Mary Miller: "Always Happy Hour"

Gepflegte Langeweile

06:21 Minuten
Malerei zweier identisch aussehender Frauen, die nebeneinander liegen und offenbar schlafen
Mary Millers Erzählungen sind im einzelnen lesenwert. Aber in ihrer Summe erscheinen sie redundant und oberflächlich. © Hanser Literaturverlage/Deutschlandradio
Von Lara Sielmann |
Audio herunterladen
Die Autorin Mary Miller erzählt in ihrem zweiten Kurzgeschichtenband „Always Happy Hour“ von weißen Mittelstandsfrauen Anfang dreißig in den USA. Ihr Leben besteht aus Sex, Bier, flapsigen Kommentaren und jeder Menge Selbstzweifel.
Was tun, wenn man keine existenziellen Probleme hat, zugleich aber auch die nicht sehr glamouröse Aussicht, dass alles immer so weiter geht? Die jungen Frauen in Mary Millers zweitem Erzählband "Always Happy Hour" beantworten diese Frage mit Biertrinken, Rauchen, Kiffen und Pillen schlucken. Dazu kommen Affären, Kontakte mit Menschen, die ihnen gleichgültig sind – und Minderwertigkeitsgefühle.

Etabliert sein genügt nicht

So lebt die namenlose Schriftstellerin in der Erzählung "Eins nach dem Anderen" als Writer-in-Residence eine Zeit lang in einem Herrenhaus der Universität, an der sie auch unterrichtet. Ihre Tage und Nächte verbringt sie damit zu zählen, wie viele Monate sie noch ein festes Gehalt bekommt. Nachts steigt sie betrunken aufs Dach oder schleppt Männer ab.
"Es heißt ja, auf dem Totenbett bereut man nur das, was man nicht getan hat, und es gab mal eine Zeit, da war das genau so – da konnte ich mir vorstellen (…), es gäbe nichts, was ich ungeschehen machen würde."
Für viele wäre das Dasein dieser Protagonistin wohl ein erfolgreiches: eine Autorin Anfang 30, die von ihrem Schreiben leben kann und sich nimmt, was ihr gefällt. Nun ist ökonomischer Erfolg keine Garantie für Zufriedenheit. Aber woraus ihre existenzielle Leere besteht, bleibt unklar.
In den elf Kurzgeschichten, die "Always Happy Hour" vereint, erzählt die Autorin Mary Miller von Frauen aus der Mittelschicht, die um sich selbst kreisen und kaum Interesse haben an Veränderungen. Themen wie Emanzipation oder Feminismus liegen nah, aber darum geht es in diesen Geschichten nicht. Die Probleme der Frauen und auch ihre Ursachen sind allerdings schwer greifbar.

Drei Sorten Blue-Bell-Eiscreme

Über ein paar selbstreflexive Kommentare zu ihrem Leben kommen die Protagonistinnen nicht hinaus: "Ich denke an all das, was es bei mir zu Hause sonst noch gibt – große Flachbildschirme (…) und drei verschiedene Sorten Blue-Bell-Eiscreme – und dass mir das alles nichts bedeutet", heißt es in "Big Bad Love".
Die Erzählerin arbeitet in einem Heim für misshandelte Kinder und langweilt sich in ihrer Ehe. In der Einrichtung hat sie Zugang zu dem stimulierenden Medikament Adderall, das zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird. Sie nimmt es regelmäßig. Warum? Um die Zeit totzuschlagen.
Es sind die Konventionen des vermeintlich richtigen Lebens, an dem sich die Figuren unhinterfragt orientieren: in einer Beziehung sein, einen Seelenverwandten finden oder mit der guten Freundin einen Kurztrip nach Miami machen. Dass der Mann sie nicht mehr liebt oder sie ihn nicht mehr, die Seelenverwandtschaft eine online angebahnte Sex-Sache ist und sie die Freundin eigentlich nicht ausstehen können, nehmen sie dafür in Kauf.

Ein Dank an die Ex-Freunde

Ihre Lebensrealität: weiß und heterosexuell. Afroamerikaner oder Migranten kommen selten in diesen Geschichten vor und wenn, dann in einem manchmal rassistischen Kontext. Da ist zum Beispiel der Nachbar der medikamentenabhängigen Sozialarbeiterin, der Schwarze Menschen mit dem N-Wort bezeichnet, wie die Protagonistin beiläufig anmerkt.
Nicht ganz nachvollziehbar ist hier die Entscheidung der Übersetzung: Das N-Wort ist ausgeschrieben und lediglich in Anführungszeichen gesetzt. Das ist schade, übergeht sie damit doch Forderungen nach rassismusfreier Sprache. Zumindest eine Anmerkung, warum das Wort ausgeschrieben wurde, wäre toll gewesen.
Mary Miller schreibt amüsant und in einem so flapsigen Ton über diese desinteressierten Frauen, dass eine einzelne Erzählung durchaus ein Lesevergnügen sein kann – auch wegen des einen oder anderen zynischen Kommentars. Als Sammlung erscheinen die Texte hingegen zum Teil oberflächlich und redundant.
Weder unterscheiden sich die Erzählstimmen noch die Themen und Horizonte der Protagonistinnen. Am Ende des Buches bedankt sich die Autorin bei all ihren Ex-Freunden, die ihr Stoff für Jahre im Voraus geliefert hätten. Und mehr steckt dann wohl auch nicht dahinter.

Mary Miller: "Always Happy Hour"
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Hanser Berlin, Berlin 2021
192 Seiten, 22 Euro

Mehr zum Thema