Martin Sabrow: "Erich Honecker. Das Leben davor. 1912-1945"
C.H. Beck Verlag, 623 Seiten, 62 Abbildungen, 27,95 Euro
Als Honecker jung war
Charismatisch, stürmisch und wagemutig. Dieses Bild des jungen Erich Honeckers zeichnet die Biografie "Das Leben davor: 1912-1945" von Martin Sabrow. Er wollte dem offiziellen kommunistischen Muster-Lebenslauf des DDR-Staatsratsvorsitzenden etwas entgegensetzen.
Mit schwerer Hornbrille, fliehendem Haaransatz, schmalen Lippen und völlig ausdruckslos: So blickte Erich Honecker von den Wänden der DDR-Amtsstuben herab. Doch auf dem Cover-Foto seiner Jugendbiografie begegnet uns ein ganz anderer Erich Honecker: fröhlich, selbstbewusst, lebendig.
Martin Sabrow: "Tatsächlich ist jener junge Honecker offenbar tatsächlich eine begeisterungsfähige Figur, die vom Stand weg, auf der Straße, sich zu artikulieren vermochte und damit auch Massenanhang schuf."
Offizieller kommunistischer Muster-Lebenslauf
So schilderten es Zeitzeugen, die Honecker im Saarland erlebten, wo der 1912 geborene Arbeitersohn eine führende Rolle im kommunistischen Jugendverband spielte. Martin Sabrow ist Direktor des Zentrums für zeithistorische Forschung in Potsdam. Als er sich daran machte, die ersten drei Jahrzehnte im Leben Honeckers zu erforschen und aufzuschreiben, erhielt er Beileidsbekundungen ob der drögen Figur seines Interesses. Doch Sabrow suchte die Herausforderung, dem offiziellen kommunistischen Muster-Lebenslauf Honeckers etwas entgegenzustellen.
"Die Jahre vor 1945 aber liegen im Schatten, und sie sind von einer Ich-Erzählung umgeben, die nicht immer in jeder Hinsicht über Zweifel erhaben war und immer viel diskutiert wurde."
Honeckers Autobiografie von 1980 wurde vom Herrschaftsapparat geschrieben, kaum etwas darin stammt aus seiner eigenen Feder. Persönliche Aufzeichnungen gibt es kaum. Der Mensch Honecker trat hinter seinem Amt als Generalsekretär des Zentralkomitees der SED zurück.
"Insoweit gibt es – wie Honecker selbst an einer Stelle in einem Interview einmal beschreibt – natürlich auch eine Zurichtung auf die Repräsentationsbedürfnisse einer kommunistischen Herrschaft, die ja gerade nicht auf die Einzelperson setzte, sondern auf das Kollektiv."
Verknöchert, die immer gleichen Sätze kommunistischer Rhetorik nuschelnd, sich geistig unbeweglich an eine Herrschaft klammernd, die dem Untergang geweiht war, so haben wir Erich Honecker aus den achtziger Jahren vor Augen. Doch als junger Kommunist im lebensgefährlichen Widerstand gegen Hitler sei Honecker charismatisch, stürmisch und wagemutig gewesen, schreibt Sabrow.
"Und hier hat tatsächlich sich jemand – wie alle anderen kommunistischen Widerstandsangehörigen auch – sich für eine Sache aufzuopfern bereitgefunden, die über das eigene Ich und sein persönliches Lebensglück hinausreichte."
Buch korrigiert eine Legende
Sabrow korrigiert in seinem Buch die Legende, Honecker habe der Gestapo Mitkämpfer verraten. Im Dezember 1935 wird der überzeugte Kommunist verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Als er in Handschellen ins Gefängnis geführt wird, da bespucken ihn die Umstehenden. Das Volk, für das er alles riskiert hat, dankt es ihm nicht. Diese einschneidende Erfahrung habe nicht nur Honecker sehr geprägt, berichtet Martin Sabrow.
"Dieses Misstrauen gegenüber der eigenen Bevölkerung, für deren Befreiung man antritt, ohne aber auf ihre tatsächlichen Meinungsbekundungen entscheidenden Wert zu legen: Das ist ein Erfahrungsschatz, den diese Kommunisten, die vor 1920 geboren sind, in die neue Zeit mitnehmen."
Die langen Jahre im Zuchthaus hätten Honeckers Ansichten quasi zementiert, schreibt Sabrow in seiner von der Kritik sehr freundlich aufgenommenen Biografie. Noch 1989 habe Honecker auf die Denkschablone aus jener Zeit zurückgegriffen.
"Das nenne ich den eingefrorenen Erfahrungsschatz Erich Honeckers, der sich in den späten 20er- und 30er-Jahren ausbildet, bis Mitte 1945 und dann ein Erfahrungsschatz bleibt, an dem er festhält und mit dem er auch eine Herrschaft begleitet, die immer weiter in die Ausweglosigkeit abgleitet, ohne dass er sie aufzugeben bereit ist."
Ein Leben, das nicht zwangsläufig verlief, es waren auch viele Zufälle im Spiel, sagt Sabrow. Doch im Wesen des mächtigsten Mannes der untergehenden DDR spiegelte sich auch - die Geschichte.