Martha Nussbaum: "Zorn und Vergebung"

Über die Kunst zu verzeihen

Zärtliches älteres Paar in Nachtwäsche im Schlafzimmer, aufgenommen im Dezember 2006.
Zorn zu überwinden fällt leichter, wenn man einen Menschen liebt. © dpa / Jörg Lange
Martha Nussbaum im Gespräch mit Christian Möller |
Vergeben sei erlernbar, sagt die Philosophin Martha Nussbaum. Zentral sei dafür die Fähigkeit der Selbstreflexion, das Hinterfragen des eigenen Handelns. Verzeihen sei einfacher, wenn man den Betroffenen gut kenne.
Zorn zu überwinden falle ihr persönlich leichter, wenn sie einen Menschen liebe, sagt Nussbaum. Auch kollegialer Zorn verrauche in der Regel schnell, weil man mit Kollegen auch zukünftig zusammenarbeiten müsse; eine Art Rationalisierung also. Schwieriger, so die Philosophin, sei es mit negativen Gefühlen umzugehen, wenn sie Menschen betreffen, mit denen uns nichts weiter verbindet.
In ihrer Definition des Zorns greift Nussbaum auf Aristoteles zurück, der den Zorn als ein Gefühl beschreibt, das sich einstellt, wenn man der festen Überzeugung ist, erniedrigend, herablassend oder abschätzig behandelt worden zu sein. Verbunden sei das Gefühl ferner mit dem dringenden Wunsch, den Schmerz zurückzuzahlen. Diesen letzten Aspekt hält Nussbaum für den problematischsten am Gefühl des Zorns.

Zorn als Methode, um sich selbst zu verteidigen

Gleichwohl sei Zorn als emotionale Reaktion nachvollziehbar. Im Grunde gehe es darum, die eigene Ehre wieder herzustellen. Oft sei der Zorn auch die einzige Methode, um sich selbst zu verteidigen. In modernen Gesellschaften aber trete zwischen Opfer und Täter das Recht. Ihm allein obliege es zu strafen.
Die rechtliche Strafe sei von der Rache fein zu unterscheiden, sei letztere doch an die Vergangenheit gekettet, erstere ihrem Anspruch nach hingegen auf die Zukunft ausgerichtet. Es gehe weniger um Heimzahlung, als vielmehr um den Schutz der Gesellschaft vor einer Gefahr sowie eine Veränderung der Täterpersönlichkeit.
Trotzdem werde nicht immer gerecht gestraft, so Nussbaum, ja, häufig sogar an ganz falscher Stelle. Dass man etwa den Besitz harmloser Drogen bestrafe, sehe sie kritisch.

Wichtig sei das Hinterfragen des eigenen Handelns

Der Stoizismus als Lehre der Affektkontrolle ist für Martha Nussbaum ambivalent. Politischer Widerstand etwa lebe vom körperlich-emotionalen Einsatz, vom Gefühl der Betroffenheit. Dingen und Menschen gegenüber emotionslos zu reagieren, die man selbst für bedeutsam erachtet, hält sie für falsch. Selbst ein Cicero habe getrauert, als seine geliebte Tochter verstarb.
Für Nussbaum geht es nicht darum, generell Affekte zu kontrollieren, sondern vielmehr, gezielter, das Gefühl des Heimzahlenwollens zu hinterfragen. Handlungsideal sei der Akt des bedingungslosen Vergebens, ein Vergeben also, das nicht an Reue oder andere Formen der Demut gebunden ist und folglich auch keine moralische Überlegenheit beinhaltet.
Dieses Ideal sei weitaus erreichbarer, als es scheinen mag. Wir setzten uns doch ständig unter Druck, Neues zu erlernen, besser zu werden. Auch das Vergeben sei erlernbar. Zentral sei die Fähigkeit der Selbstreflexion, das Hinterfragen des eigenen Handelns.

Die englische Version des Gesprächs mit Martha Nussbaum können Sie auch ohne Übersetzung hören.
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Martha Nussbaum: Zorn und Vergebung. Plädoyer für eine Kultur der Gelassenheit
Aus dem Englischen von Axel Walter
Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2017
408 Seiten, 39,95 Euro
Marko Martin hat das Buch in "Studio 9" rezensiert.


Außerdem in der Sendung:
"The extreme Centre": Philosophen analysieren die neue Radikalisierung der Mitte
Von Kersten Knipp
Die gesamte Sendung vom 23.4.2017 zum Nachhören
Moderation: Christian Möller
Und zu guter Letzt: Jetzt neu! Die philosophische Hörerfrage! Einfach einschicken unter seinundstreit@deutschlandfunkkultur.de Auf eine Frage antworten wir in der nächsten Sendung.
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