Marx meets Marx
Das hätte Karl Marx sich nicht träumen lassen: Sein Namensvetter Reinhard Marx, ausgerechnet ein katholischer Bischof, schreibt "Das Kapital" neu. Bei aller Kritik am marxistischen Menschenbild würdigt er die Analysen des alten Marx. Bestätigung sieht er in der aktuellen Finanzmarktkrise und der zunehmenden Kluft zwischen Arm und Reich. Sein Fazit: Ein gezähmter, sozial verträglicher Kapitalismus muss her.
Marx ist wieder da: Derzeit verkauft sich Karl Marx’ Hauptwerk "Das Kapital" besser denn je. Und in Kürze bringt Alexander Kluge ein zehnstündiges DVD-Projekt auf den Markt, eine filmische Auseinandersetzung mit dem umfangreichen Klassiker, dessen erster Band 1867 gedruckt wurde.
Zuvor legt Marxens Namensvetter Reinhard, derzeit Erzbischof von München und Freising, seine Version von "Das Kapital" vor. Sie trägt den Untertitel "Ein Plädoyer für den Menschen". Marx wirbt auf rund 300 Seiten für einen sozialen Kapitalismus und für eine globale soziale Marktwirtschaft.
Marx meets Marx. Sozialer Kleriker trifft auf kirchenfernen Kapitalismuskritiker. Das heißt konkret: Auf den ersten 20 Seiten schreibt der konservative ehemalige Trierer Bischof einen Brief an den in Trier geborenen Atheisten und Kritiker der politischen Ökonomie. Der alte Marx hat da zunächst keine Chance.
Rasch "steht es aus der Sicht des Nachgeborenen (…) 2:0", denn Reinhard Marx bringt seinen geistigen und geistlichen Vorfahren, den "Arbeiterbischof" Emmanuel Ketteler ins Spiel. Der hatte die "Idee eines staatlichen Arbeits- und Sozialrechts" und sprach von "gewerkschaftlicher Selbsthilfe der Arbeiterschaft". Beides, so der klerikale Marx, habe sich in Deutschland und vielen anderen Industrieländern durchgesetzt. Aber keineswegs die von Karl Marx geforderte Revolution.
Dennoch, das verschweigt der Erzbischof, hat die katholische Kirche im 19. und 20. Jahrhundert die Arbeiterschaft verloren. Das mag daran liegen, dass deren Vertreter früher wie auch heute Reinhard Marx eher Kontakte pflegten und pflegen zu Inhabern mittelständischer Familienunternehmen als zu Protagonisten der Entfremdung, zu Arbeitern an Fließbändern und Hochöfen.
Marx folgt Marx. Bei aller Kritik am marxistischen Menschenbild und an den Folgeerscheinungen des real existierenden Marxismus würdigt der junge Marx immerhin die Beschreibungen und Analysen des alten Marx. Die aktuelle Finanzmarktkrise sowie die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich bestätigen auf den ersten Blick: Der Kapitalismus wird zur Plage und zu weltweiter Gefahr.
Mitunter bekennt der Erzbischof Farbe und wird konkret. Für ihn ist der "Karawanenkapitalismus" der Firma Nokia, die für ein Mehr an Rendite ihr Werk von Bochum nach Rumänien verlegte, ebenso ein Skandal wie das Schicksal von Millionen Wanderarbeitern in China, die zu Opfern einer noch nie dagewesenen Synthese von Kommunismus und Kapitalismus werden.
Weitere Beispiele sind: Mit horrenden Eigensubventionen und mit hohen Importzöllen hebeln die Industrie die Entwicklungsländer auf dem Agrarmarkt aus. Oder zweites Beispiel: Die Politiker schaffen keinen wirklichen sozialversicherungsinternen Familienleistungsausgleich, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies längst gefordert hat. Marx kritisiert die Ignoranz der Politiker.
Wird der Kapitalismus letztlich doch an sich selbst zugrunde gehen? Hat der alte Marx letztlich doch - in allem - Recht? Der Erzbischof kontert mit einem entschiedenen "Nein". Für ihn gilt: Mehr Kapitalismus wagen. Reform statt Revolution. Ein gezähmter, sozial verträglicher Kapitalismus muss her. Einzuschlagen ist ein dritter zwischen Liberalismus und Dirigismus, zwischen primitivem Kapitalismus und verklärendem Marxismus - auf der Basis der katholischen Soziallehre.
Deren Prinzipien - Personalität, Subsidiarität und Solidarität - durchziehen wie rote Fäden die acht Kapitel des Buches, in denen Marx für mehr Freiheit und Gerechtigkeit ebenso wirbt wie für das christliche Menschenbild. Die unantastbare Würde des Menschen ist Marx "heilig" und darf weder dem Kollektiv, dem Kapital noch dem Kampf gegen den Terrorismus geopfert werden. Daraus folgt zum Beispiel:
"Das System von Guantanamo Bay ist falsch! Es ist politisch falsch, und es ist moralisch falsch."
"Das Kapital" von Reinhard Marx ist gut lesbar. Mitunter gerät der ehemalige Professor für christliche Gesellschaftslehre in eine Art Plauderton und neigt zu vereinnahmenden Predigtworten, indem er "wir Christinnen und Christen" schreibt sowie "unser verstorbener Papst". Ferner merkt man dem Buch an, dass Gedanken aus Vorträgen, Predigten und Artikeln zusammengetragen und mit aktuellen Daten angereichert wurden.
Marx kontert Marx. Dabei bringt er neben den Sozial-Enzykliken der Päpste auch die Sozialworte der beiden großen Kirchen in Deutschland in Erinnerung. Marx hofft, dass die Lektüre seines Buches den "moralischen Grundwasserspiegel", wie der Erzbischof das nennt, nicht nur bei Managern erhöht. Das wäre ebenso wünschenswert wie eine ausgiebige Debatte seiner Thesen.
Rezensiert von Thomas Kroll
Reinhard Marx: Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen
Unter Mitarbeit von Dr. Arnd Küppers
Pattloch Verlag, München 2008
320 Seiten, 19,95 Euro
Zuvor legt Marxens Namensvetter Reinhard, derzeit Erzbischof von München und Freising, seine Version von "Das Kapital" vor. Sie trägt den Untertitel "Ein Plädoyer für den Menschen". Marx wirbt auf rund 300 Seiten für einen sozialen Kapitalismus und für eine globale soziale Marktwirtschaft.
Marx meets Marx. Sozialer Kleriker trifft auf kirchenfernen Kapitalismuskritiker. Das heißt konkret: Auf den ersten 20 Seiten schreibt der konservative ehemalige Trierer Bischof einen Brief an den in Trier geborenen Atheisten und Kritiker der politischen Ökonomie. Der alte Marx hat da zunächst keine Chance.
Rasch "steht es aus der Sicht des Nachgeborenen (…) 2:0", denn Reinhard Marx bringt seinen geistigen und geistlichen Vorfahren, den "Arbeiterbischof" Emmanuel Ketteler ins Spiel. Der hatte die "Idee eines staatlichen Arbeits- und Sozialrechts" und sprach von "gewerkschaftlicher Selbsthilfe der Arbeiterschaft". Beides, so der klerikale Marx, habe sich in Deutschland und vielen anderen Industrieländern durchgesetzt. Aber keineswegs die von Karl Marx geforderte Revolution.
Dennoch, das verschweigt der Erzbischof, hat die katholische Kirche im 19. und 20. Jahrhundert die Arbeiterschaft verloren. Das mag daran liegen, dass deren Vertreter früher wie auch heute Reinhard Marx eher Kontakte pflegten und pflegen zu Inhabern mittelständischer Familienunternehmen als zu Protagonisten der Entfremdung, zu Arbeitern an Fließbändern und Hochöfen.
Marx folgt Marx. Bei aller Kritik am marxistischen Menschenbild und an den Folgeerscheinungen des real existierenden Marxismus würdigt der junge Marx immerhin die Beschreibungen und Analysen des alten Marx. Die aktuelle Finanzmarktkrise sowie die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich bestätigen auf den ersten Blick: Der Kapitalismus wird zur Plage und zu weltweiter Gefahr.
Mitunter bekennt der Erzbischof Farbe und wird konkret. Für ihn ist der "Karawanenkapitalismus" der Firma Nokia, die für ein Mehr an Rendite ihr Werk von Bochum nach Rumänien verlegte, ebenso ein Skandal wie das Schicksal von Millionen Wanderarbeitern in China, die zu Opfern einer noch nie dagewesenen Synthese von Kommunismus und Kapitalismus werden.
Weitere Beispiele sind: Mit horrenden Eigensubventionen und mit hohen Importzöllen hebeln die Industrie die Entwicklungsländer auf dem Agrarmarkt aus. Oder zweites Beispiel: Die Politiker schaffen keinen wirklichen sozialversicherungsinternen Familienleistungsausgleich, obwohl das Bundesverfassungsgericht dies längst gefordert hat. Marx kritisiert die Ignoranz der Politiker.
Wird der Kapitalismus letztlich doch an sich selbst zugrunde gehen? Hat der alte Marx letztlich doch - in allem - Recht? Der Erzbischof kontert mit einem entschiedenen "Nein". Für ihn gilt: Mehr Kapitalismus wagen. Reform statt Revolution. Ein gezähmter, sozial verträglicher Kapitalismus muss her. Einzuschlagen ist ein dritter zwischen Liberalismus und Dirigismus, zwischen primitivem Kapitalismus und verklärendem Marxismus - auf der Basis der katholischen Soziallehre.
Deren Prinzipien - Personalität, Subsidiarität und Solidarität - durchziehen wie rote Fäden die acht Kapitel des Buches, in denen Marx für mehr Freiheit und Gerechtigkeit ebenso wirbt wie für das christliche Menschenbild. Die unantastbare Würde des Menschen ist Marx "heilig" und darf weder dem Kollektiv, dem Kapital noch dem Kampf gegen den Terrorismus geopfert werden. Daraus folgt zum Beispiel:
"Das System von Guantanamo Bay ist falsch! Es ist politisch falsch, und es ist moralisch falsch."
"Das Kapital" von Reinhard Marx ist gut lesbar. Mitunter gerät der ehemalige Professor für christliche Gesellschaftslehre in eine Art Plauderton und neigt zu vereinnahmenden Predigtworten, indem er "wir Christinnen und Christen" schreibt sowie "unser verstorbener Papst". Ferner merkt man dem Buch an, dass Gedanken aus Vorträgen, Predigten und Artikeln zusammengetragen und mit aktuellen Daten angereichert wurden.
Marx kontert Marx. Dabei bringt er neben den Sozial-Enzykliken der Päpste auch die Sozialworte der beiden großen Kirchen in Deutschland in Erinnerung. Marx hofft, dass die Lektüre seines Buches den "moralischen Grundwasserspiegel", wie der Erzbischof das nennt, nicht nur bei Managern erhöht. Das wäre ebenso wünschenswert wie eine ausgiebige Debatte seiner Thesen.
Rezensiert von Thomas Kroll
Reinhard Marx: Das Kapital. Ein Plädoyer für den Menschen
Unter Mitarbeit von Dr. Arnd Küppers
Pattloch Verlag, München 2008
320 Seiten, 19,95 Euro