Mary Beard: "SPQR"

Mythen, Macht und Mülleimer

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Das Kolosseum in Rom gilt als der größte geschlossene Bau in der römischen Antike und ist bis heute eines der Wahrzeichen der italienischen Hauptstadt. © picture alliance / ZB
Von Maike Albath |
Auf Schritt und Tritt begegnet man in Rom kleinen und großen Hinweisen auf die Antike. Mary Beard liefert mit dem Buch "SPQR - Die tausendjährige Geschichte Roms" für den Gang durch die Stadt oder die Betrachtung aus der Ferne eine sehr umfangreiche und ausgesprochen kurzweilige Anleitung.
Bis heute findet man diese Inschrift auf römischen Gullideckeln und Abfalleimern: SPQR, Senatus Populus Que Romanus, "Senat und Volk von Rom". Die britische Althistorikerin Mary Beard wählt diese Abkürzung als Titel für ihre umfangreiche Studie und formuliert damit ihr Programm. Denn sie legt nicht nur eine ebenso erhellende wie mitreißende und kurzweilige Analyse der Machtstrukturen des Weltreichs vor, sondern schildert auch die Lage der einfachen Römer.
Man spaziert mit Mary Beard über das Forum und in die Gemächer von Kleopatra hinein, lernt die baulichen Neuerungen kennen, ist bei Ciceros Kampagne gegen Catilina dabei, wird eingeführt in die religiösen Rituale, erfährt Details über die Verheerungen der Punischen Kriege und des Feldzugs nach Korinth und lernt die Spitzfindigkeiten der Wahlverfahren kennen. Den höchsten gesellschaftlichen Stellenwert hatten Tapferkeit und Gewaltbereitschaft. Drei Tage lang dauerte der Triumphzug des Feldherrn Aemilius Paulus 167 v.Chr. nach dem Sieg über König Perseus: 250 Wagenladungen Skulpturen und Gemälde und 3000 Männer mit 750 Gefäßen voller Silbermünzen zogen an den staunenden Römern vorbei.

Von der Gründung bis zur Frühgeschichte

Neben der Elitenkultur schildert Beard aber auch, wie Soldaten in den besetzten Gebieten rekrutiert wurden, wie es in Kneipen zuging und was den Berufsalltag eines Färbers oder Bäckers bestimmte. Während wir die Eheprobleme Ciceros oder die Sorgen um die destabilisierende Wirkung des Glücksspiels nachvollziehen können, wirken andere Sitten verstörend: Verhütungsmethoden, Eunuchenpriester, Kinderbräute oder die Tatsache, dass missgebildete Säuglinge kurzerhand auf dem Müll landeten.
Mary Beard spannt einen präzisen Zeitrahmen und widmet ihre Untersuchung dem ersten Jahrtausend des Weltreichs. Sie beginnt mit der Gründung Roms im 8. Jahrhundert v.Chr., bezieht aber auch die Frühgeschichte mit ein und endet 212 n.Chr., als Kaiser Caracalla mit einem Erlass sämtliche Einwohner des Reiches zwischen Schottland und Syrien zu römischen Bürgern machte. Es sei vermutlich die "umfangreichste Einbürgerungsmaßnahme der Weltgeschichte", meint Beard, denn sie betraf mehr als dreißig Millionen Menschen. Hier erkennt die Historikerin den Scheitelpunkt eines Verfahrens, dass schon unter den Gründern Roms Praxis war: Um die Stadt überhaupt zu bevölkern, hatte man sämtlichen Neuankömmlingen das Bürgerrecht gewährt – Sklaven, Kriminellen und politischen Flüchtlingen.

Mythen und ihre Rolle

Beard verweist immer wieder auf Mythen, die sie als Narrativ zeitgenössischer politischer Umbrüche interpretiert. So deutet sie die Legende von Romulus und dem Brudermord an Remus als eine in die Vergangenheit projizierte Beschreibung von Bürgerkrieg. Spannungsreich skizziert die Historikerin die beispiellose Machtentfaltung: Innerhalb von gerade einmal 53 Jahren erlangte Rom bis zum Anfang des 2. Jahrhunderts v.Chr. die Herrschaft über die größten Teile der damals bekannten Welt. Mary Beard ist eine gewiefte Erzählerin. Man kann eigentlich nur eines tun: mit ihrem Buch in der Hand nach Rom reisen.

Mary Beard: "SPQR - Die tausendjährige Geschichte Roms"
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Bischoff
S. Fischer Verlag, Berlin 2016, 652 Seiten, 28 Euro

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