Martha Nussbaum: Zorn und Vergebung. Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit
Aus dem Englischen von Axel Walter
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2017
408 Seiten, 39,95 Euro
Für mehr Gelassenheit
Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela: Die Philosophin Martha Nussbaum zeigt in ihrem Buch drei Beispiele für eine gelungene Zorn-Reduktion im Politischen und klopft konfliktvermeidende Potenziale ab. Allerdings verpasst sie es, ihre Überlegungen auf die Gegenwart zu übertragen.
Was könnte im Zeitalter von "Wutbürgern" und autoritär-cholerischen Populisten relevanter sein als ein "Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit"? Dies der Untertitel von Martha Nussbaums neuem Buch "Zorn und Vergebung", in dem die einflußreiche amerikanische Philosophin geistesgeschichtliche Traditionen, Musik und Kultur, aber auch die Weltpolitik auf konfliktvermeidende Potenziale abklopft.
Fündig wird sie bereits bei den Griechen, die einst den Mythos reformierten, um ihn gesellschafts-kompatibel zu machen: Aus den rachedurstigen Erinnyen wurden die mahnenden Eumeniden, aus Affekt entwickelte sich Reflexion. Ähnliche Muster der Mäßigung entdeckt Marta Nussbaum im rabbinischen Judentum, das eben nichts mit dem antisemitischen Zerrbild einer "alttestamentarischen Rachereligion" zu tun hat, sondern im Gegenteil, wie hier gezeigt wird, über ein über die Jahrhunderte hinweg verfeinertes Sensorium für Debatten und Vergebung verfügt. Auch das christliche Vergebungs-Motiv ist in dieser Lesart keineswegs aus Schwäche geboren, wie dies einst Nietzsche polemisch kommentierte.
So erfreulich diese Wiederentdeckung der Wurzeln unseres Zusammenlebens ist - es hätte das umfangreiche, mitunter arg hermetisch geschriebene Buch spannender gemacht, hätte die in Chicago Rechtswissenschaft und Ethik lehrende Autorin den Mut gefunden, ihre Überlegungen auf die brandaktuelle Gegenwart zu übertragen. So ist, um nur ein Beispiel zu nennen, auffällig, dass just jene Kulturleistung, der sich Nussbaum widmet, derzeit als "pseudo-universeller Rationalismus" denunziert wird. Linke Multikulti-Eiferer wie neorechte Ideologen schwadronieren vom vermeintlich "Authentischen", skandieren "Empört Euch!" oder setzen alles daran, den verschwiemelten Zornbegriff des "Thymos" wieder salonfähig zu machen.
Kritik an einebnender Versöhungsrhetorik
Ohne diese Klarstellungen aber bekommt Martha Nussbaums verdienstvolle Studie, die auch kluge Interpretationen zur Vernunft-Thematik etwa bei Theodor Fontane und Philip Roth bietet, einen Zug ins allzu akademisch Betuliche.
Das gilt um so mehr, da sie als Beispiele für gelungene Zorn-Reduktion im Politischen lediglich die drei Erwartbaren präsentiert: Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela. Dass Mandelas staatspolitische wie menschliche Größe im Verzeihen auch ein Akt moralischer Rache an der Perfidie der Apartheid-Vollstrecker gewesen war (was er ja selbst konzidierte), möchte die Autorin nur ungern hören und insistiert lieber darauf, dass auch destruktive Mitmenschen "über die Fähigkeit verfügen, gut zu sein, wenn man sich ihnen in diesem Verständnis nähert und sie nicht zu hart zur Verantwortung zieht".
Mit Verlaub: Angesichts totalitärer Vergangenheit und autoritärer Gegenwart wäre konkrete Machtkritik nötiger als solch einebnende Versöhnungsrhetorik, deren Menschenbild weniger von den skeptischen Griechen als von der Schwärmerei eines Jean-Jacques Rousseau geprägt zu sein scheint. In einem aber hat die Philosophin durchaus recht - gegen die Putins, Petrys, Trumps und Erdogans dieser Welt: "Wenn eine Nation überdauern und die Menschen dazu bewegen soll, sich um das Gemeinwohl zu kümmern, wird der öffentliche Bereich etwas von der Großzügigkeit und dem nicht-inquisitorischen Geist brauchen, die meiner Meinung nach auch im persönlichen Bereich angebracht sind." Dennoch wäre die Frage, wie man Gelassenheit bewahrt, ohne dabei zur Spottfigur für die forciert "Zornigen" zu werden, von ungleich höherer Aktualität.
Konkrete Antworten bieten hier allerdings eher Bücher wie Carlo Strengers "Zivilisierte Verachtung", Avishai Margalits Untersuchung "Über Kompromisse und faule Kompromisse" oder André Glucksmanns beunruhigendes Meisterwerk "Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt" aus dem Jahre 2004. Martha Nussbaums voluminöse Studie hingegen lässt noch einmal Friedrich Schiller aufleben, der vor über zweihundert Jahren genau zu wissen meinte, wie man Menschenschinder - in diesem Fall die ruchlosen Mörder des Ibykus - quasi per gewaltlosem Flügelschlag dingfest macht: "Gebet acht,/ das ist der Eumeniden Macht." Dabei müsste sich doch inzwischen herumgesprochen haben, dass die Hausmedizin des deutschen Idealismus ein eher untaugliches Heilmittel ist.
Das gilt um so mehr, da sie als Beispiele für gelungene Zorn-Reduktion im Politischen lediglich die drei Erwartbaren präsentiert: Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Nelson Mandela. Dass Mandelas staatspolitische wie menschliche Größe im Verzeihen auch ein Akt moralischer Rache an der Perfidie der Apartheid-Vollstrecker gewesen war (was er ja selbst konzidierte), möchte die Autorin nur ungern hören und insistiert lieber darauf, dass auch destruktive Mitmenschen "über die Fähigkeit verfügen, gut zu sein, wenn man sich ihnen in diesem Verständnis nähert und sie nicht zu hart zur Verantwortung zieht".
Mit Verlaub: Angesichts totalitärer Vergangenheit und autoritärer Gegenwart wäre konkrete Machtkritik nötiger als solch einebnende Versöhnungsrhetorik, deren Menschenbild weniger von den skeptischen Griechen als von der Schwärmerei eines Jean-Jacques Rousseau geprägt zu sein scheint. In einem aber hat die Philosophin durchaus recht - gegen die Putins, Petrys, Trumps und Erdogans dieser Welt: "Wenn eine Nation überdauern und die Menschen dazu bewegen soll, sich um das Gemeinwohl zu kümmern, wird der öffentliche Bereich etwas von der Großzügigkeit und dem nicht-inquisitorischen Geist brauchen, die meiner Meinung nach auch im persönlichen Bereich angebracht sind." Dennoch wäre die Frage, wie man Gelassenheit bewahrt, ohne dabei zur Spottfigur für die forciert "Zornigen" zu werden, von ungleich höherer Aktualität.
Konkrete Antworten bieten hier allerdings eher Bücher wie Carlo Strengers "Zivilisierte Verachtung", Avishai Margalits Untersuchung "Über Kompromisse und faule Kompromisse" oder André Glucksmanns beunruhigendes Meisterwerk "Hass. Die Rückkehr einer elementaren Gewalt" aus dem Jahre 2004. Martha Nussbaums voluminöse Studie hingegen lässt noch einmal Friedrich Schiller aufleben, der vor über zweihundert Jahren genau zu wissen meinte, wie man Menschenschinder - in diesem Fall die ruchlosen Mörder des Ibykus - quasi per gewaltlosem Flügelschlag dingfest macht: "Gebet acht,/ das ist der Eumeniden Macht." Dabei müsste sich doch inzwischen herumgesprochen haben, dass die Hausmedizin des deutschen Idealismus ein eher untaugliches Heilmittel ist.