Rekonstruktion eines Massenmords
Vor drei Jahren wurden 21 koptische Christen vom Islamischen Staat brutal ermordet. Die grausame Tat wurde von den Terroristen gefilmt und im Netz verbreitet. Martin Mosebach hat die Familie der Opfer in Ägypten besucht und ein Buch darüber geschrieben.
Ute Welty: Sie waren als Wanderarbeiter aus Ägypten gekommen, um in Libyen Geld zu verdienen, und keiner von ihnen sollte diese Reise überleben. Vor drei Jahren wurden 21 koptische Christen am Strand von Sirte brutal ermordet. Die Terroristen des sogenannte Islamischen Staats brüsteten sich mit der Tat, und sie ließen ein Video davon verbreiten, "eine mit Blut geschriebene Nachricht an die Welt des Kreuzes", so der IS-Titel. Der preisgekrönte Autor Martin Mosebach hat die Familien der 21 besucht. Heute erscheint sein Buch darüber. Guten Morgen, Herr Mosebach!
Martin Mosebach: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Warum haben Sie diese Recherche unternommen, auf den Spuren eines Massenmordes, der in so vielen Familien eine unglaublich schmerhafte Lücke hinterlassen hat?
Gelassen im Angesicht des Todes
Mosebach: Es ging mir um diese Familien. Es ging mir um das Milieu, aus dem die Ermordeten kamen. Man beschäftigt sich viel mit den Mördern, aber ich wollte auch wissen, was das für Menschen waren, die im Angesicht des Todes eben so gelassen, möchte man wirklich sagen, ihren christlichen Glauben bekannt haben.
Welty: Wie drückt sich diese Gelassenheit aus?
Mosebach: Sie drückte sich … Während die Vorbereitungen liefen für die Hinrichtung, für das Köpfen, des Kopfabschneiden, sah man sie in diesem Video eben im Gebet oder in vollkommener Ruhe, und dann, als dann die Messer angesetzt wurden an die Hälse, da hörte man dann aus vielen Stimmen den leisen Ruf "Herr Jesus", und das eben im Zusammenhang mit dieser unheimlichen und auch abstoßenden Perfektion dieses kleinen Videos, das führte mich dazu, mehr wissen zu wollen über den Hintergrund dieser Menschen.
Welty: Wie hat sich denn der Kontakt zu diesen 21 Familien ergeben? Um es mal unangemessen flapsig auszudrücken: Die stehen ja nicht im ägyptischen Telefonbuch mit dem Vermerk, dass Vater, Bruder oder Onkel vom IS enthauptet wurden.
Mosebach: In keiner Weise. Also das wäre auch ohne Hilfe gar nicht möglich gewesen. Es war Oberägypten, die kleinen Dörfer – ich weiß noch nicht mal, ob sie auf jeder Landkarte zu finden sind –, wo diese Menschen herstammen, Kleinbauernfamilien, dahin hat mich dann der Ortspfarrer und junge Diachrone, die mir der Bischof der nahegelegenen Diözesanstadt mitgegeben hat, haben mich dorthin begleitet.
Stolz auf die Brüder, Väter und Kinder
Welty: Was konnten Sie fragen, was wollten Sie fragen, und was wollten Sie nicht fragen?
Mosebach: Also das ist eine gute Frage von Ihnen. Es war natürlich eine Scheu von mir dabei, in Menschen zu dringen, Mütter, Kinder, Geschwister, die so etwas erlebt haben. Ich wollte das einfach hören, was sie mir selber erzählen, und das war außerordentlich überraschend. Also ich kam nicht in Trauerhäuser, ich kam nicht in die Häuser von verzweifelten Menschen. Ich kam zu Menschen, die unglaublich stolz waren auf ihre Brüder, Väter, Kinder, Söhne, die ihre nächsten Verwandten, die da geschlachtet worden waren, als Heilige verehrten, die die Toten eben darstellten auf Fotocollagen mit Kronen auf dem Kopf als Könige im Himmel. Das war ein erstaunliches Erlebnis.
Welty: Ihr Buch heißt "Die 21", weil es eben 21 Männer waren, 21 Todesopfer, und dann heißt es in der Unterzeile "Eine Reise in das Land der Martyrer". Was sagt das aus über die koptische Kirche und über die Gesellschaft der koptischen Christen?
Mosebach: Ich glaube, dass ich da ein bisschen ausholen muss, weil ich festgestellt habe, als ich diesen Plan fasste, dass auch Leute, die sich in vielen Dingen auskennen in Deutschland, über die Kopten nicht so recht Bescheid wissen, und dass es doch sinnvoll sein würde, dieses ganze Umfeld auch zu schildern, jedenfalls so, wie es sich mir präsentiert hat. Fachliteratur kann man da noch mal anderes entnehmen und mehr, aber wie sieht es aus, wie sieht diese koptische Welt aus heute, eben mit ihren großen Liturgien, mit ihren Wallfahrten, mit ihren Klöstern. Wir lesen manchmal in der Zeitung, weil diese Verfolgung und Tötung von Kopten ja nicht aufhört, beklagenswerterweise, die Kopten wären acht Prozent, neun Prozent der ägyptischen Bevölkerung, es scheinen sehr viel mehr zu sein, wobei man sagen muss, die ägyptische Bevölkerung auf 90 Millionen gerechnet, sehr viel mehr, 20 Prozent, 25 Prozent. Ich habe auch mal eine Zahl gehört, 30 Prozent. Es wird einfach nicht richtig festgestellt. Also ein großes Volk, wenn man so will, was aber in völliger Verborgenheit lebt, für uns. Das war ein sehr großes Erlebnis.
Versöhnung statt Rache
Welty: Sie kommen zu dem Schluss, dass die koptische Kirche dazu beitragen kann, Ägypten zu heilen. Was bringt Sie zu diesem Schluss?
Mosebach: Es brachte mich vor allem zu diesem Schluss, dass ich bei den Familien, die ich da erlebt habe, es nicht bei einem einzigen von einem Strafbedürfnis oder einem gar Rachebedürfnis die Rede war. Es kam nichts, es war nichts zu hören, was in irgendeiner Weise Revanche, auch nur Gerechtigkeit – in Anführungszeichen – forderte. Es wurde dieser Tod ganz in seiner religiösen Dimension gesehen und nichts anderem, und das fand ich doch eine Leistung, eine seelische Leistung, die mich außerordentlich überrascht hat. Also das hätte man den nächsten Verwandten der Getöteten zugestanden, wenn sie in ihrer Verletztheit Strafe und Rache gefordert hätten, und das gab es überhaupt nicht.
Welty: Martin Mosebach in "Studio 9". Er hat ein Buch über koptische Christen in Ägypten geschrieben, über die Familien derer, die vom Islamischen Staat enthauptet wurden. Herr Mosebach, ich danke Ihnen!
Mosebach: Danke Ihnen!
Welty: Und hier noch mal der genaue Titel: "Die 21: Eine Reise in das Land der Martyrer". Das Buch erscheint heute bei Rowohlt, hat 272 Seiten und kostet 20 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.