Russische Zeichentrickserie „Massjanja“

Wenn China Russland bombardiert

05:51 Minuten
Der Screenshot aus dem Youtube-Video aus der Zeichentrickserie "Massjanja" zeigt die Isaakskathedrale in St. Petersburg, in die gerade eine Rakete eingeschlagen ist.
Die zuletzt erschienene Folge der russischen Zeichentrickserie "Massjanja" spielt in St. Petersburg und heißt in Anspielung auf die Zerstörung Mariupols "Sankt-Mariuburg". © Screenshot: Youtube / Masyanya Kuvaeva
Von Gesine Dornblüth · 19.07.2022
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Die Zeichentrickserie „Massjanja“ hat unter russischsprachigen Menschen Kultstatus. In der aktuellen Folge ist der Angriffskrieg gegen die Ukraine Thema – aber mit völlig anderer Perspektive: Russland wird von China attackiert. Die Resonanz ist groß.
Die russische Zeichentrickserie „Massjanja“ ist für viele Russischsprachige Kult. Es gibt sie bereits seit 21 Jahren im Internet, sie finanziert sich über Crowdfunding und spielt in St. Petersburg. Die Heldin, eine Frau mit dem Fantasienamen Massjanja, ist frech, vorlaut, ein bisschen überdreht und durchlebt Höhen und Tiefen des russischen Alltags.
Jetzt hat ihr Erfinder und Zeichner, Oleg Kuvaev, eine Folge über den groß angelegten Angriffskrieg gemacht, den Russland gegen die Ukraine führt – und dafür die Perspektive gewechselt: Nicht Russland bombardiert die Ukraine, sondern Russland wird bombardiert, von China. „Sankt Mariuburg“ heißt die zehnminütige Folge – in Anspielung auf die Zerstörung der ukrainischen Stadt Mariupol.
Sie beginnt damit, dass Chrjundel früh morgens seine Frau Massjanja wachrüttelt mit den Worten: „In der Nacht gab es Explosionen! In Moskau! Bei uns! In Nowgorod, in Twer! Sie haben uns tatsächlich angegriffen, steh auf!“ Massjanja liest später aus ihrem Smartphone vor: „Sie haben den Hafen getroffen, zwölf Tote…“ Raketenlärm ist zu hören.

"Die Welt von russischen Faschisten befreien"

Es ist wie in der Ukraine vor bald fünf Monaten. Auch dort schreckten die Menschen in den frühen Morgenstunden von Raketeneinschlägen und den Meldungen darüber hoch. Im Trickfilm kommen die Raketen aus China.
Den russischen Trickfilmhelden geschieht, was viele Ukrainer im wirklichen Leben durchgemacht haben und durchmachen. Chrjundel und Massjanja versuchen, mit ihren beiden Kindern die Stadt mit dem Auto zu verlassen, sie bleiben im Stau stecken, Bomben fallen, sie kehren um, suchen Zuflucht in einem Luftschutzraum.
Sie sehen die Ansprache des chinesischen Präsidenten Vyn Su Him: „Es ist Chinas Mission, die Welt von russischen Faschisten zu befreien! Außerdem müssen wir ureigenes chinesisches Land zurückholen. Was sind das überhaupt, Russen? Eine Mischung aus Tataren und ugrischen Völkern. Ihre Sprache ist ein entstelltes Ukrainisch. Lernt Chinesisch!“

Schon die dritte Folge gegen den Krieg

Der Erfinder und Zeichner der Serie, Oleg Kuvaev, sagt: „Dass es Chinesen sind, ist nicht wichtig. Es musste einfach ein großes Land sein, das es mit Russland aufnehmen könnte.“ Kuvaev kommt aus St. Petersburg. Er hat Russland vor 15 Jahren verlassen und lebt in Israel.
„Sankt Mariuburg“, „Massjanja“-Folge 162, ist bereits Oleg Kuvaevs dritte Folge gegen den Krieg seit Beginn des groß angelegten russischen Angriffs am 24. Februar. In Folge 160 schlägt sich Massjanja zu Putin durch und überreicht ihm ein japanisches Schwert, damit er Harakiri begeht.
In Folge 161 versuchen Massjanja und Chrjundel, ihren Kindern mit einem Puppentheater zu erklären, was es mit der Sowjetunion und dem imperialen Bewusstsein vieler Russen auf sich hat.

Anspielung auf die Blockade Leningrads

„Mit dem Humor ist es natürlich so eine Sache in diesen schweren Zeiten“, sagt Kuvaev. „Aber als ich mir die ukrainischen Stand-up-Komiker angeschaut habe, die in den Schutzkellern auftreten, habe ich begriffen, dass Humor trotzdem sein muss. Er hilft zu überleben.“
Das Lachen allerdings bleibt einem bei der jüngsten Folge im Halse stecken. Am Ende sitzt der Sohn Badja allein im Keller und schreibt Tagebuch: „Mama ist nach acht Tagen gestorben. Onkel Lochmaty wurde auf dem Weg zu uns von einem Sniper erschossen. Tschutschunja ist gestern gestorben. Nur Badja ist übrig. April 2022.“
Auch in Mariupol gab es in diesem Frühjahr solche Tagebuchnotizen eines Jungen. Die Szene erinnert aber vor allem an Tanja Sawitschewa und ihr Tagebuch. Das Mädchen hat die Leningrader Blockade überlebt, als einzige ihrer Familie.
Leningrad, das heutige St. Petersburg, wurde im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht belagert, damals verhungerten mehr als eine Million Menschen. Tanja Sawitschewa schrieb auf, wie ihre Verwandten einer nach dem anderen starben. Sie hat in Russland eine ähnliche Bedeutung wie in Deutschland Anne Frank.

Mehr als drei Millionen Aufrufe

„Mit der Anspielung möchte ich die Menschen aus St. Petersburg daran erinnern, was sie in ihrer Kindheit, in der Schule über Tanja Sawitschewa und ihre Geschichte gehört haben“, sagt Oleg Kuvaev. „Sie sollen begreifen, dass in Mariupol jetzt fast das Gleiche passiert ist.“
Er könne absolut nicht nachvollziehen, „dass so viele Menschen in Russland den Krieg unterstützen“. Sein Trickfilm richte sich „genau an diese Leute“. Mit sachlichen Argumenten sind Putins Unterstützer kaum noch zu erreichen. Aber auch sie sind „Massjanja“-Fans.
Das Echo auf die neueste Folge ist groß: mehr als drei Millionen Aufrufe in wenigen Tagen. Im Netz wird „Sankt Mariuburg“ allerdings vor allem von den Russischsprachigen diskutiert und geteilt, die den Krieg verurteilen.
Doch er bekomme auch Reaktionen von der anderen Seite sagt Kuvaev: „Vielleicht beginnen einige – leider wenige – zu verstehen, was Russland anrichtet.“

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