manuel Wilmanns arbeitet für den Betreiber der Anlage, für die Bundesgesellschaft für Endlagerung. Diese BGE leitet die Rückholung der schwach- und mittelradioaktiven Stoffe aus dem Bergwerk, in dem bis Mitte der 1960er-Jahre Kalisalz für die Düngemittelproduktion abgebaut wurde. Danach landete hier radioaktiver Müll aus deutschen Kernkraftwerken, aus Forschungsinstituten und Krankenhäusern. Dass schon damals Wasser von außen in die Stollen drückte, wurde der Öffentlichkeit verschwiegen.
Die Helmlampen durchleuchten die Enge im Förderkorb, langsam wird es wärmer, unten im Salz herrschen konstante 30 Grad. Wie alle anderen Bergleute, die in Asse II unterwegs sind, tragen auch wir die weiße Bergmannskluft, Sicherheitsschuhe, einen Bauhelm. Zwingend vorgeschrieben ist auch ein Dosimeter in der Brusttasche, das auf radioaktive Strahlung reagiert, erklärt Manuel Wilmanns.
"Die Mitarbeiter haben sogar zwei. Einmal das elektronisch auslesbare und dann noch eins mit einer Filmplakette, die regelmäßig eingeschickt wird und dann noch mal separat ausgewertet wird, damit man dort nochmal eine höhere Sicherheit hat."
126.000 Fässer mit radioaktiven Abfällen
Unten im Eingangsbereich zeigt eine Schautafel das verwinkelte Stollensystem von Asse II, die 131 Abbaukammern des alten Kalibergwerks. Rot markiert sind die fünf Kammern, in denen insgesamt 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen lagern. Dazu kommen noch Pflanzenschutzmittel und große Mengen Arsen.
"Und was wir jetzt machen: Wir bewegen uns hier durch diese Wendelstrecke langsam nach unten bis zur 750-Meter-Ebene. Und auf dem Weg gucken wir uns zusammen ein paar Sachen an."
Manuel Wilmanns führt zu einem Kleintransporter, mit dem uns seine Kollegin noch tiefer ins Bergwerk bringt, an den Ort, an dem ein Großteil des ins Bergwerk eindringenden Wassers aufgefangen wird.
Wilmanns Kollegin Annette Parlitz steuert den Laster durch die Wendelstrecke, immer tiefer hinunter in die Grube. Parlitz parkt den Laster vor einer breiten, durch ein Maschendrahttor gesicherten Halle im Salz, steigt aus, öffnet das Vorhängeschloss. Manuel Wilsmann geht voraus, deutet auf den hinteren Teil der Halle:
"Das Wasser tritt irgendwo dort hinten in diesen Bereich ein, fließt durch diesen Kies, landet auf dieser Folie. Und über diese Folie, das eine Rohr, was wir hier noch haben, fließt es dann hier in diesen größeren Tank."
Der stählerne Tank ist groß wie ein Bauschuttcontainer, abgedeckt mit schwarzer Folie. Täglich dringen zurzeit knapp 13.000 Liter Salzlauge ins Bergwerk ein. Im Januar stiegen die Zuflüsse dann um einen Kubikmeter, sanken danach wieder auf den alten Wert. Entsorgt wird die Lauge in anderen, stillgelegten Bergewerken. Auch die chemische Indusrie gehört zu den Abnehmern. Problematischer als die nicht-kontaminierte Lauge sind die Wasserzuflüsse auf der 750-Meter-Sohle.
"Das sind Wässer, die direkten Kontakt mit den radioaktiven Abfällen haben, die laufen durch eine Einlagerungskammer und dort haben wir selbstverständlich andere Belastungen als bei diesem Wasser, was wir hier oben auffangen."
Und diese radioaktiv verseuchte Wasser, jeden Tag kommen etwa 20 Liter dazu, bleiben im Bergwerk. Mit ihnen werde zum Beispiel Beton angerührt, erklärt Manuel Wilmanns. So würden die radioaktiven Stoffe gebunden werden, ihre Strahlung könne langsam abklingen.
120 Bergleute arbeiten daran, die Bergung des Mülls irgendwann einmal möglich zu machen. Nach den Plänen des Betreibers, der Bundesgesellschaft für Endlagerung, wird diese Bergung aber erst in 15 Jahren beginnen. Vorher muss erst noch ein neuer Schacht in die Tiefe getrieben werden. Nur so können die Abfälle sicher und in großer Menge nach oben transportiert werden.
Das Grundwasser um Asse II könnte verseucht werden
Am besten untersucht ist bisher das Innenleben von Kammer Nummer sieben. Unter hohen Sicherheitsvorkehrungen wurde die Kammer erst angebohrt. Dann schoben die Bergleute Kameras und Messfühler durch das über 30 Meter lange Bohrloch.
"Wir haben Bilder aus der Kammer, wo wir unter anderem ein gelbes Metallfass sehen, das zwischen einem Betonfass und einer Kammerwand zusammengequetscht wurde, also über den gebirgsmechanischen Druck total zerstört wurde. Und wir haben auch beschädigte verlorene Betonabschirmungen gesehen."
Menschen sollten die Kammern nicht betreten – das steht fest. Die entscheidende Frage ist aber, wie viel Zeit den Bergleuten, den Planern und Ingenieuren überhaupt noch bleibt. Denn Salz ist kein statisches, festes Gestein, sondern plastisch und beweglich.
Alle Hohlräume werden durch den Gebirgsdruck zusammengepresst, Jahr für Jahr müssen die Stollendecken nachgefräst werden. Und überall im hundert Jahre alten Bergewerk entstehen Risse, die ständig überwacht werden müssen.
Manuel Wilmanns greift sich seine Grubenlampe, legt den Kopf in den Nacken, leuchtet in Richtung Decke.
"Hier sehen wir ganz schön diesen wirklich großen, und wenn wir hier so reinleuchten, auch wirklich tiefen Riss, der sich hier einmal diagonal direkt über die Strecke bewegt. Und wir sehen hier rechts und links wieder diese massiven Betonbauwerke, um diese Strecke weiter zugänglich zu halten."
Entscheidend sei aber nicht nur die Standfestigkeit des Grubengebäudes, sondern auch, wie sich die eindringenden Wassermengen entwickeln. Seit einigen Monaten sind es nicht mehr 12, sondern 13,5 Kubikmeter, die jeden Tag aufgefangen werden müssen, erklärt Wilmanns.
Mit den schon installierten Pumpen und Auffangbecken wäre es aber möglich, sogar tägliche Wassereinbrüche von 500 Kubikmeter in den Griff zu bekommen. Für alle Fälle gewappnet sei man aber nicht.
"Es gehört zur Wahrheit dazu: Wir wissen es nicht, ob wir es schaffen. Denn wenn wir höhere Wassermengen haben, die zutreten, schaffen wir es gegebenenfalls nicht."
Dann müssten alle Vorarbeiten für eine Bergung eingestellt, die Stollen kontrolliert geflutet werden, damit der marode Salzstock nicht in sich zusammensackt wie schon so viele andere in der Gegend. Das Grundwasser rings um Asse II könnte radioaktiv verseucht werden. Es wäre der Worst-Case, den die Bergleute, die Geologen und Ingenieure unbedingt verhindern wollen.
Häufung von Leukämiefällen
Zurück aus der Tiefe. Zweihundert Meter vom Bergwerksgelände entfernt liegt die "Infostelle Asse II". In einer Ecke ein 3D-Modell des Bergwerks, auf dem Tisch daneben belegte Brötchen, eine Kanne Kaffee.
Stefan Studt ist um größtmögliche Offenheit bemüht. Der Geschäftsführer der Bundesgesellschaft für Endlagerung weiß um die Ängste der Bürgerinnen und Bürger in der Umgebung. Zum Beispiel wegen der Häufung von Leukämiefällen in der Gegend, ganz ähnlich wie rings um das mittlerweile stillgelegte Atomkraftwerk Krümmel in Schleswig-Holstein.
"In der Tat ist das eine Häufung, die festgestellt wurde, statistisch hat man es wahrgenommen. Aber es hat nie kausale Ursachenfeststellung gegeben, dass das hier mit der Region zusammenhängt. Insofern – ich komme ja selbst auch aus Schleswig-Holstein – ich kenne die Diskussion, die wir dort vor Ort gehabt haben."
Studt verweist auf die vielen Messsonden rings um die Asse, auf die regelmäßigen Kontrollen der landwirtschaftlichen Produkte aus der Region. Die belegen: Die radioaktiven Stoffe aus dem Untergrund gelangen zwar schon heute in die Biosphäre, ihre Konzentration in Lebensmitteln liegt aber weit unter den Grenzwerten.
Neben den Unwägbarkeiten bei der Bergung des Mülls geht es derzeit auch um die Frage: Wenn die Bergung trotz der vielen Probleme gelingen sollte, wo könnten dann die neu verpackten Abfälle oberirdisch gelagert werden?
"Unter logistischen Gesichtspunkten liegt es natürlich nahe, dass es hier in unmittelbarer Nähe ist. Aber das ist genau eine spannende Diskussion, die wir dann hier vor Ort natürlich mit den betroffenen Bürgerinnen und Bürgern führen. Genau darum wird es am Ende des Tages auch gehen."
Lager direkt neben dem Bergwerk
Dass dieses Lager aber direkt neben dem Bergwerksgelände gebaut wird, dagegen kämpft Heike Wiegel vom Verein "Aufpassen". Keine fünf Minuten dauert die Fahrt nach Remlingen, auf den Hof von Heike Weigel. Am großen Holztisch in der Küche ihres alten Fachwerkshauses erklärt Heike Wiegel, warum sie ein Zwischenlager direkt am Bergwerk ablehnt, ein Zwischenlager, das nur einen Kilometer von Remlingen entfernt wäre:
"Was passiert denn bei einem Störfall über Feuer mit verschiedenen Szenarien?"
Mit Szenarien, die von offizieller Seite errechnet wurden. Mit Szenarien, die zeigen, wie weit sich radioaktive Stoffe bei einem Brand ausbreiten.
"Dann kann ich mir die Kurven ansehen, wo sie die höchsten Belastungen haben und wo die Belastungen abnehmen. Und selbst alleine anhand dieser Grafiken kann ich eben ganz klar erkennen, dass über vier Kilometer bei allen diesen Szenarien die Belastungen für die Bevölkerung deutlich abnehmen."
Und genau deshalb fordern Heike Wiegel und ihre Mitstreiter einen Mindestabstand des Zwischenlagers von vier Kilometern bis zum nächsten Wohnhaus. Der Standort neben dem Bergwerk, in Nachbarschaft zum kleinen Remlingen, fiele dann aus. Endlich müsse auch mehr Tempo gemacht werden, zum Beispiel beim Bau eines neuen, für die Rückholung ausgelegten Schachts.
"Man könnte weiter sein. Man hätte auch schon viel, viel weiter sein können in der Rückholungsplanung. Wir wissen, dass bis heute noch nicht eine ferngesteuerte Maschine wenigstens mal in Auftrag gegeben wurde, zur Erprobung gefahren wird. Sondern da existiert noch nichts."
Sprechstunde für die Sorgen der Bürger
Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies hörte sich die Kritik der Asse II-Initiative Anfang Dezember letzten Jahres an. Erst stand eine Befahrung des Bergwerks auf dem Programm, dann eine Bürgersprechstunde. Dass beim Asse-II-Projekt alles zu langsam laufe, will Olaf Lies nicht gelten lassen. Jedes Jahr würden immerhin 100 Millionen Euro dafür ausgegeben:
"Deshalb ist natürlich Sorgfalt geboten. Das ist ja kein Experimentierraum hier, wo wir sagen: Wir probieren das mal! Und wenn es dann nicht geklappt hat, haben wir Pech gehabt. Sondern wir müssen so sorgfältig überlegen und lieber drei Mal überlegen: Ist der Schritt, den wir gehen an der Stelle, richtig? Oder könnte das negative Folgen und Konsequenzen haben? Aber das muss man auch immer wieder vermitteln."
Sorgfältig untersucht werden müsse auch der Standort des geplanten dritten Schachts, durch den die Abfälle sicher und in großer Menge an die Erdoberfläche gebracht werden können. Ob es gelingt, die Atommüllberge aus der Tiefe wieder ans Tageslicht zu holen, steht noch lange nicht fest. Klar ist aber: Es wird, wenn es denn klappt, noch Jahrzehnte dauern und Milliarden kosten.