Wenn der Dancefloor politisch wird
Musik zum Tanzen und Protestsongs gehen nicht zusammen: So lautet ein Vorurteil, das so alt ist wie die Sounds für den Dancefloor selbst. Dass es seitdem immer wieder eindrucksvoll widerlegt worden ist, erklärt Sonja Eismann vom "Missy Magazine".
Bereits Ende der 1960er wollte Marvin Gaye, der 1971 mit "What's Going On" eines der prägendsten politischen Soulalben der Popgeschichte veröffentlichen sollte, nach eigener Aussage nicht länger derjenige sein, der immer nur "Baby, Baby" singt. Sondern stattdessen derjenige, der mit seinen Songs die Seelen der Menschen erreicht und ihnen zeigt, was in der Welt passiert.
Kollektives Tanzen hat Wirkung
1979 veröffentlichte der britische Kulturwissenschaftler Richard Dyer seinen einflussreichen Essay "In Defence of Disco", in dem er dem Gemeinplatz entgegentritt, dass nur Genres wie Rock, Folk oder Reggae politisch sein könnten. Im Gegenteil sei der "whole body eroticism" (die Ganzkörpererotik) von Disco, der im kollektiven Tanzen gipfele, ein viel wirksameres Mittel der politischen Zusammenkunft als die solitären, phallischen Gesten des Rock.
Und um die letzte Jahrtausendwende sprach der Wiener Soziologe Oliver Marchart anhand der Technoparaden gegen die rechtspopulistische blau-schwarze Regierung von einer "Soundpolitisierung", die auch ohne Worte auskomme.
Nun veröffentlicht Anohni, vormals als Antony Hegarty und Kopf der Band Antony and the Johnsons bekannt, ein Protestalbum, das all diese Traditionen verbindet. Sie verbindet zuckrigen Pop mit souliger Gesellschaftskritik, explizite Anklagen gegen staatliche Gewalt und Umweltverschmutzung mit avancierter Clubmusik.
Kann das funktionieren? Wir haben mit Sonja Eismann, Herausgeberin des "Missy Magazines", über die Möglichkeit von Politik auf dem Dancefloor gesprochen.