Martin Walsers "Statt etwas ..."

Bücher innerhalb von Minuten ausverkauft

Der Schriftsteller Martin Walser
Der Schriftsteller Martin Walser © dpa picture alliance/ Felix Kästle
Von Noemi Schneider |
Bei der Buchpremiere von "Statt etwas oder Der letzte Rank" in München präsentierte sich der Autor sprachgewaltig und streitbar wie eh und je. Sein Publikum war begeistert. Der Büchertisch im Literaturhaus war innerhalb von Minuten ausverkauft.
"Mir geht es ein bisschen zu gut." Mit diesen Worten beginnt Martin Walsers neuer Roman "Statt etwas oder Der letzte Rank". Rank? Ein alemannischer Begriff aus der Heimat des Autors, der soviel heißt wie Wendung, Kurve oder auch der Haken, den ein Gejagter schlägt. Die "letzte Wendung" also? Auf dem Umschlag des Buches ist ein leerer Bilderrahmen zu sehen. Der Blick nach Innen ist Programm: 52 kurze Kapitel, ein Ich-Erzähler, der die Perspektive wechselt. Lose aneinander gereihte Gedanken, Träume, Einsichten, Ausblicke, Szenen, Miniaturen, die sich zu einem sprachgewaltigen Selbstporträt vereinen.
"Laut psalmodierend kam ich aus dem Saal. Mein Text bahnte mir deutlich den Weg ins Freie. Allerdings auch, weil ich ihn so laut sagte wie noch nie. Mir geht es ein bisschen zu gut.
Zu träumen genügt.
Unfassbar sein wie die Wolke, die schwebt.
Ich hoffe mehr, als ich will.
 Ich huste, also bin ich.
Ich bin eine blühende Wiese.
Der liebe Gott ist ein Masseur mit Händen aus Musik.
 Ich bin ein Apfelbaum, der Birnen trägt. Alle Vögel singen, als wüssten sie Bescheid."

"Isch ein Roman eine Handlung?"

Eine Stunde lang las der Schriftsteller im ausverkauften Münchner Literaturhaus - Jung und Alt waren gebannt. Im anschließenden Gespräch präsentierte sich der fast 90-Jährige, das obligatorische Glas Weißwein vor sich, streitbar wie eh und je. Gleich zu Beginn stellte der Literaturkritiker und Walser-Biograf Jörg Magenau nämlich die Gretchenfrage nach der "Romanhaftigkeit" des neuen Werks:
"Also du meinsch auch, des isch eher kein Roman?"
"Ich möchte die Frage stellen, ich bin mir nicht sicher, weil ich weiß es ja auch nicht, was ist denn ein Roman?"
"Na, ja, eben, eben."
"Aber vielleicht können wir das ja begründen, warum es hier außen drauf steht, zumindest, also man sagt immer, Verlage schreiben das immer drauf, weil es verkauft sich besser aber das glaube ich, war vermutlich nicht der Grund."
"Ich mein, wenn jemand sagt, dass sei kein Roman, dann darf ich ihn fragen: Bitte, was isch ein Roman? Sag mal? Was isch ein Roman? Isch ein Roman eine Handlung?"
Daraufhin entbrannte ein denkwürdiger literaturkritischer Disput über Handlung, Sprache und Vokabular, den der Schriftsteller für sich entschied. Schließlich obliegt ihm die Deutungshoheit über sein Werk, auch das stellte er an diesem Abend unmissverständlich klar:
"Nachträglich hab ich festgestellt, dass es ein Roman ist, mit einer strikten Handlung. Da ist jemand, der sieht sich besetzt, besetzt, besetzt, der ist nie dazu gekommen, er selbst zu sein, durch Theorien und so weiter, Zeug und jetzt, will er sich befreien, er will endlich da sein, er will nicht mehr nachbeten müssen, er will nicht mehr für wahr halten müssen, er will da sein, da sein, nichts als da sein."
Da ist auch Martin Walser, ein alemannischer Dickschädel mit virtuoser Sprachgewalt. Das Münchner Publikum war sich einig, der Büchertisch am Ausgang innerhalb von Minuten ausverkauft. Mögen sich die Kritiker weiterstreiten.
"Ich lass mich nicht erledigen, bloß weil mir alles weh tut.
Ich leide nicht für nichts und wieder nichts.
Ich will den Schmerz das Singen lehren und tanzen mit gebrochnem Bein.
Den Schmerz mach ich zum Bariton.
Die Depression wird mein Tenor.
Und wenn die Qual mich schreien lässt, ruf ich da capo und Applaus."
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