"Die Lektüre ihrer Werke braucht Hingabe"
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Die Schriftstellerin Brigitte Kronauer ist mit 78 Jahren gestorben. Ihr Kollege Martin Mosebach hat sie gekannt und geschätzt – als Autorin und persönlich. Kronauer habe einen durchdringenden Verstand gehabt und sei von "großer Liebenswürdigkeit" gewesen.
Joachim Scholl: Was hat Ihrer Meinung nach die Literatur von Brigitte Kronauer besonders ausgezeichnet?
Martin Mosebach: Brigitte Kronauer steht in einer ganz großen, sehr spezifisch deutschen Tradition. Sie war wirklich eine Weiterführung des Werkes von Jean Paul, der große romantische Romancier, der so unterschiedliche Nachfolger wie Eckhard Henscheid, mit dem sie ja auch eng verbunden war, und Arno Schmidt gefunden hat. Ganz unterschiedliche Werke – und sie, hat vielleicht darunter das nobelste, das kunstvoll subtilste Werk hervorgebracht.
Scholl: Sie haben vor zwei Jahren die Laudatio auf Brigitte Kronauer gehalten, als sie den Thomas-Mann-Preis erhielt, und da haben Sie sie als die Erbin des großen Jean Paul bezeichnet. Brigitte Kronauer hatte auch als Persönlichkeit diesen herrlichen Humor. Es ist eine seltene Begabung, das auch in die Literatur umzusetzen.
Mosebach: Ja, es ist ein sehr zarter Humor. Es ist eben kein Humor der donnernden Pointen, kein Humor der großen Komik, sondern ein schwebender, ironischer, zarter Unterton, der eigentlich immer verbunden war mit einer großen Liebe zu den Verhältnissen, die sie schilderte, zu den Sprechern, zu den Figuren, die sie schilderte.
Jede Seite ein Genuss von höchster Delikatesse
Scholl: Brigitte Kronauer hat ja vergleichsweise spät zu veröffentlichen begonnen. Ihr Roman "Frau Mühlenbeck im Gehäus" erschien 1980, da war sie schon 40 Jahre alt. Aber schon dieses Buch, da waren sich alle einig, zeigte eine Meisterin. Und von da an gab es in der Literaturkritik nur noch die Variation der Vokabel "großartig". Haben Sie das auch so empfunden, Herr Mosebach?
Mosebach: Sie war eigentlich sofort da, und es war sofort klar, dass sie eine ganz bedeutende Autorin sein würde, eigentlich mit dem ersten Werk und dann mit dem "Berittenen Bogenschützen" und "Der Pfau in den Kissen", die hinterherkamen, das waren sofort Werke, die den Rahmen einfach festlegten. Und den hat sie dann nicht mehr verlassen.
Man könnte natürlich sagen, sie hat vielleicht nie ein besonders großes Publikum für sich gewonnen, denn die Lektüre ihrer Werke braucht Hingabe. Man kann diese Bücher nicht nebenbei lesen. Die liest man auch nicht, weil sie so spannend sind oder weil man die Auflösung gerne erfahren möchte. Da ist jede einzelne Seite eigentlich ein Genuss von höchster Delikatesse und will gründlich zur Kenntnis genommen werden.
Ungeheures Bemühen, das richtige Wort zu finden
Scholl: Eine besondere Passion hat sie für die Kunst, die große Malerei, gehegt. Auch darüber hat Brigitte Kronauer viel und glänzend geschrieben. Was würden Sie sagen, Herr Mosebach, wie hat sich dieser Sinn für Bilder, für das Bildliche, mit ihrem literarischen Können verbunden?
Mosebach: Sie war Augenmensch und war eine Frau, die die Welt durch die Augen aufgenommen hat. Das drückt sich in dem, was sie beschreibt, in den Gesichtern, in den exakten Wahrnehmungen feinster psychologischer Regungen ebenso aus wie in grandiosen Naturbildern, wenn sie dann richtig sozusagen auch mal mit breitem Pinsel malt. Die Natur wölbt sich über das kleine kauzige Menschenwesen dann, das hat auch so etwas Jean-Paulsches.
Scholl: Jeder, der Brigitte Kronauer einmal getroffen, einmal gesprochen hat – auch ich hatte mehrfach das Vergnügen –, hat hinterher eigentlich geschwärmt und war entzückt und sagte: Das ist so eine tolle Frau. Hatten Sie auch diese Empfindung?
Mosebach: Es war eben diese einzigartige Gegenwart eines durchdringenden Verstandes, einer vollkommenen, sehr, sehr sorgfältigen Kontrolliertheit ihres Ausdrucks, ein ungeheures Bemühen, immer das genau richtige Wort zu finden – und eine große Liebenswürdigkeit.
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