Maschinenbau bietet Hochschulen Hilfe an

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) hat den Hochschulen seine Zusammenarbeit angeboten, um die Zahl der Abbrecher von Ingenieurstudiengängen zu reduzieren. Angesichts des Fachkräftemangels forderte VDMA-Präsident Manfred Wittenstein zudem, ausländischen Hochschulabsolventen den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben uns in den letzten Wochen gefragt: Wo ist die Anzeigenserie der Industrie geblieben – mit dem Slogan: "Bei uns sind ältere Arbeitnehmer erwünscht?"

Manfred Wittenstein: Wir stellen fest, dass wir erst einmal einen Arbeitskräftemangel haben. Und wir werden uns auch in den Unternehmen wieder bewusster, dass wir mit jungen und alten Arbeitnehmern zusammenarbeiten müssen. Erst beide zusammen machen eigentlich ein ganz gutes Team. Die berufliche Erfahrung des älteren Mitarbeiters wird positiv ergänzt durch Kraft und die Dynamik eines jungen Mitarbeiters. Wir haben da viele gute Erfahrungen in den Unternehmen. Ich denke, die Zeit, die man in der Vergangenheit durchgemacht hat, dass man gedacht hat, ältere Arbeitnehmer hätten keine Chance mehr, müssten ausgegliedert werden und den Jungen Platz machen, dieses Denken ist Gott sei Dank überwunden – also, im Mittelstand weitestgehend.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, Sie suchen händeringend nach Facharbeitskräften, älteren wie jüngeren. Es wäre doch schön, wenn Sie in die Offensive gingen und tatsächlich in Anzeigenkampagnen sagen würden: Leute, kommt zu uns, wir brauchen euch! Warum tun Sie es nicht?

Wittenstein: Wenn ich auf den Maschinen- und Anlagenbau zurückkommen darf, kann ich in der Summe sagen, wir tun sehr viel. Denn wir haben immerhin innerhalb eines Jahres 44.000 neue Mitarbeiter eingestellt. Dahinter stecken 6000 Unternehmen des Maschinen- und Anlagenbaus. Jedes für sich ist aktiv. Das Ergebnis ist für Deutschland positiv. Allerdings bedeutet es nicht, dass wir damit alle unsere Probleme schon gelöst hätten.

Deutschlandradio Kultur: Sie selbst sind mittelständischer Unternehmer in Baden-Württemberg. Mit 1200 Mitarbeitern fertigen Sie Antriebssysteme. Haben Sie in letzter Zeit Bewerber über 50, über 55 Jahre vielleicht eingestellt?

Wittenstein: Nicht nur in der letzten Zeit haben wir sehr viele ältere Mitarbeiter - deutlich höher als im Bundesdurchschnitt. Wir sind natürlich in einer ländlichen Region. Da sind die Bedingungen etwas anders. Wir machen seit 20 Jahren Personalmarketing. Und haben von dieser Seite weder bei den Jungen, noch bei den Älteren ein Problem. Zumal wir die Älteren und auch die Jüngeren permanent weiterqualifizieren. Und mit den richtigen Aufgaben ist ein älterer Mitarbeiter genauso leistungsfähig wie ein jüngerer Arbeitnehmer – natürlich für andere Funktionen, für andere Aufgaben.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt einen Grundtenor in der Wirtschaft. Man hört es immer wieder, dass man sagt, ‚wir brauchen noch mehr Reformen, wir wollen noch mehr von der Politik haben’. Man kann auch umgekehrt fragen: Wenn diese ganzen Reformen greifen würden, die Sie einklagen, dann könnte es auch zu sozialen Verwerfungen kommen. Wir sehen das bei Umfragen. Macht Ihnen das keine Sorgen?

Wittenstein: Das ist ein Thema, das Sie ansprechen. Ich glaube, das ist ein ganz ernst zu nehmendes Thema. Wir als Maschinen- und Anlagebauer sind natürlich die Innovatoren schlechthin. Das heißt, als Innovator sind Sie permanent dabei Grenzen zu überschreiten. Sie müssen immer Neues ausprobieren. Und, was ganz wichtig ist, Sie müssen natürlich Ihre Mitarbeiter mit auf den Weg nehmen. Und was noch wichtiger ist, Sie müssen die Gesellschaft mit auf den Weg nehmen. Ich würde behaupten, im Mittelstand, den ich kenne, läuft das eigentlich schon recht gut. Die Unternehmen sind in ihrer Region verankert, in ihrer Gemeinde, und kommunizieren wesentlich mehr, als man gemeinhin annimmt. Denn nur durch diese ständige Kommunikation bekommt die Bevölkerung auch ein Gespür dafür, worauf es ankommt, wo es hingehen soll. Und es werden keine Ängste an Stellen aufgebaut, die vollkommen überflüssig sind. Wir haben davon leider in der Vergangenheit zu viel gehabt und sollten uns hier wieder auch als Unternehmen stärker der Gesellschaft öffnen.

Deutschlandradio Kultur: Es wird in letzter Zeit sehr stark über die sozialen Konsequenzen der Reform diskutiert, zuletzt über das Arbeitslosengeld für Ältere. Und da meinen wir eben: Ist es nicht Aufgabe gerade der Verbände, wie Sie einen vertreten, ein Signal zu setzen, ein Signal für ältere Menschen, um zu sagen: Wir geben eine Antwort, vielleicht anders, als es derzeit die Politik diskutiert?

Wittenstein: Da haben Sie vollkommen recht. Ich denke, wir haben eine Chance, uns hier anders aufzustellen. Natürlich kann man solche Ideen, die Sie jetzt ansprechen, nicht sofort flächendeckend einführen bzw. dokumentieren. Wir werden dieses Thema der Corporate Social Responsibility von kleinen und mittelständischen Unternehmen stärker in die Öffentlichkeit bringen. Wir werden dazu mehr Umfragen machen, weil ich der Meinung bin, in der Summe steht der Mittelstand da gar nicht so schlecht da, wie das gemeinhin in der Öffentlichkeit wahrgenommen und auch berichtet wird. Ich denke, wir sind da schon einen Schritt weiter, als die Politik oder die Öffentlichkeit das manchmal meint.

Deutschlandradio Kultur: Vielleicht etwas konkreter: Wenn Sie sagen, auch Ihr Verband muss ich der Gesellschaft stärker öffnen, was meinen Sie damit konkret?

Wittenstein: Die Gesellschaft hat einfach ein Recht darauf zu wissen, was hinter den Fabriktoren abläuft – ganz einfach. Dieses Recht beginnt mit ganz einfachen Dingen: Was wird dort produziert? Warum wird es produziert? Wie wird es produziert? Wird es umweltfreundlich produziert? Was sind die Zielsetzungen? Haben meine Kinder noch weiterhin eine Chance, an diesem Standort eine Arbeit zu finden? Diese Dinge müssen wir in die Gesellschaft hinein transportieren. Und wir müssen sie frühzeitig auch an unseren unternehmerischen Visionen teilhaben lassen. Wir sind ja nicht anders als jeder andere Bürger auch. Wenn wir von plötzlichen dramatischen Veränderungen überrascht werden, dann wehren wir uns dagegen. Wenn wir aber frühzeitig damit in die Öffentlichkeit gehen, darüber reden, uns austauschen, dann kann Diskurs stattfinden auf der regionalen Ebene. Das muss nicht immer auf der höchsten politischen Ebene sein. Dann wird die Bereitschaft der Gesellschaft wesentlich größer, solche ständigen Innovationen und ständigen Grenzüberschreitungen auch mit zu tragen, weil sie das Für und Wider besser abwägen kann, als wenn wir sie nur überraschen und irgendwann kommt ein richtig großer Hammer raus und man stellt fest, diese Technologie kann man in dieser Form gar nicht gesellschaftlich vertreten.

Deutschlandradio Kultur: Nun ist das ja Zweierlei. Ich glaube, dass Ihre Mitarbeiter nicht so technologiefeindlich sein werden, wie es vielleicht die Öffentlichkeit ist, also, all diejenigen, die nicht in der Fabrik arbeiten. Aber die soziale Stimmung können Sie doch an Ihren eigenen Toren auch mitbekommen. Wir gehen Sie damit um? Manchmal hat man das Gefühl, auf der einen Seite steht die Wirtschaft, auf der anderen Seite die Sozialpolitiker im Bundestag.

Wittenstein: Ich glaube, das wäre fatal, wenn man hier eine Front aufbauen würde. Ich denke, beides gehört zusammen. Mit der Wirtschaft haben wir die Möglichkeit, überhaupt die Voraussetzungen zu schaffen, dass wir entsprechend gute, vernünftige Sozialpolitik machen. Natürlich beginnt die Sozialpolitik letztendlich auch schon im Unternehmen. Die Art und Weise, wie ich mit meinen Mitarbeitern umgehe, wie ich mit den Kindern umgehe, wie ich mit Frauen im Beruf umgehe, Teilzeitarbeit und dergleichen, da gibt es viele Möglichkeiten, um auf die sozialen Belange der Mitarbeiter auf eine sehr intelligente – es muss nicht immer eine teure sein – Weise einzugehen. Auf diese Art und Weise beginnt man erst mal selber, viel mehr Verantwortung vor Ort zu übernehmen, was vielleicht auch langfristig dazu beitragen könnte, dass nicht immer nach dem Staat gerufen wird, sondern dass man viele Dinge eben vor Ort regelt und löst und damit Druck wegnimmt, der sich sonst aufbaut und zu stark wird in einer Gesellschaft. Also, wir machen im Unternehmen sehr viel an dieser Stelle. Wir beginnen schon mit Programmen für 12-Jährige in den Schulen oder außerhalb der Schule in der Gemeinde. Wir führen das fort mit Wettbewerben für 14- bis 17-Jährige. Wir vergeben Stipendien. Wir machen Kinderbetreuung für unsere Mitarbeiter in den Sommerferien. Wir haben ein Notfallprogramm für Mütter – und, und, und. Also, alles Dinge, die letztendlich nicht sehr viel Geld kosten, aber dem Einzelnen das Gefühl geben, er ist nicht einfach verloren, er muss nicht immer nach dem Papa Staat schreien.

Deutschlandradio Kultur: Aber ist dieser Lernprozess, den Sie beschreiben, was die Unternehmen angeht, noch die Ausnahme oder ist das ein genereller Trend, wo Sie sagen, ja, in Ihrem Verband sind die Unternehmen dabei, die machen das?

Wittenstein: Es wäre natürlich schön, wenn das schon überall der Fall wäre. Ich glaube aber, in unserem Verband VDMA, ist es ein stärkerer Trend als anderweitig. Das vergisst man oft. Die Unternehmen fühlen sich ihren Mitarbeitern gegenüber sehr verantwortlich und nehmen diese Verantwortung auch in vielen Fällen wahr. Ich meine, wir können natürlich noch mehr machen, wir müssen auch mehr machen. Aber dieses Verantwortungsgefühl von mittelständischen Unternehmen ist da. Sie sind ja darauf angewiesen, mit dem Wissen der Mitarbeiter ständig Innovationen auf die Beine zu stellen. Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass sie sich dieser sozialen Komponente ebenfalls bewusst werden, dass sie sich nicht nur um den Mitarbeiter während seiner Arbeitszeit kümmern, sondern sie kümmern sich auch um ihn in seiner Freizeit und in seinem sozialen Umfeld, dass er sich wohl fühlt. Denn nur wenn jemand frei oder weitestgehend unabhängig ist, kann er auch eine gute Leistung im Unternehmen bringen.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn Sie bereits auf die Idee gekommen sind, in Schulen oder Jugendgruppen hineinzugehen, dann fragt man sich natürlich, warum sich die Branche insgesamt um Nachwuchsmangel sorgt und warum sie es nicht schafft, jetzt – wo die Konjunktur schon seit langem brummt – in erster Linie Facharbeiter und auch Ingenieure in die Betriebe zu kriegen.

Wittenstein: Das stimmt nicht ganz. Da sind wir der falsche Ansprechpartner. Wir haben schon vor zehn Jahren mit einer Kampagne "Think Ing" begonnen, die darauf abzielte, mehr Ingenieure, wieder zu motivieren es zu studieren. Der Verband insgesamt hat eigentlich seit Anfang der 80er Jahre seinen Anteil an Ingenieuren kontinuierlich von Jahr zu Jahr gesteigert. Wir haben heute in unserer Belegschaft 16,5 Prozent Ingenieure beschäftigt. Das zeigt, dass wir uns dieser Aufgabe durchaus schon seit vielen Jahren bewusst sind. Natürlich, der Trend geht weiter. Man kann vorhersehen, dass wir in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich bei 20 Prozent angelangt sind. Das bedeutet, wir brauchen mehr und mehr Ingenieure, um die Aufgaben zu bewältigen. Wenn wir dort keinen Nachschub aus den Hochschulen bekommen, dann haben wir natürlich irgendwann ein Problem.

Deutschlandradio Kultur: Wie sieht da die Vernetzung aus? Sie sprechen von Hochschulen. Es gibt Berufsakademien, Fachhochschulen. Sind Sie da eng verzahnt oder gibt es da Reibungsprobleme, wo Sie sehen, das geht überhaupt nicht so, wie Sie es sich vorstellen, so dass sie am Schluss Mitarbeiter, junge Absolventen bekommen, mit denen Sie zunächst mal gar nicht so viel anfangen können?

Wittenstein: Da gibt es unterschiedliche Vorgehensweisen. Wir kennen die Berufsakademien. Sie sind gerade für den Mittelstand ein hervorragendes Werkzeug, um Mitarbeiter, hoch qualifiziert, an das Unternehmen heranzuführen und sie auch zu motivieren etwas zu tun. Ich glaube, auf der Ebene der Berufsakademien sieht es recht gut aus. Die Berufsakademien sind auch sehr flexibel. Sie gehen auf die Bedürfnisse der Unternehmen ein. Wir haben mit unserer Berufsakademie in Bad Mergentheim zum Beispiel einen neuen Lehrgang "Internationales Vertriebsmanagement" gestartet. Das ging innerhalb von zwei Jahren, das war ein ganz kurzer Prozess. Ich denke, Berufsakademien sind gut aufgestellt. Wenn wir natürlich in die Hochschulen kommen – Fachhochschulen, ganz besonders Universitäten, dann muss man natürlich schon fragen, aber das hat weniger etwas mit der Wirtschaft zu tun, ob wir uns da auch als Industrie nicht noch stärker beteiligen und einbringen sollten. Denn es kann nicht angehen, dass wir 34 Prozent von jedem Jahrgang Studienabbrecher haben. Das ist eine Verschwendung, die wir uns langfristig nicht leisten können. Das wird die Hochschule allein nicht schaffen. Ich glaube, da wäre eine engere Zusammenarbeit mit der Wirtschaft sicherlich nützlich.

Deutschlandradio Kultur: Was würden Sie tun? Die Lehre stärken auf irgendeine Weise?

Wittenstein: Zum Beispiel, dass die Wirtschaft noch stärker auf das Thema Praktikum eingeht, Praktika für Studierende anbietet. Diplomarbeiten müssen stärker zwischen den Universitäten und den Unternehmen ausgetauscht und Ferienarbeiten in den Unternehmen angeboten werden. Vielleicht müsste man sich auch mal zusammensetzen und überlegen, wie man diese 34 Prozent Abbrecherquote letztendlich reduzieren kann. Ich denke, das ist weder für die Hochschule, noch für die Unternehmen gut. Denn das sind ja Menschen, die mit einem bestimmten Anspruch und Vorstellungen in das Studium eingestiegen sind und sich dann nachher enttäuscht einer anderen Richtung zuwenden. Das sollte man meines Erachtens verhindern, dass da zu viel Enttäuschung in die Bevölkerung hineinkommt.

Deutschlandradio Kultur: Auf die aktuelle Lage eingehend: Sie haben einen Fachkräftemangel im Moment, weil die Konjunktur sehr gut läuft. Jetzt gibt es Überlegungen zu sagen: Wenn wir die aus den Universitäten nicht bekommen, versuchen wir diese Mitarbeiter aus Osteuropa zu kriegen – das geht seit dem 1. November einfacher – oder möglicherweise weltweit. Ist das eine Alternative, mit der Sie gut leben können, weil es den Unternehmen hilft?

Wittenstein: Ich würde dies nicht als eine Alternative zu unserem Problem darstellen. Das ist vielleicht eine Möglichkeit, in bestimmten Bereichen kurzfristig einen Weg zu gehen. Zu allererst sollten wir sehen, dass wir unsere eigenen Potenziale besser ausnutzen. Allerdings muss man feststellen, das ist kein kurzfristiger, das ist ein langfristiger Prozess. Um hier kurzfristig etwas zu realisieren, wird man vielleicht darauf zurückgreifen, ausländische Mitarbeiter einzustellen. Aber, ganz unabhängig von dieser Entwicklung, wir sind als Maschinenbauer stark exportorientiert. Wir sind in Deutschland sehr stark exportorientiert. Ich glaube, als exportorientierte Nation müsste es eine Selbstverständlichkeit sein, dass auch ausländische qualifizierte Mitarbeiter hier eine Möglichkeit haben sich einzubringen und einen Beitrag für unseren Wohlstand zu leisten. Allerdings sollten wir sie nicht einladen zu uns zu kommen und sie dann nach zwei Jahren wieder wegschicken. Das kann es nicht sein.

Deutschlandradio Kultur: Wie sieht dann der goldene Weg aus?

Wittenstein: Ein Weg könnte zum Beispiel sein, dass wir den Studierenden aus dem Ausland, die bereits bei uns an den Universitäten studieren, einfach eine Arbeitserlaubnis ohne große Hürden geben. Sie bewerben sich wie unsere eigenen inländischen Studenten um Arbeitsplätze. Das wäre ein sinnvoller Beitrag, zumal diese ausländischen Fachkräfte unsere Produkte für diese fremden Märkte wahrscheinlich besser entwickeln würden, als unsere eigenen Ingenieure, die oft gar nicht wissen: Worum geht es eigentlich in Indien? Was passiert in Südamerika? Wie muss eine Maschine aussehen, wie muss ein Aggregat aussehen, damit es dort auch verstanden und richtig akzeptiert wird? Also, diese ausländischen Fachkräfte würden uns letztendlich eine Bereicherung bereiten.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie uns noch mal nachfragen: Sie haben gesagt, dass Ihre Branche, der Maschinenbau, durchaus etwas für die Ingenieursausbildung tut. Sie haben gesagt, ein Problem sei die universitäre Ausbildung, weil zu viele Studenten abbrechen. Gibt es denn einen Ingenieurmangel? Sehen Sie ein Problem, dass Sie junge Leute mobilisieren müssen für Ihren Beruf, oder ist das gar nicht das Problem?

Wittenstein: Wir müssen schon sehen, dass wir junge Leute für die Ingenieurberufe motivieren müssen. Es war eine Zeit, die wir alle kennen. Anfang der 90er Jahre gab es mal solch eine ungute Zeit, die wollen wir lieber wieder vergessen. Ich glaube, es ist machbar. Es ist ja nicht so, dass die Jugend technikfeindlich ist – beleibe nicht. Wir müssen sie nur sinnvoll an Technik heranführen. Wir müssen ihnen die Chancen, die sie als junge Menschen verwirklichen können, zeigen und ihnen damit Mut machen, vielleicht einen Weg zu gehen, der in der Vergangenheit vielleicht nicht so als der Königsweg gesehen wurde. Aber es ist der Weg, der unsere historischen, unsere aktuellen Ressourcen hier in Deutschland idealerweise nutzen würde. Ich denke, wenn man schaut, dass Deutschland immer noch ein Land der Produktion ist, denn Industrie und industrienahe Dienstleistung machen über 40 Prozent unseres Bruttosozialprodukts aus, dann sieht man auch, dass da durchaus noch ein Potenzial vorhanden ist. Dieses Potenzial wächst ja im Rahmen der Globalisierung.

Also, jeder junge Mensch, der etwas Neues gestalten möchte, der sich einbringen will, die Herausforderungen der Welt sozusagen mit anzugehen, der sollte Ingenieur werden. Die Welt braucht ihn.

Deutschlandradio Kultur: Aber wenn man noch mal zurückblickt, wie Sie Ihren Betrieb beschrieben haben, wie schön das organisiert sein kann, Betreuung innerbetrieblich und außerbetrieblich, wahrscheinlich auch gut bezahlt, dann könnte man doch sagen: Das hat so eine Ausstrahlungskraft, dass die Leute in Ihrer Region tatsächlich wissen, da bekommen wir Arbeit, da gehen wir hin. Oder fehlt es noch an Unterstützung, die Sie brauchen – vereinfachte Ausbildungsgänge, schnellere Vernetzung? Wo mangelt es, wenn Sie so gut aufgestellt sind?

Wittenstein: Ich möchte nur ein Problem ansprechen. Das ist das ganze Thema Erbschaftssteuer. Ich bin in einem Alter, wo man sein Unternehmen eigentlich in die nächste Generation überführen sollte. Und irgendwann mal werde ich sterben. Jetzt muss ich in meinem Alter langsam beginnen Geld anzusparen, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen, die ja nicht gering ist und die möglicherweise noch höher werden sollte. Das bedeutet, dass wir uns als Unternehmen nicht mehr für Forschungen und Entwicklungen einsetzen können, weil wir aufpassen müssen, wenn ich sterben sollte, dass wir das Geld dann nicht haben, um die Erbschaftssteuer zu bezahlen. Also, das ist ein Problem für unsere doch mittelständisch geprägte Industrie, häufig familiengeführte Unternehmen, dass wir nicht durch solche Erbschaftssteuerregelungen letztendlich der jungen Generation einen Stein um den Hals legen, der von denen nicht getragen werden kann.

Deutschlandradio Kultur: Aber diese Botschaft war ja bereits bei der Politik angekommen. Dann haben die Verbände ein Durcheinander produziert, dass man heute überhaupt nicht mehr weiß, ob man überhaupt noch eine Erbschaftssteuerreform braucht. Das lag ja mit an den Lobbyisten, was jetzt diskutiert und so zerstritten dargestellt wird.

Wittenstein: Ich würde sagen, das lag an der Politik. Ich gebe den Ball wieder zurück. Die Politik hat dieses Thema gewendet und gedreht und durch die Mangel genommen, dass man selber nicht mehr wusste, wo man eigentlich dran ist. Das ging mir ja auch so. Anfangs habe ich noch fleißig mitgerechnet, was es für das Unternehmen bedeutet. In der Zwischenzeit habe ich das aufgegeben und gesagt, was soll ich die Arbeit machen, ich weiß nicht mehr, ob Hü oder Hott. Ich warte jetzt letztendlich auf das Ergebnis des Entwurfs.

Natürlich sind in diesem Prozess des Hin und Her, des Gezerres auch von der Wirtschaft unterschiedliche Meinungen hochgekommen Wenn man sich denn schon nicht einigen kann, dann sollte man es ganz lassen. Also, ich glaube, das ist ein natürlicher Prozess. Wichtig ist, dass am Schluss eine Regelung herauskommt, die dem ursprünglichen Modell der Abschmelzung einigermaßen oder wenigstens zum größten Teil gerecht wird. Das würde dem Mittelstand sicherlich helfen, sich dieser Nachfolgeregelung besser zu widmen. Sonst ist das eine Hürde für jeden Nachfolger, mit dieser Belastung in ein Unternehmen einzusteigen.

Deutschlandradio Kultur: Die Zeit drängt.

Wittenstein: Aber die Zeit drängt. Ich denke, in dieser Legislaturperiode muss hier eine Lösung kommen, denn sonst sind viele Unternehmen enttäuscht.

Deutschlandradio Kultur: Waren Sie denn mit dem ursprünglichen Modell, dass man einem Nachfolger zehn Jahre Zeit gibt, das Unternehmen zu erhalten und dabei die Steuerschuld auf null zu reduzieren, einverstanden? Damit hatten ja so manche Mittelständler auch so ihre Probleme.

Wittenstein: Dieses Modell des Abschmelzens der Erbschaftssteuer halte ich – wenn denn überhaupt eine Erbschaftssteuer notwendig sein sollte, denn es ist ja eine Steuer auf ein bereits versteuertes Einkommen, das darf man auch nicht vergessen – für einen vertretbaren Weg. Den hätten wir unterstützt.

Deutschlandradio Kultur: Letztendlich noch mal die Frage zum Wirtschaftsstandort Deutschland, über den über Jahre gejammert wurde. Dann hat sich das plötzlich gedreht. Ihnen oder Ihrer Branche geht es so gut wie schon lange nicht mehr. Welche Standortvorteile sehen Sie in Deutschland?

Wittenstein: Standortnachteile haben wir auch. Die wollen wir jetzt aber nicht weiter diskutieren. Der Standortvorteil, den wir haben, ist einfach eine Dichte der Kompetenzfelder, die Sie in dieser Form nirgendwo in der Welt mehr haben. Sie finden innerhalb von einem Radius, ich sage mal, von 300 Kilometer – um Frankfurt herum, Berlin wird vielleicht ein bisschen ein Problem sein, aber selbst Berlin ist da nicht schlecht – in Deutschland, in Mitteleuropa eigentlich sämtliche Technologien, die Sie brauchen, von kleinsten Technologiefelder bis zu großen Technologiefeldern, um eigene Kernkompetenzen weiterzuentwickeln. Diese Vielfalt, die wir hier in den Unternehmen haben, die Vielfalt, die wir natürlich auch an den Hochschulen haben, und die räumliche Dichte – über die Verkehrwege könnte man jetzt natürlich wieder klagen – sind Assets. Wir sind hoch vernetzt in diesem Europa, und dann natürlich die Einstellung der Menschen in Deutschland, die uns dazu befähigt, Produkte qualitativ hochwertig auf den Weltmarkt zu bringen, das sind schon Assets. Dazu kommt die Zuverlässigkeit. Wenn Sie mit jemandem etwas vereinbaren, dann heißt das immer noch, ein Mann, ein Wort. Dann kann man sich darauf im weitesten Sinne verlassen. Ich meine, es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber im Wesentlichen können Sie sich darauf verlassen. Diese Zuverlässigkeit, diese Dichte, diese Komplexität, die wir hier anzubieten haben, gibt uns eine Chance, uns letztendlich schneller zu bewegen, unsere Innovationen schneller in den Markt zu bekommen.

Natürlich, wenn wir klagen, dann klagen wir auf diesem Niveau, dass wir sagen, was können wir noch tun, um die Dynamik zu verbessern. Denn es gibt andere Länder, die auch nicht schlafen. Es ist wie beim Fußballspiel. Sie müssen immer kämpfen. Wenn Sie nicht ständig am Ball bleiben, verlieren Sie Ihre Führung relativ schnell.

Deutschlandradio Kultur: Wie kommt es dann, dass Forscher klagen, dass die Wirtschaft sie nicht richtig wahrnehme? Es würden in diesem Lande eine Menge Sachen entdeckt, es gebe Patente und am Ende würde man sehen, dass die im Ausland entwickelt und dann auch produziert würden. Ist dieser Vorwurf richtig und müsste man etwas anders machen?

Wittenstein: Ich würde sagen, das ist ein Vorwurf, der für eine bestimmte Technologie absolut richtig ist. Das wird auch in Zukunft so sein.

Deutschlandradio Kultur: Welche Technologie?

Wittenstein: Das ist das Thema MP3-Player, MP3-Technologie. Selbstverständlich, die haben wir nicht oder wir haben auch andere Beispiele. Ich denke, in einer Grundlagenforschung wird es immer wieder passieren, dass Sie plötzlich Ideen und Technologien entdecken und einsetzen, die nicht zu den Stärken Deutschlands gehören. Wenn wir die dann verkaufen müssen, okay, dann müssen wir sie verkaufen, wenn wir hier keinen Markt haben. Das kann ich verstehen. Aber ich würde sagen: Im Großen und Ganzen ist das Zusammenspiel zwischen den Forschungseinrichtungen, Hochschulen und der Wirtschaft in Deutschland letztendlich nicht schlecht. Das heißt, die meisten Dinge werden schon hier vor Ort genutzt. Dass es dann immer solche Ausnahmen gibt, das ist klar. In dem Moment, wo ich über den Standort Deutschland klagen möchte, ist das natürlich ein willkommenes Beispiel. Das sollte uns auch immer wieder bewusst machen, dass wir auch in der Grundlagenforschung und in der angewandten Forschung immer wieder die Frage stellen müssen: Passt es zu dem Profil Deutschlands? Stärkt es das Profil Deutschlands? Oder stärken wir vielleicht mit entsprechenden Vorhaben nur andere Länder?

Deutschlandradio Kultur: Es gibt den schönen Satz von Ihnen: "Wir provozieren Nachfrage." Wo sehen Sie die Märkte der Zukunft, wenn Sie Nachfrage provozieren wollen?

Wittenstein: Wir provozieren Nachfrage in der Form, dass wir für Aufgaben, die sich uns in der Gesellschaft stellen, plötzlich Produkte anbieten. Wenn wir heute die ganze Klimadiskussion vor uns haben, dann ist eine potenzielle Nachfrage in diesem Thema vorhanden. Wenn wir die Produkte in diesem Feld anbieten, haben wir die Nachfrage in gewissem Sinne provoziert. Es ist natürlich ein Wechselspiel.

Einmal ist es die Gesellschaft, die latent ein Bedürfnis hat, andererseits können Sie natürlich auch als Unternehmen durch neue Technologien, durch neue Produkte einen Markt mit gestalten, der in der Form vielleicht vorher nicht da gewesen ist. Bei uns ist das der Bereich der Medizintechnik, der eigentlich für einen Antriebsspezialisten nicht so typisch ist. Aber wir haben uns diesen Markt gesucht, weil wir gesagt haben, Medizintechnik ist ein spannender Markt. Also schauen wir, dass wir dort Produkte entwickeln, die in diesem Markt nachgefragt werden können.

Deutschlandradio Kultur: Wir danken für das Gespräch.

Wittenstein: Dankeschön.