Massenmörder bei der Polizei
Nicht nur das Auswärtige Amt war in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt. Das Finanzministerium spielte die führende Rolle bei der Ausplünderung der deutschen und europäischen Juden. Auch zahlreiche der SS angehörende höhere Polizei-Führer wurden nach dem Krieg in der Bundesrepublik weiterbeschäftigt.
Susanne Führer: Das Handeln des Auswärtigen Amtes während des Nationalsozialismus dürfte jetzt als erforscht gelten: 880 Seiten umfasst der Bericht "Das Amt", der in der vergangenen Woche von einer Historikerkommission vorgelegt und einhellig begrüßt wurde. Er widerlegt nämlich den Mythos, das Auswärtige Amt sei ein Hort des Widerstands gewesen. Welche anderen Einrichtungen des Bundes gibt es, deren Geschichte eine nähere Untersuchung lohnen würde? Darüber spreche ich nun mit Ulrich Herbert, er ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. Guten Morgen, Herr Herbert!
Ulrich Herbert: Guten Morgen!
Führer: Sie sind Mitglied einer Historikerkommission, Herr Herbert, die die Geschichte des Reichsfinanzministeriums untersuchen soll. Wie und warum ist diese Kommission gegründet worden?
Herbert: Sie ist auf Anregung des seinerzeitigen Finanzministers Steinbrück auf den Weg gebracht worden und es hat eine Rolle gespielt, dass die Diskussion seinerzeit ums Auswärtige Amt auch in andere Ministerien hineingetragen worden ist. Es hat Diskussionen gegeben und es hat wohl auch intern einige Überlegungen gegeben, ob man das nicht intern machen sollte, und dann eben diese Entscheidung, damit eine Kommission zu beauftragen und die Rolle und das Funktionieren sozusagen der nationalsozialistischen Finanzpolitik und des Finanzministeriums in der Zeit von 1933 bis 1945 zu untersuchen.
Führer: Was erwarten Sie denn, was an Erkenntnissen zu gewinnen wäre?
Herbert: Nun im Unterschied zum Auswärtigen Amt ist über die Finanzpolitik und das Finanzministerium wesentlich weniger bekannt, obwohl seine Rolle vermutlich in vielen Punkten deutlich einflussreicher war. Das Auswärtige Amt, da hat es ja schon seit vielen Jahren eine große Zahl von Studien gegeben, und die auch wichtige Ergebnisse vorgelegt haben. Und mit der großen jetzt vorgelegten Studie ist das in - man muss schon sagen - bewundernswerter Weise zusammengefasst und um weitere Ergebnisse erweitert worden.
Das ist bei uns anders. Es gibt solche Arbeiten, solche Vorarbeiten nicht, jedenfalls nicht in der Dichte. Es gibt einige Hinweise und es gibt verschiedene Bereiche, die besonders untersucht werden sollen. Das bezieht sich zum einen auf die Ausplünderung gegenüber den deutschen und europäischen Juden, die sogenannte Arisierung vor allen Dingen bis 1940 oder '41. Hier war ja das Finanzministerium und die ihm untergebenen Finanzämter das ausführende Organ und hier hat das Finanzministerium eine unmittelbare Rolle bei der Ausbeutung der Juden gespielt.
Es dreht sich zweitens um die gesamte Frage der Kriegsfinanzierung, damit auch der Steuerpolitik. Und insbesondere geht es um die Ausbeutung der besetzten Länder während des Krieges. Gerade Letzteres ist bis auf einige Hinweise in jüngerer Zeit ganz wenig erforscht.
Führer: Was ja in der vergangenen Woche bei den Berichten über das Auswärtige Amt viele schockiert hat, waren ja auch diese personellen Kontinuitäten, um es mal vornehm auszudrücken, also Menschen, die sich sehr verdient gemacht hatten um den Nationalsozialismus, wurden hinterher nahtlos weiter im Auswärtigen Amt beschäftigt. Haben Sie jetzt schon Erkenntnisse über solche personellen Kontinuitäten auch im Finanzministerium, dass also Nazis da weiter beschäftigt worden sind?
Herbert: Nein, überhaupt nicht. Wir sind ja auch gerade erst in der Anfangsphase, haben erst mit einem Thema, nämlich der Arisierung begonnen. Ob die personelle Frage nach '45 Thema unserer Kommission ist, wird auch noch zu klären sein. Das war bis jetzt noch sozusagen eher am Rande unseres Gegenstandes. Das hängt auch mit der Beauftragung durch das Ministerium zusammen. Das wird sich sicherlich in den nächsten Wochen klären.
Insgesamt ist aber ja gut bekannt, dass die Kontinuität im Bereich der Ministerien nach 1949, muss man ja sagen, weitgehend reibungslos verlaufen ist. Es gibt sicherlich Ministerien, in denen das ganz besonders stark war – ich denke jetzt an das Arbeitsministerium, an das Wirtschaftsministerium, hier sind besonders hohe Prozentzahlen von bruchloser Übernahme insbesondere des Spitzenpersonals zu verzeichnen gewesen. Das gilt auch für das Auswärtige Amt, wie wir wissen. Ob das für das Finanzministerium gilt, wissen wir nicht.
Führer: Und auf jeden Fall gilt es ja für eine Organisation, nämlich den BND, den Bundesnachrichtendienst, der ja aus der Organisation Gehlen hervorgegangen ist, also da steckt der Name ja schon drin, Reinhard Gehlen, der bis '45, 1945 Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost war, also einer der führenden Geheimdienstmänner der Nazis. Das ist alles bekannt, aber würde sich vielleicht trotzdem eine systematische Untersuchung so einer Institution wie des BND lohnen Ihrer Ansicht nach, Herr Herbert?
Herbert: Also über den BND wissen wir nicht viel, das ist … Ich glaube nicht, dass Sie recht haben, wenn Sie sagen, das ist bekannt …
Führer: … na gut, es ist die Organisation Gehlen und der BND und Reinhard Gehlen, das meinte ich, das ist bekannt …
Herbert: … das gibt es ja. Aber über den BND und seine Bedeutung gibt es nur ganz wenig Substanzielles. Ein Journalist der "FAZ", Herr Carstens, hat da in letzter Zeit ganz bemerkenswerte Ergebnisse oder Teilergebnisse publiziert, die uns alle erstaunt haben. Selbst Leute, die mit dem Thema oder dieser Thematik seit längerem beschäftigt sind.
Der BND kann in manchen Punkten als eine Art von Auffangorganisation des Reichssicherheitshauptamts gelten. Über 200 vor allen Dingen führende Leute sind in den BND übergeleitet worden. Das ist in dieser Form nicht bekannt gewesen und in Karlsruhe hat es eine gewissermaßen Nebenstelle des BND gegeben, in der eine große Zahl sogenannter Ostexperten saß, von denen wiederum ein erheblicher Teil nun mit der unmittelbaren Tatausführung des Judenmords beauftragt gewesen war. Also Einsatzgruppen-Männer, Massenmörder. Das hat nun doch alles übertroffen, was wir bisher wussten.
Es gibt ja offenbar Tendenzen, eine größere Untersuchung des BND vorzunehmen. Andererseits höre ich, dass der BND eventuell auch aufgelöst werden soll. Das muss man abwarten. Hier ist eine sozusagen dringende Recherche – unabhängig von der Weiterexistenz des BND – dringend notwendig und geht weit über das hinaus, was etwa an Aussagen über das Auswärtige Amt oder auch über das Reichsfinanzministerium zu machen ist. Denn hier geht es um die Kontinuität - sagen wir mal - von regelrechten Massenmördern, von denen manche Hunderte oder Tausende von Menschen eigenhändig erschossen haben. Das ist natürlich dann doch noch mal eine andere Dimension.
Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Ulrich Herbert. Sie haben gerade gesagt, Herr Herbert, es geht um diese Kontinuität. Ich denke auch, das ist noch mal ein anderer Punkt, wenn man sagt, was ist passiert bis '45 und danach, welche Menschen wurden weiter beschäftigt, die – bleiben wir mal beim BND – möglicherweise den BND ja dann auch wiederum sehr geprägt haben, vielleicht bis heute?
Herbert: Ja, das ist eine große Frage. Wir wissen das ja auch in anderen Bereichen, wo wir sehen, dass also hochrangige Nazis in großer Zahl in der bundesrepublikanischen Verwaltung - im Polizeiwesen vor allen Dingen, dort ganz besonders stark - tätig gewesen sind. Und es gibt ein wunderbares Zitat des englischen Botschafters Ende der 50er-Jahre, der wurde von seiner Regierung gefragt, ob es richtig sei, dass so viele Nazis in führenden Positionen seien. Und er antwortete, ja das sei in der Tat so, und noch viel mehr, als er gedacht habe. Aber erstaunlicherweise störe das sozusagen den Aufbau der demokratischen Institution der Bundesrepublik nicht wesentlich.
Das zeigt so ein bisschen die Problematik: Es ist nicht notwendigerweise so, dass ein hoher Anteil an Nazis dazu führt, dass sozusagen diese Institution dann rechts oder in der Nähe des Neonazismus ist. Eher im Gegenteil. Entscheidend ist hier die moralische Frage, wie es sein kann, dass Mörder und Massenmörder nicht im Kriegszusammenhang, sondern weit, weit weg von jeglichem Kriegsgeschehen, dass die dann solche Positionen einnehmen und was das gewissermaßen für die moralische Konstitution dieser Republik bedeutet. Das ist in der Tat eine außerordentlich problematische Situation.
Führer: Und was ist mit dem Polizeiwesen, was Sie gerade erwähnt haben, ist es da erforscht worden?
Herbert: Zum Teil ja, es gibt eine Arbeitsgruppe unter der Leitung meines Kollegen Wagner in Halle über das Bundeskriminalamt. Und dort wird bereits intensiv gearbeitet. Es ist so, dass ja in der Nachkriegszeit der Eindruck erweckt worden ist, als sei die Polizei die Polizei und habe mit dem Nationalsozialismus jetzt nicht sehr viel mehr zu tun als andere Institutionen.
Aber Heinrich Himmler hieß eben Chef der SS und der Deutschen Polizei. Also Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, das war sein offizieller Titel. Das heißt, die Integration bei der Institution der SS und der Polizei war ja unter dem Nationalsozialismus sehr weit vorangeschritten, sodass also die höheren Polizeiführer alle höhere SS-Führer auch waren und dann nach '45 weiter beschäftigt worden sind. Das ist ein großes Problem. Darüber wissen wir schon vieles. Aber ich glaube, dass diese Arbeitsgruppe dort noch neue Ergebnisse zu Tage fördern wird.
Führer: Wenn ich Sie recht verstehe, dann gibt es einiges, was schon bekannt ist. Zum Beispiel das Auswärtige Amt, da war jetzt gar nicht so viel Neues in diesem Bericht drin, aber …
Herbert: … doch, auch viel Neues. Nur es gab eben schon sehr viel und diese Kommission hat sozusagen neue Felder auch erforscht. Und das zu einem wie ich finde auch sprachlich hervorragenden Gesamttext zusammengefügt.
Führer: Und es gibt auch eine ganze Reihe von Institutionen, wo sehr wenig bekannt ist, wo selbst Historiker noch im Dunkeln tappen. Herr Herbert, wenn man das mal so insgesamt nimmt, die ganzen Bundesinstitutionen, meinen Sie, es ist notwendig, wichtig und richtig, dass sich jetzt jede doch noch mal über ihre Geschichte und ihre Verstrickung im Nationalsozialismus beugt?
Herbert: Ja, es ist deswegen schon notwendig, damit … Nicht unbedingt für die Öffentlichkeit, ich meine, es ist ja nun auch nicht so überraschend, dass in führenden Nazi-Institutionen viele Nazis gesessen haben. Die "taz" hat aufgemacht mit der Zeile: "Schrecklicher Verdacht: Auch im Reichskanzleramt waren Nationalsozialisten!" Das zeigt so ein bisschen die Problematik dabei.
Aber es geht auch um die Institutionen selbst, denn wenn solche großen Behörden von sich das Gefühl haben, dass sie über eine glorreiche Vergangenheit verfügen und auch über bestimmte Personen, die als besonders integer gegolten haben. Das ist zum Beispiel bei den Universitäten ein großes Thema: Wenn plötzlich herauskommt, dass ein hochgradig berühmter und angesehener Professor – wie das jetzt in Freiburg gerade der Fall war – während der Nazizeit an Massenerschießungen auf der Krim * teilgenommen hat. Dann ist das natürlich für seine Schüler und für seine, für die ganze Universität ein Schock, und man fragt sich, was bedeutet das für uns, was hat der wirklich gemacht, hat der Verwandlungen vorgenommen? Das sind im Grunde Befragungen, die stellvertretend für die ganze Gesellschaft gelten, denn fast jeder Deutsche hat in seiner Familie einen Großvater oder einen Urgroßvater, der in ähnlichen Zusammenhängen gesteckt hat. Und natürlich will jede Familie und so auch jede Institution darüber Rechenschaft finden. Und das ist sinnvoll und notwendig.
Führer: Ulrich Herbert, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. Danke für das Gespräch, Herr Herbert!
Herbert: Ich bedanke mich auch.
* An dieser Stelle weicht die Schriftfassung von der gesendeten Fassung bzw. vom Audio-File ab. Der Grund ist eine sachliche Richtigstellung des Interviewgebers.
Ulrich Herbert: Guten Morgen!
Führer: Sie sind Mitglied einer Historikerkommission, Herr Herbert, die die Geschichte des Reichsfinanzministeriums untersuchen soll. Wie und warum ist diese Kommission gegründet worden?
Herbert: Sie ist auf Anregung des seinerzeitigen Finanzministers Steinbrück auf den Weg gebracht worden und es hat eine Rolle gespielt, dass die Diskussion seinerzeit ums Auswärtige Amt auch in andere Ministerien hineingetragen worden ist. Es hat Diskussionen gegeben und es hat wohl auch intern einige Überlegungen gegeben, ob man das nicht intern machen sollte, und dann eben diese Entscheidung, damit eine Kommission zu beauftragen und die Rolle und das Funktionieren sozusagen der nationalsozialistischen Finanzpolitik und des Finanzministeriums in der Zeit von 1933 bis 1945 zu untersuchen.
Führer: Was erwarten Sie denn, was an Erkenntnissen zu gewinnen wäre?
Herbert: Nun im Unterschied zum Auswärtigen Amt ist über die Finanzpolitik und das Finanzministerium wesentlich weniger bekannt, obwohl seine Rolle vermutlich in vielen Punkten deutlich einflussreicher war. Das Auswärtige Amt, da hat es ja schon seit vielen Jahren eine große Zahl von Studien gegeben, und die auch wichtige Ergebnisse vorgelegt haben. Und mit der großen jetzt vorgelegten Studie ist das in - man muss schon sagen - bewundernswerter Weise zusammengefasst und um weitere Ergebnisse erweitert worden.
Das ist bei uns anders. Es gibt solche Arbeiten, solche Vorarbeiten nicht, jedenfalls nicht in der Dichte. Es gibt einige Hinweise und es gibt verschiedene Bereiche, die besonders untersucht werden sollen. Das bezieht sich zum einen auf die Ausplünderung gegenüber den deutschen und europäischen Juden, die sogenannte Arisierung vor allen Dingen bis 1940 oder '41. Hier war ja das Finanzministerium und die ihm untergebenen Finanzämter das ausführende Organ und hier hat das Finanzministerium eine unmittelbare Rolle bei der Ausbeutung der Juden gespielt.
Es dreht sich zweitens um die gesamte Frage der Kriegsfinanzierung, damit auch der Steuerpolitik. Und insbesondere geht es um die Ausbeutung der besetzten Länder während des Krieges. Gerade Letzteres ist bis auf einige Hinweise in jüngerer Zeit ganz wenig erforscht.
Führer: Was ja in der vergangenen Woche bei den Berichten über das Auswärtige Amt viele schockiert hat, waren ja auch diese personellen Kontinuitäten, um es mal vornehm auszudrücken, also Menschen, die sich sehr verdient gemacht hatten um den Nationalsozialismus, wurden hinterher nahtlos weiter im Auswärtigen Amt beschäftigt. Haben Sie jetzt schon Erkenntnisse über solche personellen Kontinuitäten auch im Finanzministerium, dass also Nazis da weiter beschäftigt worden sind?
Herbert: Nein, überhaupt nicht. Wir sind ja auch gerade erst in der Anfangsphase, haben erst mit einem Thema, nämlich der Arisierung begonnen. Ob die personelle Frage nach '45 Thema unserer Kommission ist, wird auch noch zu klären sein. Das war bis jetzt noch sozusagen eher am Rande unseres Gegenstandes. Das hängt auch mit der Beauftragung durch das Ministerium zusammen. Das wird sich sicherlich in den nächsten Wochen klären.
Insgesamt ist aber ja gut bekannt, dass die Kontinuität im Bereich der Ministerien nach 1949, muss man ja sagen, weitgehend reibungslos verlaufen ist. Es gibt sicherlich Ministerien, in denen das ganz besonders stark war – ich denke jetzt an das Arbeitsministerium, an das Wirtschaftsministerium, hier sind besonders hohe Prozentzahlen von bruchloser Übernahme insbesondere des Spitzenpersonals zu verzeichnen gewesen. Das gilt auch für das Auswärtige Amt, wie wir wissen. Ob das für das Finanzministerium gilt, wissen wir nicht.
Führer: Und auf jeden Fall gilt es ja für eine Organisation, nämlich den BND, den Bundesnachrichtendienst, der ja aus der Organisation Gehlen hervorgegangen ist, also da steckt der Name ja schon drin, Reinhard Gehlen, der bis '45, 1945 Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost war, also einer der führenden Geheimdienstmänner der Nazis. Das ist alles bekannt, aber würde sich vielleicht trotzdem eine systematische Untersuchung so einer Institution wie des BND lohnen Ihrer Ansicht nach, Herr Herbert?
Herbert: Also über den BND wissen wir nicht viel, das ist … Ich glaube nicht, dass Sie recht haben, wenn Sie sagen, das ist bekannt …
Führer: … na gut, es ist die Organisation Gehlen und der BND und Reinhard Gehlen, das meinte ich, das ist bekannt …
Herbert: … das gibt es ja. Aber über den BND und seine Bedeutung gibt es nur ganz wenig Substanzielles. Ein Journalist der "FAZ", Herr Carstens, hat da in letzter Zeit ganz bemerkenswerte Ergebnisse oder Teilergebnisse publiziert, die uns alle erstaunt haben. Selbst Leute, die mit dem Thema oder dieser Thematik seit längerem beschäftigt sind.
Der BND kann in manchen Punkten als eine Art von Auffangorganisation des Reichssicherheitshauptamts gelten. Über 200 vor allen Dingen führende Leute sind in den BND übergeleitet worden. Das ist in dieser Form nicht bekannt gewesen und in Karlsruhe hat es eine gewissermaßen Nebenstelle des BND gegeben, in der eine große Zahl sogenannter Ostexperten saß, von denen wiederum ein erheblicher Teil nun mit der unmittelbaren Tatausführung des Judenmords beauftragt gewesen war. Also Einsatzgruppen-Männer, Massenmörder. Das hat nun doch alles übertroffen, was wir bisher wussten.
Es gibt ja offenbar Tendenzen, eine größere Untersuchung des BND vorzunehmen. Andererseits höre ich, dass der BND eventuell auch aufgelöst werden soll. Das muss man abwarten. Hier ist eine sozusagen dringende Recherche – unabhängig von der Weiterexistenz des BND – dringend notwendig und geht weit über das hinaus, was etwa an Aussagen über das Auswärtige Amt oder auch über das Reichsfinanzministerium zu machen ist. Denn hier geht es um die Kontinuität - sagen wir mal - von regelrechten Massenmördern, von denen manche Hunderte oder Tausende von Menschen eigenhändig erschossen haben. Das ist natürlich dann doch noch mal eine andere Dimension.
Führer: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Historiker Ulrich Herbert. Sie haben gerade gesagt, Herr Herbert, es geht um diese Kontinuität. Ich denke auch, das ist noch mal ein anderer Punkt, wenn man sagt, was ist passiert bis '45 und danach, welche Menschen wurden weiter beschäftigt, die – bleiben wir mal beim BND – möglicherweise den BND ja dann auch wiederum sehr geprägt haben, vielleicht bis heute?
Herbert: Ja, das ist eine große Frage. Wir wissen das ja auch in anderen Bereichen, wo wir sehen, dass also hochrangige Nazis in großer Zahl in der bundesrepublikanischen Verwaltung - im Polizeiwesen vor allen Dingen, dort ganz besonders stark - tätig gewesen sind. Und es gibt ein wunderbares Zitat des englischen Botschafters Ende der 50er-Jahre, der wurde von seiner Regierung gefragt, ob es richtig sei, dass so viele Nazis in führenden Positionen seien. Und er antwortete, ja das sei in der Tat so, und noch viel mehr, als er gedacht habe. Aber erstaunlicherweise störe das sozusagen den Aufbau der demokratischen Institution der Bundesrepublik nicht wesentlich.
Das zeigt so ein bisschen die Problematik: Es ist nicht notwendigerweise so, dass ein hoher Anteil an Nazis dazu führt, dass sozusagen diese Institution dann rechts oder in der Nähe des Neonazismus ist. Eher im Gegenteil. Entscheidend ist hier die moralische Frage, wie es sein kann, dass Mörder und Massenmörder nicht im Kriegszusammenhang, sondern weit, weit weg von jeglichem Kriegsgeschehen, dass die dann solche Positionen einnehmen und was das gewissermaßen für die moralische Konstitution dieser Republik bedeutet. Das ist in der Tat eine außerordentlich problematische Situation.
Führer: Und was ist mit dem Polizeiwesen, was Sie gerade erwähnt haben, ist es da erforscht worden?
Herbert: Zum Teil ja, es gibt eine Arbeitsgruppe unter der Leitung meines Kollegen Wagner in Halle über das Bundeskriminalamt. Und dort wird bereits intensiv gearbeitet. Es ist so, dass ja in der Nachkriegszeit der Eindruck erweckt worden ist, als sei die Polizei die Polizei und habe mit dem Nationalsozialismus jetzt nicht sehr viel mehr zu tun als andere Institutionen.
Aber Heinrich Himmler hieß eben Chef der SS und der Deutschen Polizei. Also Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, das war sein offizieller Titel. Das heißt, die Integration bei der Institution der SS und der Polizei war ja unter dem Nationalsozialismus sehr weit vorangeschritten, sodass also die höheren Polizeiführer alle höhere SS-Führer auch waren und dann nach '45 weiter beschäftigt worden sind. Das ist ein großes Problem. Darüber wissen wir schon vieles. Aber ich glaube, dass diese Arbeitsgruppe dort noch neue Ergebnisse zu Tage fördern wird.
Führer: Wenn ich Sie recht verstehe, dann gibt es einiges, was schon bekannt ist. Zum Beispiel das Auswärtige Amt, da war jetzt gar nicht so viel Neues in diesem Bericht drin, aber …
Herbert: … doch, auch viel Neues. Nur es gab eben schon sehr viel und diese Kommission hat sozusagen neue Felder auch erforscht. Und das zu einem wie ich finde auch sprachlich hervorragenden Gesamttext zusammengefügt.
Führer: Und es gibt auch eine ganze Reihe von Institutionen, wo sehr wenig bekannt ist, wo selbst Historiker noch im Dunkeln tappen. Herr Herbert, wenn man das mal so insgesamt nimmt, die ganzen Bundesinstitutionen, meinen Sie, es ist notwendig, wichtig und richtig, dass sich jetzt jede doch noch mal über ihre Geschichte und ihre Verstrickung im Nationalsozialismus beugt?
Herbert: Ja, es ist deswegen schon notwendig, damit … Nicht unbedingt für die Öffentlichkeit, ich meine, es ist ja nun auch nicht so überraschend, dass in führenden Nazi-Institutionen viele Nazis gesessen haben. Die "taz" hat aufgemacht mit der Zeile: "Schrecklicher Verdacht: Auch im Reichskanzleramt waren Nationalsozialisten!" Das zeigt so ein bisschen die Problematik dabei.
Aber es geht auch um die Institutionen selbst, denn wenn solche großen Behörden von sich das Gefühl haben, dass sie über eine glorreiche Vergangenheit verfügen und auch über bestimmte Personen, die als besonders integer gegolten haben. Das ist zum Beispiel bei den Universitäten ein großes Thema: Wenn plötzlich herauskommt, dass ein hochgradig berühmter und angesehener Professor – wie das jetzt in Freiburg gerade der Fall war – während der Nazizeit an Massenerschießungen auf der Krim * teilgenommen hat. Dann ist das natürlich für seine Schüler und für seine, für die ganze Universität ein Schock, und man fragt sich, was bedeutet das für uns, was hat der wirklich gemacht, hat der Verwandlungen vorgenommen? Das sind im Grunde Befragungen, die stellvertretend für die ganze Gesellschaft gelten, denn fast jeder Deutsche hat in seiner Familie einen Großvater oder einen Urgroßvater, der in ähnlichen Zusammenhängen gesteckt hat. Und natürlich will jede Familie und so auch jede Institution darüber Rechenschaft finden. Und das ist sinnvoll und notwendig.
Führer: Ulrich Herbert, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg. Danke für das Gespräch, Herr Herbert!
Herbert: Ich bedanke mich auch.
* An dieser Stelle weicht die Schriftfassung von der gesendeten Fassung bzw. vom Audio-File ab. Der Grund ist eine sachliche Richtigstellung des Interviewgebers.