Martha Nussbaum, Saul Levmore: "Älter werden"
Aus dem Englischen von Manfred Weltecke
wbg Theiss, Darmstadt 2018
22 Seiten, 16,00 Euro
Weitschweifende Kritik an Shakespeare und Beauvoir
Von Sex und Großzügigkeit soll das Buch "Älter werden" von Martha Nussbaum und Saul Levmore handeln. Dafür müssen auch Shakespear und Beauvoir herhalten. Das hätte ein großer Text werden können, doch er ersäuft im Akademikerjargon.
Eine freundschaftlich-intellektuelle Auseinandersetzung zwischen einer Kulturphilosophin und einem Juristen und Ökonomen zum Thema Altern: Das klingt nach verlockender Lektüre. Zudem versprechen die einzelnen Kapitel des gemeinsamen Buchs "Älter werden" von Martha Nussbaum und Saul Levmore nicht nur das, was in populären Sachbüchern zum Thema üblicherweise vorzukommen pflegt – Sex, Freundschaft, Umgang mit dem eigenen Körper, Vorsorge – sondern auch weiter reichendes: Großzügigkeit, Altruismus, Ungleichheit und das Verhältnis zur Vergangenheit. Und zum Einstieg König Lear als exemplarischer Alter.
Letzteres passt perfekt zum Ansatz, den Martha Nussbaum im Laufe publizistisch hochproduktiver Jahrzehnte immer weiter entwickelt hat: Philosophie und Literatur als Instrumente der Erkenntnis und der Analyse zu verbinden. Und als Lehrstuhlinhaberin für Ethik an der Chicago Law School ist für sie die Frage nach der Kopplung von materieller Versorgung an Dankbarkeit und Liebe, wie sie bei Lear stattfindet, auch ziemlich naheliegend.
Armer König Lear!
Doch ihr Text enttäuscht: Ein großer Teil davon hält sich damit auf, Simone de Beauvoirs berühmtes Buch über das Alter in Grund und Boden zu kritisieren, und der Rest wirft Shakespeares Stück vor, dass es zu deskriptiver Verallgemeinerung des Alters einlade.
Ihr Mitautor und Chicagoer Uni-Kollege Levmore nimmt seinerseits Lear zum Anlass, Erbschaften, Familienbande und Pflegekosten unter ökonomischen Gesichtspunkten durchzudeklinieren. Armer Lear! So akademisch weitschweifig seziert zu werden, ohne dass eine neue Erkenntnis dabei herauskäme – das hat er wirklich nicht verdient.
Ähnlich ergeht es der Operette "Der Rosenkavalier", die für das Kapitel Liebe und Sexualität herhalten muss: darin verzichtet eine alternde (32-jährige!) Frau auf ihre Liebesbeziehung zu einem Teenager und wird für ihre weise Entsagung gerühmt. Nussbaum erklärt, nach langem Mäandern durch die Handlung, dass diese Dame so weise nicht war, weil sie sich den falschen, zu jungen und ihr nicht ebenbürtigen Partner gesucht hat.
Redundante Erörterungen
Und so geht es weiter. Nach langen, oft redundanten Erörterungen im Akademikerjargon ("... wie ich im Folgenden zeigen werde") kommen als Erkenntnisse oft Allgemeinplätze heraus, die man in einem gängigen Altersratgeber stark gekürzt als Merksätze eingerückt hätte.
Unterschiedliche Meinungen vertreten die beiden Autoren eigentlich nur zu zwei Themen: dem US-amerikanischen Rentenmodell ("obligatorischer Rentenbeginn"), das deutsche Leser nur begrenzt interessieren dürfte, und der Frage nach den Grenzen und der Basis von Freundschaft. Nussbaum führt einen fiktiven und ziemlich idealistischen Dialog mit Cicero ("Über die Freundschaft"); Levmore stellt sich diesem verpflichtenden Ideal entgegen. Dieses Kapitel vermag es als einziges, ein paar Funken aus dem Dialog der beiden Großintellektuellen zu schlagen.
Was von diesem Buch vielleicht bleiben wird, ist Nussbaums Postulat, dass das Alter die neue Front sei, an der Diskriminierung bekämpft werden müsse. Aber ist das so neu?