Musik mit heilender Kraft
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Matana Roberts aus Chicago ist Saxofonistin, Komponistin und Konzeptkünstlerin und hat jetzt ein neues Album veröffentlicht. "Coin Coin Chapter Four: Memphis" ist der vierte Teil eines außergewöhnlich ambitionierten, 12-teiligen Projekts.
Seit zehn Jahren treibt Matana Roberts ihr anspruchsvolles Projekt Coin Coin voran. Hier vereint sie Kunst-, Musik- und Theater-Konzepte zu einer Darstellung afroamerikanischer Geschichte, für das sie das Leben von sieben Generationen ihrer Familie erforscht.
Nach Louisiana, Mississippi und einem sehr persönlichen dritten Teil nun also Memphis, Tennessee, das vierte Kapitel der so ambitionierten Coin Coin Reihe. Es handelt sich zugleich um Familiengeschichte und um die Geschichte der USA:
"Das Coin Coin Projekt ist ein musikalisches Denkmal menschlicher Erfahrungen. Die Wurzel ist amerikanisch, aber solche Erfahrungen und Emotionen haben keine Identität, außer dass sie menschlich sind. Ich konzentriere mich auf menschliche Gefühle und Erlebnisse, aber ja: es ist auch eine Art musikalische Landkarte der USA."
Memphis: Ort vieler Tragödien
Das Cover von Coin Coin Chapter 4: Memphis ist ein sogenannter Mugshot, eines dieser Polizeifotos nach einer Festnahme. Eine junge Frau blickt hier selbstbewusst in die Kamera, es ist die Großmutter von Matana Roberts:
"Meine Großmutter ist der Ursprung für die Coin Coin Reihe, sie ist in Memphis geboren und aufgewachsen. Auch dieses Album ist eine Erinnerung an unsere Geschichte, Memphis ist ein Ort einiger sehr bedeutender Momente der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, aber auch vieler Tragödien, Martin Luther King wurde in Memphis ermordet. Natürlich ist auch die Musik aus Memphis sehr interessant und meine Großmutter wäre auch nicht diese wunderbare Person gewesen, käme sie nicht aus dieser Stadt."
Die Großmutter erzählte Matana Roberts auch die Geschichte einer weiteren Verwandten, die den fortlaufenden roten Faden dieses Albums spinnt: die des kleinen Mädchens, das so schnell rennen kann wie der Wind, was ihr das Leben rettet, als ihre Eltern vom Ku-Klux-Klan ermordet werden. Matana Roberts verknüpft dies mit Erinnerungen, Briefen und Texten aus Tagebüchern ihrer Familie und mit der Geschichte des Staates Tennessee.
Panoramic Sound Quilting
"Memphis" hat eine noch größere kompositorische Dichte als die früheren Alben - eine Herangehensweise, die Matana Roberts "Panorama-Sound-Quilting" nennt, wo Art-Rock, Free Jazz, Country, Blues und alte Worksongs miteinander verschmelzen und sich mit freier Improvisation abwechseln.
Wie komponiert man solche Musik und wie erklärt sie das ganze dann den Musikerinnen und Musikern? "Ich habe viele Vorgaben, sie müssen bei mir wirklich einiges durch machen. Ich habe ein System namens 'Panoramic Sound Quilting' entwickelt, ich arbeite konstant daran und es ist immer noch nicht völlig ausgereift. Es ist eine Mischung aus westlicher und graphischer Notenschrift, dazu dirigiere ich auch die improvisierten Teile mit verschiedenen Handzeichen nach einem System von Butch Morris. Ohne Proben wären diese Stücke gar nicht möglich. Es ist also kein freier Fall, aber alles mit einer Lockerheit und Spontanität, und das mag ich sehr daran."
Ein ekstatischer Fluss
Diese Vielschichtigkeit, die wütenden Ausbrüche und die Verletzlichkeit, all dies verwebt Matana Roberts meisterhaft zu einem ekstatischen Fluss. Trotz aller Konzeption klingt es nie künstlich, im Gegenteil: Diese Musik hat eine reinigende und heilende Kraft, und dies nicht nur für die Hörer, auch Roberts selbst hat dies bei den Aufnahmen zum ersten Teil der Coin Coin Reihe so erfahren:
"Das erste Album wurde während einer für mich sehr harten Zeit aufgenommen, meine Mutter war zehn Tage vorher an Krebs gestorben. Das Album aufzunehmen war sehr heilsam und positiv für mich. Die Idee von heilender Musik, danach bin ich immer auf der Suche."