Marthaler an der Volksbühne

Selbstironische Abschiedsvorstellung

Der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler
Der Schweizer Regisseur Christoph Marthaler © picture alliance / dpa / Barbara Gindl
Von André Mumot |
Ein schlecht gepflegter Museumsraum als Bühnenbild, die Schauspieler sind folienverpackt und entsteigen Kisten: Christoph Marthalers anrührend unspektakuläre Sonderlingsrevue "Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter" wirkt wie ein augenzwinkernder Kommentar zum bevorstehenden Intendantenwechsel.
Es sind nur zarte Anspielungen, die an dieser Spielzeiteröffnung auf die Zukunft der Berliner Volksbühne gemacht werden. Aber ein Zufall kann es unmöglich sein, dass Anna Viebrock ihr Bühnenbild als speckigen, schlecht gepflegten Museumsraum anlegt – nun, da das Haus von Museumsleiter Chris Dercon in seine internationale, multimediale Zukunft geführt werden soll.
Christoph Marthaler reagiert auf die Krise und die allgemeine Hysterie, die diese Personalie erregt, jedoch in der für ihn typischen stillen Gelassenheit, wenn auch keineswegs ohne bissige Spitzen.
In den Mittelpunkt seiner Sonderlingsrevue setzt er als tragikomischen Helden einen Inspizienten (Marc Bodnar), der zu Beginn die angestaubten Exponate aus dem Keller holt: Es ist das Ensemble selbst, dick verpackt in Folie und schweren Kisten, das sich in Folge nur schwer kontrollieren lässt.

Ergraute Damen und Herren

Die Damen und Herren, beinahe allesamt leicht ergraut, tun noch einmal, was sie können: Sie singen, rezitieren, legen Gala-Auftritte hin, kleine Abschiedsvorstellungen und innige Tänze. Oder sie kichern, wie die herrliche Irm Herrmann, die aus ihrer Handtasche Glückskekse fischt und deren schwachsinnige Lebensweisheiten vorliest.
Sophie Rois ist in diesem Reigen die einzige, die auch mal laut werden darf, wenn sie italienische Chansons über die Rampe schmettert, ansonsten herrscht im musikalischen Ablauf Piano und Pianissimo. Kein dramaturgischer Bogen wird gespannt, dafür wechseln sich kauziger Slapstick, zärtliche Gesten und wehmütige Blicke.
Marthalers Theater, diesmal beinahe ohne Dialog, will mit Feuereifer unzeitgemäß sein, entzieht sich dem Modernitätsdiskurs mit anrührend unspektakulärer, bisweilen geradezu apathischer Clownerie.
"Wir tun noch einmal das, was wir hier an diesem Ort seit Jahrzehnten tun", scheint das Ensemble zu sagen, "bevor wir werden, was wir in den Augen mancher vielleicht schon sind: Museumsstücke einer vergangenen Tradition."
Das Publikum jedenfalls bedankt sich mit hingerissenem Applaus.

"Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter"
Von Christoph Marthaler
Regie: Christoph Marthaler
Bühne: Anna Viebrock
Kostüme: Anna Viebrock
Dramaturgie: Malte Ubenauf, Stefanie Carp

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