Marvin Gaye: "You're the man"

Womanizer mit Protestsongs

04:38 Minuten
Von Klaus Walter |
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Als hätte es eines weiteren Beweises bedarf: Marvin Gaye ist einer der größten Soulmusiker, wie die 17 Songs des nach 47 Jahren nun endlich veröffentlichen Albums "You‘re the man" belegen.
Nach 47 Jahren Verspätung ist jetzt doch noch das Album "You're the Man" von Marvin Gaye erschienen. Er macht dabei dort weiter, wo er mit "What‘s Going on" aufgehört hat, seinem gefeierten Album von 1971 – musikalisch wie thematisch. Von einem Marsch auf Washington ist da die Rede und von Heuchlern und Politikern, die uns ganz verrückt machen. Marvin Gaye also weiterhin im Protestmodus.

Politische Lieder statt Erotik

Als Marvin Gaye ein Album mit Protestsongs machen wollte, da war Berry Gordy geschockt. Der Patriarch der Firma Motown hatte Angst, dass Marvin Gaye sein Image ruinieren würde. Der ehemalige Boxer Berry Gordy wollte Motown in Detroit zum General Motors der Musikindustrie machen, da war Politik in Popsongs Kassengift.
Marvin Gaye war sein bestes männliches Pferd im Stall, er wurde vermarktet als Sexsymbol. Und er war ja auch süß, mit seinem jungenhaften Charme. Jede Frau, die Marvin Gaye gesehen hat, war scharf auf Marvin Gaye – meint zumindest seine Labelkollegin Mary Wilson.
Und dann besinnt sich der "Ladies Man" plötzlich eines Anderen: Er denkt weniger an seine erotischen Fantasien als an den Krieg in Vietnam und an seinen Bruder. Frankie Gaye kämpft dort und überlebt schwer traumatisiert. Die Horrorgeschichten, die er von diesem Krieg erzählt, inspirieren seinen Bruder Marvin zu einem Kurswechsel: weniger Erotik, mehr Politik.
"Die Unruhen in den USA, der Tod von Martin Luther King, die Schüsse an den Universitäten – es lag ein Bürgerkrieg in der Luft. Das hat mich dazu gebracht, genauer auf die Gesellschaft zu schauen und Lieder zu schreiben, die die Seelen der Menschen berühren."

Doppelgänger und Geschwister

Das gelingt Marvin Gaye: "What‘s Going on" wird ein Riesenerfolg und am Ende ist sogar Motown-Boss Berry Gordy versöhnt. "Das Größte, was Motown jemals rausgebracht hat", sagt er über "What‘s Going on".
Nach Gordys Geschäftslogik muss Marvin Gaye jetzt genau so weitermachen. Also hören wir auf dem jetzt nachveröffentlichten "You´re the man" Doppelgängersongs und kleine Geschwister. Aus "What’s Going on" wird "Where are we going?"
Mit 17 Songs bestätigt "You‘re the Man", was wir schon wussten: Marvin Gaye ist einer von diesen Sängern, der das Telefonbuch von Detroit singen könnte, und wir wären glücklich. Von mir aus auch das Telefonbuch von Detmold. Oder, mit den Worten von Smokey Robinson, einem anderen ganz Großen aus dem Hause Motown: "Er lebte seine Musik und seine Musik lebte durch ihn."

Leistungsschau mit schönen Songs

Und dann erfindet Smokey Robinson noch ein neues Wort: "He would marvinize it". Marvin hat die Musik marvinisiert, besser kann man es nicht sagen. Als Vielseitigkeitskünstler der Marvinisierung zeigt sich Marvin auch auf dem jetzt veröffentlichten Album. Er gibt den Womanizer und den Protestsänger, zwischendurch singt er auch mal ein Weihnachtslied
So ist "You‘re the Man" eine Art Leistungsschau, was der Marvin so alles kann. Eine Sammlung von schönen Songs, die aber nicht zu einem Album zusammenwachsen wollen. Was ja wiederum in die Zeit passt. Wer hört noch ganze Alben, heutzutage?
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