Mars attacks – mit Spaß ohne Ende

Von Michael Laages |
Bunt blödelnde Akteure blasen mit der krausen Fabel "Die Banditen" der schwergewichtigen Opern- und Operetten-Geschichte den Marsch. Regisseur Herbert Fritsch entdeckt in Bremen Jacques Offenbach als Partner im komischen Geiste.
Hemmungslose Heiterkeit verbreitet auf deutschen Schauspielbühnen seit einiger Zeit der Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch; verkopfte Ernsthaftigkeit und quälendes Gegrübel will er den Theater der Gegenwart austreiben – so schreibt er derzeit eine Erfolgsgeschichte. Im Musiktheater hatte er schon immer einen historischen Mitstreiter – und dass jetzt am Bremer Theater Fritschs erste Begegnung mit einem Werk von Jacques Offenbach stattfindet, ist eigentlich verblüffend. Und am Ende ist auch das Orchester am Ende – sozusagen …

Jeder und jede im Ensemble auf der Bühne, unter den Solisten wie im Chor, trägt jetzt ein Kazoo im Mund, jenes sonst vorzugsweise unter Kindern (und professionellerseits in Blues- und Country-Musik) gebräuchliche Blas- und Puste-Instrument, das den eigenen Stimm-Ton in brummeliges Näseln (oder näseliges Brummeln) verwandelt; und alle blasen jetzt mit originalem Offenbach der immer viel-zu- schwergewichtigen Opern- und Operetten-Geschichte den Marsch - und zwar den finalen Marsch der immer zu spät kommenden Gendarmerie in Jacques Offenbachs 1869 uraufgeführter krauser Fabel über "Die Banditen", die schlussendlich (und für nachhaltigen Misserfolg!) gerade selber zu besseren Polizisten geadelt worden sind … derweil Herbert Fritsch eine der für ihn typischen Appläuse zelebriert: mit einer Art "Polonaise Blankenese" immer um den Orchestergraben rum …

Ja, es geht wieder recht albern zu in diesem Fritsch-Spektakel – aber niemand braucht zu leiden. Denn der Regisseur behält bei aller zielstrebigen Übertreibung im Detail im Ganzen sehr genau im Blick, worin denn wohl die "Witzschischkeit" von Offenbach selber besteht. Wer immer das zuschanden missbrauchte Wort noch hören mag – dies ist eine ganz und gar werktreue Wiederbegegnung mit dem lustigsten Komponisten der Musikgeschichte.

Blues und Soul für die Bettler-Ballade
Und wenn sie mal nicht ganz werktreu ist, dann mit Sinn und Verstand, denn natürlich stehen Blues- und Soul- und Gospel-Sounds nicht bei Offenbach; die haben Bearbeiter Tobias Schwencke und der fabelhafte Bremer Dirigent Titus Engel als ulkig-zeitgenössisches Hütchen auf die jammervolle Hunger- und Bettler-Ballade gesetzt, mit der Offenbachs Gaunerbande ihren großen Plan eröffnet; einen Plan, so krude und komisch wie bei der dänischen Olsen-Bande selig. So schnell wie möglich zusammen gefasst geht er so: Nachdem die Bande gerade ein neues Mitglied initiiert hat, geht ihr ein offizieller Staatskurier ins Netz, und so erfahren die Banditen von der millionenschweren Heirat spanisch-italienischer Königskinder. Da Spanien und Italien bei Offenbach (und nur bei ihm!) eine gemeinsame Grenze haben, überfallen die Gauner zunächst das Gasthaus ebenda, "auf der Grenze", und lauern dort (als Gasthäusler verkleidet) erst der italienischen und dann (als Italiener verkleidet) der spanischen Gesandtschaft samt Prinzessin auf. Als Spanier verkleidet wollen sie dann in Italien den Brautlohn kassieren – aber erstens haben sich die Gefangenen im Gasthaus befreit, und zweitens ist Italiens (wie übrigens auch Spaniens) Staatskasse leer … da werden sie doch lieber allesamt Polizisten.

So schnell die Story erzählt ist, so rasant gerät Fritschs Inszenierung – und sie bringt tatsächlich den Musiktheaterbetrieb komplett auf Dauer-Touren. Per Urknall beginnt sie: eine Art Meteor hat auf der Bühne einen Riesenkrater geschlagen, aus der die Räuber-Wesen wie vom fremden Stern und an Marionettenfäden geführt hervor krabbeln: Mars Attacks, hier mit Offenbach im Gepäck. Das neue Ensemble im Bremer Theater verfügt offenbar über für Offenbach fabelhaft passende Sänger-Darsteller (und vor allem –innen!), und Bastian Reiber und Florian Anderer, Schauspiel-Gäste aus der Entourage des Regisseurs Fritsch, wären eigentlich gar nicht zwingend nötig als dauernd notgeile Vulgär-Clowns in verschiedensten Rollen. Aber sie waren halt die komödiantische Lebensversicherung der Regie – die Bremer Truppe selber ist dann aber allemal komisch genug. Und so blödeln die Clowns deutlich mehr als unbedingt nötig, und überreizen brachial, also spürbar, die banal-sexuellen Untertöne der Fabel.

Aber wirklich schlimm ist das nicht – denn es befördert letztendlich die rauschhafte Dynamik, um die es Fritsch ja immer geht; und die er hier tatsächlich beschwören kann mit dem ganzen gesamtkunstwerklichen Betrieb: den Sängern und Spielern (und –wie gesagt- -innen!), dem furiosen Chor, dem Orchester (das auch die in der Bearbeitung angelegten Ausflüge hin zu Jazz und Blues und Folk hinreißend hin bekommt), den bis an den Rand der Möglichkeiten geforderten Masken- und Kostümabteilungen; denn Veronica Behr hat wieder ein Kostüm-Orgie in ganz Bunt vom Zaun gebrochen … und all diese Effekte wirken gern auch mal frech und forsch durcheinander – wenn etwa Dirigent Engel auf die Bühne stürmt und ein Brett hin- und herdirigiert (wie es in Fritsch-Arbeiten schon öfter mal vorkam) oder wenn der Chef-Musiker von den Clowns k.o. gehauen wird, weil die mal selber dirigieren wollen in der nicht vorhandenen zweiten Pause.

Und noch von einer paar Dutzend Späßen mehr bliebe zu erzählen. Aber dafür reicht die Zeit nicht. Bitte selber nachschauen: in Bremen.

Informationen des Theaters Bremen zur Inszenierung von "Die Banditen"
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