Marseille

"Die kulturelle Vielfalt ist bedroht"

Von Martina Zimmermann |
Tuareg-Blues, Afro-Punk-Fusion, Elektro-Hip-Hop: Auf der "Babelmed" sind viele noch unbekannte Musiker zu hören. Eingeladen sind auch Künstler aus Libanon, Libyen oder Syrien, die die Messe in schwierigen Zeiten unterstützen will.
Zehn Jahre Babelmed: Die Organisatoren sind zum Glück nicht der Versuchung erlegen, die besten Künstler des vergangenen Jahrzehnts einzuladen, die auf der Babelmed entdeckt wurden. Auch in diesem Jahr sind viele noch unbekannte Musiker zu hören, wie die chinesische Virtuosin Sissy Zhou, die auf dem Jahrtausende alten Saiteninstrument Gu Zheng spielt.
Die chinesische Musik-Virtuosin Sissy Zhou.
Die chinesische Musik-Virtuosin Sissy Zhou.© Martina Zimmermann
Auf dem Programm stehen Tuareg-Blues aus Südalgerien oder Afro-Punk-Fusion aus dem Kongo, traditionelle Frauengesänge aus Aserbaidschan und eine Harmonikatruppe aus Finnland. Bretonischer Elektro-Hip-Hop oder okzitanische und neapolitanische Gesänge ... und natürlich Künstler aus Libanon, Libyen oder Syrien. Veranstalterin Florence Chastagnier:
"Wir wollen diese Völker in schwierigen Zeiten unterstützen. Die Frage, was nach dem arabischen Frühling passiert ist für alle wichtig, aber besonders für Marseille, das ja hier auf der anderen Seite des Mittelmeers liegt."
GAB – good against bad – zu deutsch: Gut gegen Böse. Das ist der Name einer libyschen Rapband, die während der Revolution übers Internet bekannt wurde. Ihr Hit "Lybia bleed“ war in Gaddafis Libyen verboten, wurde aber von der New York Times und Al Dschazira ins Internet gestellt.
Rapper GAB aus Libyen.
Rapper aus GAB Libyen.© Martina Zimmermann
Der Song war nach "Niggas bleed“ gestrickt, dem Vorbild des berühmten amerikanischen Starrappers Biggy Small alias Notorious B.I.G. Die Libyer machten daraus: Libyen blutet, das Volk blutet ...
Der 27-jährige Rapper Hamed Arseby alias Brown Sugar aus Tripolis:
"Früher mussten wir mehrdeutige Texte machen: Ich rede über dich ohne dich beim Namen zu nennen. Seit 2006 galten wir als Underground. Erst mit der Revolution wurden wir politisch. Heute kann ich sagen was ich will, ich bin frei."
Auch französische Kulturpolitik im Blick
Engagiert gibt sich der Musikmarkt Babelmed aber auch in Frankreich. So protestiert die Musikbranche mit einer Durchsage vor Beginn eines der Konzerte:
"Die kulturelle Vielfalt ist bedroht. Der Präsident des Arbeitgeberverbandes will den Künstlerstatus in Frankreich abschaffen und das Arbeitslosengeld für Kulturschaffende. Aber die Zahlen in der Presse sind falsch. Die Kultur bringt dem Bruttoinlandsprodukt siebenmal mehr als die Autoindustrie! Wollt ihr künftig nur vorfabrizierte Realityshows im Fernsehen sehen oder wollt ihr weiterhin wie heute Abend auf Livekonzerten feiern?"
Unter 1000 Kandidaten aus 47 Ländern wurden für die diesjährige Ausgabe 31 Auftritte mit insgesamt 200 Künstlern ausgesucht. Die Veranstalter brüsten sich damit, ein "ethisch korrektes“ Festival zu sein. Sami Sadak, der musikalische Direktor der Babelmed:
"Alle Künstler werden eingeladen und für ihren Auftritt bezahlt. Die Reise wird bezahlt, das Hotel wird bezahlt. Das gibt uns Freiheit bei der Auswahl der Künstler. Wir nehmen nicht nur solche, die von ihrem Tourneemanagement bezahlt werden."
Manipulation durch organisierte Kampagnen
Auf der Messe, die tagsüber stattfindet, sind dieses Jahr mehr Stände aus Nordeuropa und den USA, aus Schottland, Holland oder New York. Auf Konferenzen und Podiumsdiskussionen geht es um die Zukunft der Musikindustrie im digitalen Zeitalter. Die Marseiller Band "Drunk Souls“ schaffte über 100.000 Downloads, ohne je in den Massenmedien erwähnt zu werden. Aber inzwischen sei es schwieriger geworden, klagt Bandleader Djamil Ramdane:
"Internet ist leicht zu manipulieren. Kommunikationsagenturen, die für Parteien oder die Plattenindustrie arbeiten, legen im Netz tausende von gefälschten Profilen an, das ist dann wie eine organisierte Pressekampagne, die von Staaten, Parteien oder Organisationen bezahlt wird, um die öffentliche Meinung zu manipulieren. Das gibt es in der Politik, aber eben auch in der Musik."
Die Chance, als unbekannter Weltmusiker übers Internet berühmt zu werden, ist sehr gering. Gerade deshalb sind Messen wie die Babelmed als Treffpunkte der Branche wichtig.
Mehr zum Thema