Martin Mosebach: Mogador
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016
368 Seiten, 22,95 Euro
Großartiger Roman mit willenlosem Anti-Helden
Banker Patrick Elff muss "Unregelmäßigkeiten" in seiner Abteilung "beseitigen" und landet im Bordell. Irgendwie, ohne es zu wollen, wie immer in seinem Leben. Und Martin Mosebach hat mit seinem Anti-Helden in "Mogador" wieder einmal eine grandiose Geschichte geschrieben.
Mogador liegt an der marokkanischen Atlantikküste oder, wie es im Roman einmal heißt, am "Ende der Welt". Der junge, auf der Karriereleiter seiner Bank schon ziemlich hoch hinauf gestiegene Patrick Elff ist hierher geflohen, weil gewisse "Unregelmäßigkeiten" (wie das so schön heißt) in seiner Abteilung aufzufliegen drohen. In Mogador hofft er, den dubiosen Monsieur Pereira zu treffen, dem er beim Verschieben von Millionen geholfen hat und der ihm deshalb noch einen Gefallen schuldet.
Wie immer in seinem Leben ist er auch in diese Sache widerstandslos hineingeraten, hat sie allenfalls ein wenig zu deutlich geduldet. Auch Banker wurde er eher zufällig, eigentlich war er Literaturwissenschaftler, so wie auch seine Frau Pilar, die nun Immobilien makelt. "Was sich ergeben hatte, das war ein Ereignis, keine Tat", so fasst der Held sein Empfinden zusammen. Diese eher willenlos entgegengenommene Schicksalhaftigkeit ist seit eh und je das große Thema von Martin Mosebach und seiner Anti-Helden.
Mosebach liefert eine archaische Gegenwelt
Mit "Mogador" tritt er den Beweis dafür an, indem er Patrick Elff in eine völlig andere Welt versetzt. Hat man im ersten der vier Teile noch den Eindruck, es handle sich um einen Kriminalroman übers Finanzmilieu, gerät der Held nun - ohne aber zu verstehen, wo er sich befindet - in ein exquisites und dezent operierendes Bordell. Die Chefin, Khadija, ist eine mächtige Frau, die im Unterschied zu ihm genau weiß, was sie tut. Zugleich ist sie - seit sie als Kind eine Katze in den Ofen geschleudert hat - mit einem feurigen Dämon verbündet, der ihr visionäre Kräfte verleiht. Jedenfalls glaubt sie selbst erfolgreich daran.
Patrick Elff hat vorübergehend alle Brücken hinter sich abgebrochen und auch die SIM-Karte aus dem Handy entfernt. Das liest sich wie ein ironischer Kommentar auf die Debatte um Mosebachs Roman "Das Blutbuchenfest", als ihm vorgeworfen wurde, dass da im Jahr 1991, als es Handys noch gar nicht gab, allzu wild mobiltelefoniert werde. Wie auch in früheren Roman, ob in Indien, Bosnien oder der Türkei, läuft Mosebach dann, wenn es um die archaische Gegenwelt geht, zu großer Form auf.
Bettler und korrupte Polizisten sorgen für Umverteilung
Wirkt seine Prosa zu Beginn ein wenig hölzern, bekommt sie hier Saft und Kraft und Sinnlichkeit, die vom Kontrast zwischen äußerer Armut und dem Reichtum seiner immer ein wenig preziösen Sprache lebt. Mosebach liefert eine grandiose Schilderung der Meeresbrandung; mit präzisem Blick erfasst er die Ökonomie einer Gesellschaft, in der die Bettler und die korrupte Polizei für die nötige Umverteilung sorgen. Die Geburt eines Kalbes wird zum Ereignis, in dem das Rätsel des Lebens aufleuchtet.
Am Ende flieht Patrick Elff erneut, diesmal zurück nach Deutschland und in sein altes Leben, das aber so nicht mehr existiert. "Jede Flucht", das war ihm zuvor klar geworden, "ist eine Bewegung auf den Untergang zu." Mosebach gewinnt dieser Bewegung intensive Momente ab, gerade da, wo alles Planen und Handeln zum Stillstand kommt. Wenn zeitgleich zu "Mogador" noch ein Band mit "Bagatellen" erscheint ("Das Leben ist kurz"), dann hat das allenfalls die Funktion, die Fallhöhe von großer Literatur zu publizistischer Gelegenheitsprosa zu markieren. Ansonsten hätte es diesen Begleitband zu einem wirklich großartigen Roman nicht gebraucht.
Martin Mosebach: Das Leben ist kurz. Zwölf Bagatellen
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016
160 Seiten, 16,95 Euro