Martin Suter: "Elefant"

Odyssee eines rosa Fabeltiers

Cover - Martin Suter: "Elefant"
Gut und böse so übersichtlich zugeteilt wie im Märchen: Martin Suters Roman "Elefant" © Diogenes Verlag / picture alliance / dpa / epa
Von Ursula März |
Erfolgsautor Martin Suter schickt in seinem neuen Roman einen winzigen rosa Elefanten, der im Dunklen leuchtet, auf eine Abenteuerreise. Die leicht lesbare Mischung aus Märchen und Gentechnik-Thriller ist eines seiner besten Bücher, findet unsere Rezensentin.
Der Schweizer Martin Suter zählt zum Dutzend jener deutschsprachigen Romanschriftsteller, deren Neuerscheinungen verlässlich die Spitze der Bestsellerlisten besetzen. Bereits Suters Debüt "Small World" aus dem Jahr 1997 verkaufte sich mehr als eine Million Mal. Mittlerweile ist das Werk des ehemaligen Werbetexters auf vierzehn Romane angestiegen, was ihm bei der Literaturkritik gelegentlich den Vorwurf eintrug, Fließband-Unterhaltungsliteratur zu fabrizieren. Dass der Erfolgsautor über ein Rezept verfügt, auf das er von Buch zu Buch zurückgreift, lässt sich nicht leugnen. Dass seine Plot-starken, stilistisch schnörkellosen und temporeich erzählten Geschichten nicht nur über Spannung, sondern auch über gesellschaftlich interessante, gut recherchierte Themen verfügen, lässt sich jedoch ebenso wenig leugnen. Alzheimer, Waffenschieberei, kriminelle Machenschaften der Finanzindustrie sind nur einige der Suterschen Sujets.
Auch seinen neuen Roman "Elefant" postiert Suter an vorderster Front des wissenschaftlich-gesellschaftlichen Fortschritts: Es geht um Gentechnologie. In hundert Kurzkapiteln erzählt er die Geschichte eines Laborwunders, eines zwergenhaften, nur dreißig Zentimeter hohen rosafarbenen Elefanten, der im Dunklen leuchtet und seine Existenz einem ebenso wahnwitzigen wie profitgierigen Zürcher Gentechnologen namens Roux verdankt.

Die sinistren Gentechniker haben das Nachsehen

Der kleine Elefant erlebt eine Odyssee in Gestalt eines Thrillers. Unter konspirativen Bedingungen wird er in einem Zürcher Zirkus geboren, von einem burmesischen Elefantenpfleger vor Roux und dessen chinesischen Auftraggebern versteckt. Nach einigen Stationen läuft er einem Obdachlosen zu, der am Ufer der Limmat nächtigt, bis er schließlich, samt dem Obdachlosen, bei dem es sich um einen verkrachten Zürcher Banker handelt, in einer Villa Unterschlupf findet, die eine Tierärztin von ihren Eltern geerbt hat. Das Ende der abenteuerlichen Handlung führt den Elefantenpfleger, die Tierärztin, den resozialisierten Obdachlosen und das bezaubernde rosafarbene Fabelwesen in seine natürliche Heimat: In eine Elefantenstation im heutigen Myanmar. Die sinistren Gentechnologen und ihre nicht minder sinistren Geschäftspartner haben das Nachsehen.

Thematisch relevant, aber philosophisch überfrachtet

Gut und böse sind in diesem Roman so übersichtlich verteilt wie im Märchen. Mit veritabler Könnerschaft verbindet Martin Suter tatsächlich die Erzählordnung des Märchens mit den Abgründen futuristischer Gentechnologie. So unwahrscheinlich die Existenz eines rosa phosphoreszierenden Minielefanten auch wirken mag - so plausibel begründet der Roman seine realistische Herstellbarkeit.
Thematische Relevanz ist somit einer seiner Vorzüge, ebenso die Anschaulichkeit der Figuren und nicht zuletzt seine Empathie für das seltsame, liebenswürdig zarte Tiergeschöpf, das der Leser schnell ins Herz schließt. Die philosophischen Schöpfungsreflexionen, die Suter dem kleinen Elefanten auflastet, sind indes etwas zu gewichtig für einen Roman von der Machart kalkulierter Unterhaltsamkeit. Als literarisch groß im strengen Sinn kann man "Elefant" wohl nicht bezeichnen. Aber zwischen Größe und Trivialität gibt es das weite Feld der guten, leicht lesbaren Literatur, die zu Recht eine große Leserschaft findet. In diesem Feld ist Martin Suter ein Meister und "Elefant" eines seiner besten Bücher.

Martin Suter: Elefant
Diogenes Verlag
Zürich 2017
347 Seiten, 24 Euro

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